Szene aus dem Film „Die Rückkehr des Daumens“
Milestone Fiction GmbH
Mockumentary

Die ganze Welt des Daumenwrestlings

Noch haben die Kinos geschlossen – aber die Welt des Streamings hält Überraschungen bereit. So kann man etwa die Mockumentary „Die Rückkehr des Daumens“ – eine Tour durch kleinere Kinos hatte sie schon vor der Zeit des Coronavirus hinter sich – seit Kurzem auf Amazon Prime entdecken. Dabei wird die Welt des Sports gehörig durch den Kakao gezogen – am Beispiel des Daumenwrestlings.

Von „Rocky“ (1976) bis „The Wrestler“ (2008), „Rush“ (2013) und zuletzt „I, Tonya“ (2019) und „Le Mans ’66“ (2019): Die Welt des Sports und die Welt des Kinos sind zwei Glücksmaschinen, die einander verdoppeln können. Im Sport wird die ganze Palette menschlicher Emotionalität vorgelebt: Sieg und Niederlage, Euphorie und Enttäuschung, Wut, Schadenfreude, Schmerz, Trauer, Verrat – sie alle werden abstrahiert und abgeschwächt durchlebbar und verlieren dadurch vielleicht auch im eigenen Leben zu Hause ein wenig von ihrem Schrecken.

Ähnlich verhält es sich mit Filmen – sie sind die ausgelagerte Fantasie von Individuen, auch hier wird das große Leben im kleinen nachgespielt, auf dass man die anderen Fehler machen lassen, ihnen zuschauen und davon profitieren kann. Die Welt des Sports ist also eine Fundgrube für Filmer. Sie hat große Dramen inhärent, die nur noch abgepflückt und auf Leinwand gebannt werden müssen.

Der Held muss ein reiner sein

Wie immer, wenn das Kino sich großen Gefühlen widmet, wird dabei geklotzt und nicht gekleckert. Das ist bei Spielfilmen nicht anders als bei Dokus. Der Held muss ein reiner Held sein, sein Fall ein tiefer, jede Entscheidung muss denkbar knapp sein, die Niederlage in greifbarer Nähe kurz vor dem schlussendlichen Triumph. Dabei wird dann oft ganz, ganz tief in die Pathoskiste gegriffen.

Szene aus dem Film „Die Rückkehr des Daumens“
Milestone Fiction GmbH
Rechts: Schauspieler und Regisseur Florian Convey (Lukas). Mit Hut: Markus Giefing (Coach) und Klaus Bandl (Big Boppa Thumb)

Aus dieser Kiste mit all ihren filmerischen und dramaturgischen Ingredienzen wiederum schöpfen die österreichischen Independent-Komödienfilmer Florian Convey, Markus Giefing und Alexander Linhardt mit ihrer Mockumentary (in etwa: Parodiedoku) „Die Rückkehr des Daumens“. Zunächst galt es, eine Sportart zu finden, bei der die Zuseher nicht ohnehin von Beginn an mehr wissen als die Filmemacher. Wrestling war schon belegt durch diverse Dokus wie zuletzt „Unter der Gürtellinie“ im Rahmen der ORF-Reportagenreihe „Das Leben ist schön“ und durch den Spielfilm „The Wrestler“ mit Mickey Rourke in der Hauptrolle.

Mit Bratfett gedopte Daumen

Daumenwrestling hingegen ist ein filmerisch jungfräuliches Thema – da kann man sich ausleben, ohne Nerds auf den Schlips zu treten, die ständig alles besser wissen. Daumenwrestling – dabei haken einander zwei Gegner mit den Fingern einer Hand ein und versuchen, den Daumen des Gegenübers hinunterzudrücken. Wer mehr Runden für sich entscheidet, ist am Ende der Sieger. Dabei wälzt man sich auch schon mal auf dem Boden, es geht durchaus brutal zu.

Die Anfangsannahme der Mockumentary: Coach Steve (Markus Giefing) war früher die ganz große Nummer in der Wiener Szene – bis er vor zehn Jahren mit einer Sperre belegt wurde, weil sein Schützling angeblich einen Daumen mit Bratfett rutschig machte, also „dopte“ (Flo Convey). Steve will davon nichts gewusst haben. Er fiel in ein tiefes Loch. Nun sind die zehn Jahre vorbei, ein fulminantes Comeback steht an.

Szene aus dem Film „Die Rückkehr des Daumens“
Milestone Fiction GmbH
Im Infight: Links Peter White als Klaus, rechts Thomas Burianek als Cyborg

Ein Fleischmonster namens „Cyborg“

Aber dabei hat Steve die Rechnung ohne King Gustl (Alexander Linhardt) gemacht, einem Ungustl, der das Wiener Daumenwrestling mittlerweile fest in der Hand hat. Mit seinem „Cyborg“ genannten Fleischmonster (Thomas Burianek) von Daumenwrestler lässt er anderen keine Chance. Zunächst scheitert auch Steve mit seinem neuen Schützling Klaus (Peter White) an ihm. Doch dann zieht er los, um Lukas, den Bratfett-Wrestler, wieder zu aktivieren. Der sollte unschlagbar sein.

Doch Lukas will nichts davon wissen. Er bietet Kurse in Daumenyoga an und hat die Spiritualität für sich entdeckt. Ihn friedliebend zu nennen wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Er streichelt die Blätter von Bäumen mit seinem Daumen, anstatt damit Gegner im Ring auf die Knie zu zwingen. Wird ihn Steve überreden können, sich zu seinem neuen alten Star aufbauen zu lassen? Ihm bleibt nur eine Woche bis zum Kampf, der darüber entscheidet, ob Steve wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt oder nicht.

Im gleißenden Gegenlicht der Scheinwerfer

So ein filmerisches Unterfangen kann schnell in die Hose gehen. Aber der 1981-jährige Convey – er spielt nicht nur den Bratfett-Wrestler, sondern führte auch Regie – haut mit seinem Team nur in seltenen Momenten (in Fällen von „amateurhaftem Overacting“ von ein, zwei Schauspielern) daneben. Das Timing passt, die Pointen sitzen, und das Ganze ist sogar mitunter so spannend wie ein richtiger Sportfilm.

Der Einsatz von Musik funktioniert nach denselben übertrieben verstärkenden Prinzipien bei solchen Filmen. Die Kameraführung, das gleißende Gegenlicht der Scheinwerfer im Ring, das Minenspiel bei Sieg und Niederlage, all das kennt man zur Genüge und kann sich genüsslich daran weiden, wie es hier ad absurdum geführt wird. Noch besser sind die „nachdenklichen“ Momente. Die Selbstzweifel. Das Suchen nach Entschuldigungen, wenn etwas schiefgeht.

„Hinterfotzig, mit viel Schmäh“

Muss man den Film gesehen haben? Wohl kaum, aber er macht Spaß und eignet sich hervorragend zum Ablenken von Coronavirus-bedingten und sonstigen Problemen. Vor dem Coronavirus sorgte der Film schon auf diversen Festivals und bei seiner Premiere in Graz im Vorjahr für Begeisterung.

Die „Wiener Zeitung“ schrieb treffend „Rocky trifft Spira“, das freche Berliner Szenemagazin „Zitty“ hält den Film für „hinterfotzig, mit viel Schmäh“. Jetzt darf man ja schon ein paar Freunde einladen, um unter Einhaltung aller Regeln zu Hause einen gemeinsamen Kinooabend zu erleben – als Einstimmung, bevor man dann wirklich wieder ins Kino gehen kann.