Impulstanz – Scattered Memories
Wim Vandekeybus
„Scattered Memories“

Werkschau als heißer Aufguss

Seit nunmehr 35. Jahren schreibt Wim Vandekeybus mit seiner Compagnie Ultima Vez Tanzgeschichte. Zum Jubiläum schenkte er sich mit „Scattered Memories“ einen selbstironischen Parforceritt durch das eigene Schaffen. Bei der Uraufführung am Donnerstag im Wiener Volkstheater blieb zwar der Erzählbogen auf der Strecke, das Publikum zeigte sich aber begeistert.

„Seine eigene Geschichte zu erzählen sei fast unmöglich“ – so paraphrasiert das Programmheft Hannah Arendt und nimmt die Philosophin augenzwinkernd als Gewährsfrau für den Ausgang des Abends als ein Programm der „verstreuten Erinnerungen“. Dass Erinnerungen mit Gefühlen vermengt seien, gibt eine weitere Ausgangthese für die lose Aneinanderreihung von Szenen ab, aus denen die Produktion besteht.

Vom Schwank über eine frühe Reise der Compangie nach Montana über Tableaus mit bis zu zwei Dutzend Tänzerinnen und Tänzern, in denen sich Kampf und erotische Anziehung abwechseln und schließlich vermengen, bis hin zu ironischen Zwischensequenzen, in denen sich der Künstler als junger Mann selbst hinterfragt, ging es durch ein Best-of der Produktionen, die Videoprojektion verdichtete die Anspielungen und Bezüge – dass diese freilich nur für Eingeweihte zu entschlüsseln sind, tat der choreografischen und performativen Leistung freilich keinen Abbruch.

Impulstanz – Scattered Memories
Wim Vandekeybus
Der Künstler als junger Mann und die begeisterte Interviewerin – Vandekeybus betreibt eine augenzwinkernde Rückschau auf 35 Schaffensjahre

Vom Gewehrsdildo bis zum Philosophiegrab

Da verhandelt Vandekeybus seine Leiden als zum Genie hochgejazzter Interviewpartner – die in Suggestivfragen bewanderte Journalistin sitzt nach wenigen Minuten auf dem Schoß des Künstlers, der doch eigentlich nur über die Stille nachdenken will. Die Tiefgründigkeit ist meist nur ein Gestus, wie hier spitzbübisch vorgeführt wird, wenn in vier Sprachen mit Jean-Baudrillard-Texten jongliert wird: Die Postmoderne feiert ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit als gruppenweisen Paartanz.

„Scattered Memories“ ist noch am 29. Juli um 21.00 Uhr im Volkstheater zu sehen.

Der Einsatz eines Spielzeug-Wildwestgewehres als Umschnalldildo, mit dem leichten Tanzschrittes nicht nur reihum die Compagnie-Mitglieder, sondern auch ein mutiger Teilnehmer aus dem Publikum – freilich nur andeutungsweise – über die Bühne penetriert wurden, geriet ebenso zur gefällig-heiteren Lachnummer, wie die surreale Szene, in der ein Technoclub mit einem Friedhof überblendet wurde.

Impulstanz – Scattered Memories
Wim Vandekeybus
Techno tanzende Zombies oder Clubgänger am Ende ihrer Kräfte? Am Ende führt alles zu nicht ganz ernst gmeinten, letzten Fragen

Dass beim Aufkehren der Clubmitarbeiter bzw. Totengräber durchaus eschatologische Fragen aufkamen, durfte man als Referenz auf William Shakespeare und dessen Totengräber im „Hamlet“ lesen – oder man ließ sich von Vendekeybus Ironie anstecken und von den Tanzeinlagen faszinieren. Letzteres war beim Publikum offensichtlich der Fall – und so gab es für einen Liebling des ImPulsTanz-Festivals auch im vierten Jahrzehnt der Zusammenarbeit Standing Ovations. Selbst für einen – zugegebenermaßen heißen – Aufguss des Bisherigen.