Die britische Premierministerin Theresa May spricht vor dem House of Commons
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Der Tag der Abstimmung im Rückblick

Es ist gekommen wie erwartet: Die Abstimmung im britischen Unterhaus über das Brexit-Abkommen hat Premierministerin Theresa May eine schwere Niederlage zugefügt. Nur 202 Abgeordnete stimmten dafür, 432 dagegen. Für ORF.at berichteten Caecilia Smekal, Florian Bock, Valentin Simettinger (alle Text) und Peter Falkner (Bild), Philip Pfleger lieferte aus Brüssel Beiträge.

Online seit 15. Jänner 2019, 14.11 Uhr
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Die Korrespondenten Cornelia Primosch und Tim Cupal mit letzten Einschätzungen aus London und Brüssel.

Countdown läuft

Die Abstimmung heute hat eine lange Vorlaufzeit. Am 23. Juni 2016, also vor etwa zweieinhalb Jahren, haben 51,89 Prozent der Wählerinnen und Wähler für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gestimmt.

Mehrere Titelblätter von Zeitungen nach der Brexit-Abstimmung 2016
APA/AFP/Rob Bodman
Die Titelblätter der großen britischen Zeitungen am Tag nach dem Votum

Nach zähen Verhandlungen zwischen britischer Regierung und den Verhandlern der EU schlägt jetzt die Stunde der Wahrheit – mehr dazu in news.ORF.at.

320 Stimmen für Deal nötig

Die Verhandlungteams haben über viele Monate unzählige Kilometer zwischen Brüssel und London gemacht – heute gibt es einen Ort der Entscheidung.

Grafik zum Brexit-Votum im britischen Unterhaus
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/parliament.uk

Alle Augen werden in den Abendstunden auf das britische Unterhaus gerichtet sein, wo 639 Abgeordnete über den Deal abstimmen.

„Vergifteter“ Deal

Mit letzten Appellen hat Premierministerin Theresa May versucht, die Abgeordneten von einer Annahme des Deals zu überzeugen. Doch die Chancen stehen nicht allzu gut, dass May den Deal mit Mehrheit durchs Parlament bringt.

Britische Premierministerin May im Unterhaus
APA/AFP/PRU

Etwa ein Drittel der Parteikollegen Mays sprach sich im Vorfeld gegen die Zustimmung aus. Die nordirische Partei DUP nennt den geplanten „Backstop“, eine Auffanglösung für die Grenze zu Nordirland, „vergiftet“ – auch hier ist keine Unterstützung für Mays Deal zu erwarten.

Was im Abkommen steht

Der 585 Seiten starke Austrittsvertrag regelt Hunderte Fragen der Trennung. Für die EU sind drei Punkte zentral:

EU-Bürgerinnen und -Bürger in Großbritannien und die Briten in der EU können mit einem gesicherten Rechtsstatus so weiterleben wie bisher; Großbritannien sagt Zahlungen an die EU von geschätzt etwa 45 Mrd. Euro zu; und die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland bleibt offen.

Im Gegenzug bekommt Großbritannien eine Übergangsfrist bis mindestens Ende 2020 und langfristig eine enge Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft mit der EU. Den Ausblick darauf gibt eine „Politische Erklärung“, die das Abkommen ergänzt.

Ergebnis könnte um 21.15 Uhr vorliegen

Mit dem Ergebnis der Abstimmung über den Brexit-Vertrag ist möglicherweise gegen 21.15 Uhr MEZ zu rechnen.

Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, teilt mit, dass er zunächst über vier Änderungsanträge abstimmen lassen werde. In keinem ist von einem zweiten Referendum die Rede.

Da die Abstimmungen um 20.00 Uhr beginnen sollen, könnte das Votum über den Gesamtvertrag gegen 21.00 Uhr stattfinden. Das Ergebnis läge dann gegen 21.15 Uhr vor.

Bürgermeister: EU-Bürger gehören immer zu London

Der Londoner Bürgermeister und Labour-Politiker Sadiq Khan teilt via Twitter mit: „Was immer das Ergebnis der Brexit-Abstimmung heute Abend sein wird, die EU-Bürger gehören immer zu London.“

Demos beider Seiten in London

Der Bereich zwischen Parlament und Westminster Abbey in London ist voller Demonstranten – für und wider den Brexit. In der St. Margaret Street nahe dem Parliament Square haben sich vor allem Brexit-Befürworter eingefunden. „Austritt heißt Austritt“ und „Wir haben für den Austritt gestimmt“ ist auf Plakaten und Transparenten zu lesen. Nur wenige Meter weiter, auf dem Old Palace Yard mit der Statue von George V. und in der Abingdon Street, haben die EU-Befürworter die Oberhand.

Demos in London
AP

Labour-Abgeordnete verschiebt Geburt

Bei der Abstimmung will die Labour-Abgeordnete Tulip Siddiq auf jeden Fall dabei sein – auch wenn ihr die Ärzte geraten haben, an diesem Tag per Kaiserschnitt ihr Baby zur Welt zu bringen.

Am Nachmittag richtet sie per Twitter ihren Dank an ihre Unterstützer, die Entscheidung sei ihr nicht leichtgefallen. Sie sehe es aber als ihre Pflicht, bei der Abstimmung dabei zu sein.

„Keine Kinder auf dem Spielplatz“

Einblick in die laufende Debatte: Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox warnt vor Gefahren eines „No Deal“-Szenarios: „Ihr seid keine Kinder auf dem Spielplatz, ihr seid Abgeordnete.“

Warum der Widerstand so groß ist

EU-freundlichen Abgeordneten ist Mays Plan für die künftigen Beziehungen zu vage. Sie wollen eine engere Bindung an die EU. Strenge Brexit-Befürworter und die nordirische Regionalpartei DUP rebellieren indes gegen die Garantie für eine offene Grenze in Irland, die politische Spannungen dort abwenden soll.

Nach dem Abkommen bleibt Großbritannien als Ganzes in einer Zollunion mit der EU, bis eine bessere Lösung gefunden ist, für Nordirland gelten einige Sonderregeln.

Die EU hat gestern noch einmal zugesichert, dass man dies nur als Rückversicherung sehe und möglichst nie anwenden wolle. Britische Kritiker warnen dennoch, Großbritannien kette sich damit auf Dauer an die EU.

Konservative Abgeordnete: Mays Deal kein Brexit

Die konservative Abgeordnete Suella Braverman sagt gegenüber der BBC, warum sie gegen den Deal stimmen wird. Bei dem von May ausgehandelten Deal sei „nicht garantiert, aus dem Binnenmarkt herauszukommen“ und Kontrolle über die Gesetze zu bekommen. Der Deal gewähre keinen Brexit.

Dominic Raab, ehemaliger Brexit-Minister, sagt bei seiner Rede im Unterhaus, dass der Deal dazu führen werde, dass Grobritannien seine Kontrolle „aufgibt“.

EU-Kommissar hält britische Politik für nicht planbar

EU-Währungskommissar Pierre Moscovici äußert öffentlich keine Erwartung an das Parlamentsvotum. „Es gibt Dinge, die man nicht planen kann. Dazu gehört offensichtlich die britische Innenpolitik“, sagt er in Straßburg.

EU-Währungskommissar Pierre Moscovici
Reuters/Yves Herman

Was passiert als Nächstes?

Die „New York Times“ dröselt die möglichen Szenarien in einer Grafik auf:

Suche nach Lösung für Briten in Österreich

Ungeachtet des Ausgangs des Votums sollen die vor dem EU-Austrittsdatum in Österreich lebenden Britinnen und Briten ihre Rechte behalten. Das hat EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) angekündigt. Sein Parteikollege Finanzminister Hartwig Löger sagt, Österreich sei für einen „No Deal“-Brexit gerüstet – mehr dazu in news.ORF.at.

Europawahl: Weber und Kurz gegen britische Beteiligung

Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, spricht sich gegen eine britische Beteiligung an der Europawahl im Mai aus, sollte der Brexit verschoben werden: Es sei den Europäern nicht zu vermitteln, „dass ein Land, das die Europäische Union verlassen will, (…), bei der Zukunftsgestaltung des Kontinents für die nächsten fünf Jahre teilnimmt“.

Ähnliche Töne kommen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): Die Europawahl sei eine „Richtungsentscheidung“, daher sei „es sinnvoll, wenn all jene dabei sind, die auch die Europäische Union gestalten wollen und Teil dieser Union sein wollen“.

Die zwei Szenarien und die Folgen

Grafik zum Brexit-Votum
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Pfund vor Votum unter Druck

Wenige Stunden vor der Abstimmung ziehen sich immer mehr Anleger aus dem Pfund Sterling zurück. Die Währung verbilligte sich heute um 0,4 Prozent auf 1,2809 Dollar. Falle die Niederlage knapper aus, könne mit einer Erleichterungsrally des Pfund gerechnet werden, hieß es.

Den Brexit einläuten

Austrittsbefürworter lärmen vor dem Parlament in London. Ein Journalist kommentiert spitz: „Ein weiterer, ganz normaler Tag in der britischen Politik.“

Das Signal, das an Brüssel gesendet werden soll

Die Politologin und Chefin des Wiener Go-Governance Institute, Melanie Sully, sieht in einer Stellungnahme für ORF.at ein großes Dilemma:

„Viele Abgeordnete wollen ein Signal senden an Brüssel und denken, je größer die Niederlage, desto größer die Chance, dass die EU noch etwas anbietet. Aber die EU denkt dann, wenn die Niederlage so groß ist, hat das Ganze keinen Sinn. Denn so viel können sie gar nicht anbieten, um so viele zu überzeugen“, so Sully.

Zudem gäben der dritte und vierte Abänderungsantrag (vier wurden insgesamt zugelassen) der Regierung ein Mandat, falls sie beschlossen würden. Damit sollten sie zurück nach Brüssel gehen und verlangen, dass die irische Auffanglösung entweder ein Enddatum haben soll – oder (falls die EU versucht, das Ende der Auffanglösung hinauszuzögern), das Vereinigte Königreich nicht verpflichtet wäre, die Punkte im Austrittsvertrag zu erfüllen.

Gerüchte über Termine in Brüssel

Was passiert nach der Abstimmung? Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass die britische Premierministerin Theresa May einmal mehr den Canossagang nach Brüssel antreten muss, um erneut Zugeständnisse zu erbitten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker habe bereits Termine für morgen abgesagt, um Zeit für Notfallverhandlungen zu haben, so die Nachrichtenagentur AP. May hat einem Sprecher zufolge hingegen keine Pläne, wieder nach Brüssel zu reisen.

Die britische Premierministerin Theresa May gemeinsam mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker
Reuters/Francois Lenoir

Mit Brexit „kein Bonus“

Die Labour-Abgeordnete Alison McGovern sagt, sie braucht „keine Lektionen, wie sie ihr Land lieben soll“. Es gebe keine Dividende für den Brexit, man verliere damit nur, es gebe „keinen Bonus“.

Die Briten seien auf das Referendum „nicht vorbereitet“ gewesen. Die Abgeordneten hätten nun die Wahl: „Sollen wir unsere Wähler ärmer machen?“ Weiterkommen könne man jetzt wahrscheinlich nur mit einem zweiten Referendum.

„Vater des Hauses“ stimmt mit Ja

Zumindest auf die Stimme des „Father of the House“ darf die britische Premierministerin Theresa May zählen. Der konservative Abgeordnete Ken Clarke (78), mit 49 Jahren Parlamentszugehörigkeit dienstältester Mandatar, kündigt in der Debatte seine Zustimmung an. „Ich bin zweifellos ein Hardliner des EU-Verbleibs. Ich glaube nicht, dass es in diesem Haus jemanden gibt, der diesbezüglich eine härtere Linie hat als ich“, verweist der Ex-Minister auf sein jahrzehntelanges Eintreten für die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens.

Der konservative Abgeordnete Ken Clarke
Reuters/Luke MacGregor
„Father of the House“ Ken Clarke (Bild von 2013)

Trotzdem werde er für das Austrittsabkommen stimmen. Dieses ermögliche nämlich den Beginn von Verhandlungen, um ein möglichst enges künftiges Verhältnis zwischen London und den EU-27 sicherzustellen, argumentiert Clarke. Dafür solle man sich so viel Zeit nehmen wie nötig.

Brüssel bereitet sich auf Ernstfall vor

In Brüssel laufen die Vorbereitungen für den Ernstfall: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist vorzeitig von der Sitzung des Europaparlaments in Straßburg zurückgekehrt.

„Es ist wichtig, dass er in den nächsten Stunden in Brüssel zur Verfügung steht und arbeitet“, sagte ein Kommissionssprecher.

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk ist wieder in der belgischen Hauptstadt. Tusk hat in Polen an einer öffentlichen Trauerveranstaltung für den getöteten Danziger Oberbürgermeister teilgenommen.

Diskutieren Sie mit!

Wie wahrscheinlich ist eine Mehrheit für das Brexit-Abkommen im britischen Unterhaus? Was droht bei einem ungeordneten EU-Austritt? In debatte.ORF.at wird einiges zur Sprache gebracht.

Eine Blitztour durch Westminster

Ein BBC-Journalist hält fest, wie es heute vor dem Parlament in London aussieht: Er schreibt: „Willkommen im Zirkus.“

„No, No, No“

18 Sekunden – die kürzeste Rede des Tages hielt der Tory-Abgeordnete Julian Lewis. Er ist kein Freund von Mays Deal.

Londons Bürgermeister macht Stimmung

Für London, Liverpool, Manchester, Newcastle und ihr Umland wäre ein Brexit ohne Abkommen „ein wirtschaftliches Desaster“, schreibt Londons Bürgermeister Sadiq Khan in einem offenen Brief an Theresa May.

Enthaltungen könnten den Unterschied machen

Eine BBC-Journalistin weist auf Twitter auf einen bisher wenig beachteten Aspekt hin: Viele Abgeordnete könnten sich enthalten – und so im entscheidenden Wahlgang den Unterschied machen.

Menschenmengen vor dem Parlament

Vor dem Londoner Parlament haben sich Hunderte Menschen versammelt, um für oder gegen den Brexit zu demonstrieren. Sie verfolgen auf zwei Großleinwänden die Debatte im Unterhaus. Das Land ist seit der Abstimmung 2016, bei der eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für den Austritt aus der EU stimmte, tief gespalten. Nun warten alle auf das Votum im Unterhaus – es soll voraussichtlich um 21.15 Uhr beginnen.

Anti-Brexit-Demonstranten in London
AP/Frank Augstein

Premierministerin Theresa May betritt soeben den Sitzungssaal des Parlaments – übrigens genau während der Rede eines Labour-Abgeordneten, als dieser die Worte „sie hat fürchterlich versagt“ ausspricht, wie eine Kommentatorin des „Guardian“ anmerkt.

May wird sprechen

Die Labour-Abgeordnete Tulip Siddiq, die extra für die Abstimmung die Geburt ihres Kindes verschoben hat, kommt ebenfalls im Parlament an – im Rollstuhl. Die Ärzte haben ihr geraten, heute per Kaiserschnitt ihr Baby zur Welt zu bringen. Sie will das Votum aber nicht verpassen. In wenigen Minuten soll Premierministerin Theresa May ihre Rede beginnen. Damit ist die fünftägige Debatte beendet.

Corbyn bestätigt Nein von Labour

Die Stellungnahmen der Opposition beschließt Labour-Chef Corbyn: Es sei wohl die chaotischste Zeit gewesen, die er als Abgeordneter je miterlebt habe, sagt er. Seine Partei werde gegen den Deal von Premierministerin May stimmen, „weil es ein schlechtes Abkommen für das Land ist“. Es sei ein „waghalsiger Sprung ins Dunkle“, so Corbyn, der sich auch an die EU-Partner wendet: „Wenn das Parlament diesen Deal ablehnt, dann sollte die Neueröffnung von Verhandlungen nicht ausgeschlossen werden dürfen, ja, sie können nicht ausgeschlossen werden.“ Für den Fall einer Ablehnung spricht sich Corbyn für eine Neuwahl aus.

Politiker Bernard Corbyn
BBC

May unternimmt letzten Versuch

Premierministerin Theresa May tritt schließlich ans Rednerpult und spricht sich einmal mehr gegen ein zweites Referendum aus. Das würde zur weiteren Spaltung führen, sagt sie. May spricht sich auch gegen eine Neuwahl aus: Diese würde zwei weitere Monate der Unsicherheit bedeuten. Proteste und Zwischenrufe sind so laut, dass der Speaker des Parlaments die Mandatare zu „Zen“ aufruft.

„Ich glaube, wir haben die Pflicht, gemäß der demokratischen Entscheidung des britischen Volks zu liefern“, sagt May. Zugleich warnte sie, die EU werde kein „alternatives Abkommen“ anbieten.

„Die Verantwortung jedes einzelnen von uns in diesem Moment wiegt schwer“, so die Regierungschefin. „Dies ist eine historische Entscheidung, welche die Zukunft unseres Landes für Generationen bestimmen wird.“

Britische Premierministerin May im Unterhaus
BBC

Start für Votum über Anhänge

Die Debatte ist zu Ende, die Abgeordneten beginnen mit der Abstimmung über die Anhänge zum eigentlichen Abkommen.

Es sind vier Änderungsanträge zur Beschlussvorlage ausgewählt worden. Sollte einer der Anträge am Dienstagabend eine Mehrheit finden, wird direkt über die abgeänderte Beschlussvorlage abgestimmt.

Zwei der Anträge lehnen das Brexit-Abkommen direkt ab. Zwei weitere versehen es mit der Bedingung für eine einseitige Ausstiegsklausel für London. Damit wäre der Deal in seiner jetzigen Form auch Makulatur. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass einer der Änderungsanträge (Amendments) angenommen wird.

Nur ein Änderungsantrag kommt zur Abstimmung

Knalleffekt im Unterhaus: Drei der vier Änderungsanträge sind zurückgezogen worden. Abgestimmt wird nur noch über den Antrag des Konservativen John Baron, der ein klarer Verfechter eines britischen Ausstiegs aus der Europäischen Union ist. Er fordert in dem Antrag eine Ausstiegsklausel aus der umstrittenen Garantie für eine offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, wie sie im Brexit-Abkommen festgeschrieben ist.

Änderungsantrag deutlich abgelehnt

Der vom Konservativen John Baron eingebrachte Änderungsantrag über eine einseitige Ausstiegsklausel für den „Backstop“ wird vom britischen Parlament sehr deutlich abgelehnt. Nur 24 Abgeordnete stimmen dafür, 600 stimmen dagegen.

Nachdem die anderen Änderungsanträge zurückgezogen worden sind, beginnt damit jetzt die Abstimmung über das von Theresa May ausgehandelte Ausstiegsabkommen.

BBC: Juncker gibt Stellungnahme ab

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird laut BBC heute Abend in Brüssel ein Statement zum Ausgang des Brexit-Votums im Namen der verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten abgeben.

Das Europaparlament wird morgen um 8.30 Uhr den Ausgang der Abstimmung beraten. Abgeordnete aller Fraktionen wollen bei der Plenarsitzung in Straßburg erörtern, welche Optionen nach dem Votum der britischen Abgeordneten bleiben und wie die EU reagieren könnte.

Was passiert nach einer möglichen Niederlage für May?

Laut der Politologin Melanie Sully stehen übrigens im britischen Parlament so viele Abgeordnete, weil es gar nicht genügend Plätze gibt. Es gibt nur Sitzplätze für zwei Drittel der Mandatare, „um der Kammer eine intime Atmosphäre zu geben“.

Inzwischen haben die, die einen Sitzplatz ergattert haben, wieder Platz genommen. Wie es nach einer möglichen Niederlage für May weitergehen könnte, erklärt ORF-Auslandschef Andreas Pfeifer.

Andreas Pfeifer in London

Im Londoner Parlament ist hitzig über den Brexit diskutiert worden. ORF-Reporter Andreas Pfeifer ist an Ort und Stelle und erklärt, welche Optionen Premierministerin Theresa May nach der erwarteten Niederlage haben wird.

Abgeordnete stimmen gegen Brexit-Deal

Die britischen Abgeordneten lehnen Theresa Mays Brexit-Deal mit großer Mehrheit ab. Nur 202 Abgeordnete stimmen dafür, 432 dagegen. Damit lehnt auch ein beachtlicher Teil der Konservativen Mays Deal ab.

Grafik: Ringgrafik über die Brexit-Abstimmung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Statement von Theresa May

Es sei „klar geworden“, dass die Abgeordneten ihr Abkommen nicht unterstützen, sagt May, die nach Verkündung des Ergebnisses im Unterhaus ein kurzes Statement abgibt. Das Ergebnis sage zwar aus, was Abgeordnete nicht wollen, nicht aber, was sie wollen.

Die britische Premierministerin Theresa May spricht vor dem House of Commons
BBC

Zunächst will May sicherstellen, dass das Vertrauen in die Regierung aufrecht ist. Ein Misstrauensantrag könnte bereits morgen diskutiert werden. Außerdem werde sie mit den Oppositionsparteien über eine alternative Lösung für den Brexit reden.

Corbyn beantragt Misstrauensvotum

Labour-Parteichef Jeremy Corbin reagiert auf das Ergebnis mit dem Antrag für ein Misstrauensvotum gegen May. Es sei die „größte Niederlage“ einer Regierung seit den „1920ern“, so Corbyn. Diese wird bereits morgen debattiert, damit Abgeordnete ihre Ansichten zur „Inkompetenz“ der Regierung präsentieren können.

Sollte May das Misstrauensvotum verlieren, heißt das nicht automatisch, dass es zu einer Neuwahl kommt. Das Unterhaus kann laut der Politologin Melanie Sully binnen zwei Wochen jemand anderem das Vertrauen aussprechen – das könnte auch ein Konservativer Abgeordneter sein.

Die einzige Lösung

EU-Ratspräsident Donald Tusk deutet auf Twitter an, dass ein Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU die einzig gute Lösung wäre. Wenn ein Abkommen unmöglich sei, niemand aber einen Austritt ohne Vereinbarung wolle, „wer wird dann letztlich den Mut haben zu sagen, was die einzig positive Lösung ist?“

Juncker fordert Klarheit

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schreibt auf Twitter, er bedauere den Ausgang der Abstimmung. Gleichzeitig fordert er Klarheit: Das Vereinigte Königreich müsse seine Absichten so schnell wie möglich kundtun. „Die Zeit ist fast abgelaufen.“

In einem Statement schließt Juncker Nachverhandlungen mit London aus. „Dieses Abkommen ist und bleibt der beste und einzige Weg einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union sicherzustellen.“

„Wir werden unsere Vorbereitungen auf alle Szenarien fortsetzen, darunter auch für ein No-Deal-Szenario“, so Juncker weiter. Das Risiko eines ungeregelten Brexits sei mit der Abstimmung gestiegen, „und auch wenn wir das nicht wollen, werden wir vorbereitet sein“.

118 Konservative lehnen Deal ab

Wie Faisal Islam von Sky News berichtet, lehnen 118 Tory-Abgeordnete das EU-Abkommen Mays ab. 196 Abgeordnete aus Mays Partei stimmen für den Deal, auch drei Labour- und drei unabhängige Abgeordnete unterstützen das Ausstiegsabkommen.

Wie die BBC berichtet, ist das tatsächlich die deutlichste Niederlage im Parlament seit den 1920ern. Mit einem Abstand von 230 Stimmen rangiert das Brexit-Ergebnis damit deutlich vor einem Abstimmungsergebnis aus dem Jahr 1924, bei dem der Abstand 166 Stimmen betrug.

Misstrauensvotum morgen Abend

Wie die Unterhausvorsitzende Andrea Leadsom ankündigt, wird das Misstrauensvotum morgen Abend stattfinden. Um 20.00 Uhr (MEZ) werden die Abgeordneten abstimmen, so Leadsom. Die Debatte im Unterhaus wird den ganzen morgigen Tag in Anspruch nehmen.

Die nordirische Democratic Unionist Party (DUP) wird bei dem Misstrauensvotum May unterstützen, wie die „Guardian“-Journalistin Lisa O’Carroll auf Twitter schreibt. „Wir werden die Regierung bei dem Misstrauensvotum unterstützen“, so die Partei laut O’Carroll in einem Statement.

Pfund steigt nach Ankündigung

Nach der Ankündigung der Vertrauensfrage legt das Pfund wieder zu. Der Kurs steigt um mehr als einen Cent auf 1,28 Dollar. Experten begründen die Erholung des Pfundes mit der Schwere der Niederlage von Premierministerin Theresa May: Das könnte die Abgeordneten dazu bringen, Alternativen zu erwägen, heißt es.

Kurz schließt Nachverhandlungen aus

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schließt gleich nach dem Scheitern des Brexit-Abkommens Nachverhandlungen aus. Der Ball liege nun in London, so Kurz. Er lobt den während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft zustande gekommenen Deal als „sehr ausgeglichenes und faires Austrittsabkommen“ und betont, dass sich die EU in den Verhandlungen „stets sehr engagiert“ habe.

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl äußert weiter die Hoffnung auf einen geordneten EU-Austritt. „Keep calm and carry on“ („Ruhig bleiben und weitermachen“), so Kneissl. NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger kritisiert „permanentes Zündeln, Lügen und falsche Versprechungen“: „Das passiert, wenn Nationalisten und Populisten die Richtung vorgeben: absolutes Chaos und eine veritable Staatskrise.“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bedauert in einer Stellungnahme das Votum. „Ich bedaure, dass dazu keine Mehrheit im britischen Unterhaus zustande gekommen ist. Ein geordneter Austritt ist für beide Seiten die beste Lösung“, so Sobotka. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer bezeichnet einen ungeordneten Brexit als „Superlose-Superlose“-Szenario. Man müsse alle Möglichkeiten nützen, um es zu verhindern.

Sprecher: May tritt nicht zurück

Ein Sprecher von Theresa May sagt laut der Nachrichtenagentur Reuters, dass May nicht zurücktreten werde. Sie sei überzeugt, dass sie das Vertrauen das Unterhauses habe. Es gebe auch keine Pläne für ein Zusammentreffen des Kabinetts. Außerdem plane May momentan nicht, nach Brüssel zu reisen, es werde aber mit der EU in den kommenden Tagen Kontakt geben, so der Sprecher.

Deal für Boris Johnson „tot“

„Ich glaube, der Deal ist tot, und es ist sehr wichtig, dass das anerkannt wird“, sagt der britische Ex-Außenminister Boris Johnson gegenüber der BBC. Das verheerende Ergebnis zeige, dass Großbritannien jetzt den Auftrag habe, „zurück nach Brüssel zu gehen“ und zu sagen, dass das ausgehandelte Abkommen „so nicht für uns funktioniert“, so Johnson. Auch einen „harten“ Brexit ohne Abkommen will Johnson nicht ausschließen. Beim morgigen Misstrauensvotum will er für die derzeitige Regierung stimmen – diese sei nicht das Problem.

Barnier: EU „geeint und entschlossen“

Der Brexit-Chefunterhändler der EU-27, Michel Barnier, meldet sich in Straßburg zu Wort: Die EU „bleibt geeint und entschlossen“, ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zu schließen. Er erwarte nun von der britischen Regierung die Aussage, „was der nächste Schritt ist“.

Konservative Deal-Gegner wollen May unterstützen

Der „Guardian“ berichtet, dass jene Abgeordneten von Mays Konservativen, die am Abend gegen Mays Abkommen gestimmt haben, morgen sehr wohl May ihr Vertrauen aussprechen könnten. Das habe man aus einer Quelle innerhalb der European Research Group erfahren, die, geleitet von Jacob Rees-Mogg, einen härteren Brexit fordert.

Dadurch, dass auch so viele Konservative gegen Mays Abkommen gestimmt haben, ist der Platz in der „No“-Lobby eng gewesen: Das Unterhaus besitzt auf jeder Seite einen Gang, der zur Zählung der Abgeordneten genutzt wird. Der Andrang auf der einen Seite war laut Aussagen einiger Abgeordnet enorm. Normalerweise gibt es keine Fotos aus diesen Räumlichkeiten, heute gibt es jedoch zahlreiche Bilder in Sozialen Netzwerken.

Weber: Noch mehr Unsicherheit

Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei bei der Europawahl, Manfred Weber, zeigt sich enttäuscht über das Ergebnis der Abstimmung: „Statt für Klarheit hat das Votum für noch mehr Unsicherheit gesorgt.“

Irland will Vorbereitung auf „harten“ Brexit intensivieren

Die irische Regierung intensiviert nach eigenen Angaben die Vorbereitung auf einen Brexit ohne Abkommen. In einer Erklärung heißt es: „Bedauerlicherweise hat der Ausgang der Abstimmung heute Abend das Risiko eines ungeordneten Brexits erhöht. Folglich wird die Regierung ihre Vorbereitungen auf ein solches Ergebnis weiter intensivieren.“ Die Briten müssten klarmachen, wie es weitergehen solle, heißt es.

Blümel sieht May am Zug

Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) sagt in der ZIB2, dass „von europäischer Seite alles getan“ wurde, jetzt liege der Ball bei der britischen Premierministerin. Er hoffe noch immer auf das Zustandekommen eines Deals, denn „das wäre das Beste für beide Seiten“.

Blümel: „Ball liegt jetzt bei May“

Eine Neuverhandlung zwischen EU und Theresa May werde es nicht geben, so Europaminister Gernot Blümel (ÖVP).

Sturgeon will Verlängerung von Artikel 50

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon sagt gegenüber der BBC, dass die Niederlage Mays von „historischem Ausmaß“ ist. Sie verlangt eine Verlängerung von Artikel 50, und damit einen Aufschub des Ausstiegs Großbritanniens aus der EU. „Sie hat es seit Monaten kommen gesehen und nur Zeit verschwendet“, sagt Sturgeon über May. Was jetzt nicht passieren dürfe, sei, dass May so „weitermacht, als hätte sich nichts verändert“, so die Regierungschefin.

Demonstranten vor dem Parlament zufrieden

Vor dem britischen Parlament freuen sich sowohl Befürworter als auch Gegner des EU-Austritts über die deutliche Ablehnung des Brexit-Abkommens. Mehrere hundert Menschen demonstrieren in bunten Kostümen, mit Flaggen, Plakaten und Rasseln am Westminster Palace friedlich.

„Ich bin sehr zufrieden, aber es ist noch nichts entschieden“, sagt der 25 Jahre alte Simon King der dpa. „Das Problem ist, wenn es Neuwahlen gibt, dann hab ich keinerlei Vertrauen, dass Jeremy Corbyn einen besseren Deal hinbekommt“. Brexit-Anhänger Jonathan Martin (69) sagt: „Vor uns liegt ein Kampf.“ Die Menschen „haben vor zweieinhalb Jahren entschieden, was sie wollen. Und das wurde seitdem stündlich untergraben.“

Brexit-Gegner in London
AP/Frank Augstein

Rufe nach zweitem Referendum

Der Nachrichtensender Sky berichtet, dass sich schon morgen „bis zu 100 Labour-Abgeordnete“ offiziell für ein Referendum aussprechen werden. Der Druck auf Labour-Chef Jeremy Corbyn dürfte diesbezüglich noch zunehmen, wenn das von ihm unmittelbar nach dem Scheitern des Brexit-Deals eingebrachte Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May morgen erfolglos bleiben sollte.

Auch aus den Reihen der Konservativen gibt es Stimmen für ein Referendum. Die Bürger sollten eine Chance bekommen, über den Deal, aber auch einen Verbleib in der EU abzustimmen, sagt der Tory-Mandatar Dominic Grieve.

May hat unmittelbar nach dem Unterhausvotum noch einmal ihr Nein zu einem Referendum bekräftigt. Man würde sich nämlich nicht einmal auf die Frage, geschweige denn auf die Antwort einigen können, hat sie gesagt.

Abgeordnete erwägen Antrag für Aufschub

Britische Abgeordnete erwägen einem Insider zufolge einen Antrag, um das Brexit-Verfahren nach EU-Artikel 50 zu verlängern. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Regierungsminister hätten solche Planspiele für einen Brexit-Aufschub gegenüber Spitzenvertretern der Wirtschaft geäußert, sagt eine an den Gesprächen beteiligte Person.

Abgeordnete im House of Commons
AP/House of Commons/Mark Duffy

Ein spannender Abend geht zu Ende

Die Abstimmung im Londoner Unterhaus ist turbulent und emotional verlaufen. Das Ergebnis lässt weiterhin viele Fragen offen, die heute nicht mehr beantwortet werden. Das Liveticker-Team verabschiedet sich daher und wünscht eine gute Nacht!