Eine Option sei es, „Russland als Aggressor und Kriegsauslöser zu entfernen, damit es nicht länger Entscheidungen über seine eigene Aggression blockieren kann“. Der ukrainische Präsident spielte damit auf das Vetorecht Russlands im UNO-Sicherheitsrat an. Ohne Reformen könnten die Vereinten Nationen „dichtgemacht“ werden, sagte der ukrainische Präsident. „Wir haben es mit einem Staat zu tun, der sein Veto in das Recht umwandelt, den Tod zu verursachen.“
Selenskyj schilderte im Detail entsetzliche Szenen aus Butscha. In der Stadt bei Kiew waren nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte Leichen entdeckt worden, die nach ukrainischen Angaben auf Kriegsverbrechen russischer Soldaten hindeuten. In Butscha seien Menschen „in ihren Wohnungen, in ihren Häusern“ durch Granaten getötet worden, Frauen seien vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt worden. Selenskyj verglich das Vorgehen der russischen Streitkräfte mit dem von „Terroristen“ wie Anhängern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Menschen würden „aus Spaß“ getötet.
UNO: Fast 1.500 tote Zivilisten in Ukraine bestätigt
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft verzeichnete nach eigenen Angaben mehr als 7.000 Meldungen über russische Kriegsverbrechen. Die meisten Opfer habe es in Borodjanka gegeben. Zum Teil lassen sich Angaben nicht unabhängig überprüfen. US-Satellitenbilder zeigen offenbar, dass einige der in dem Kiewer Vorort Butscha gefundenen Leichen bereits vor dem Abzug der russischen Truppen dort lagen.
Der Kreml wies jede Schuld daran zurück und warf der Ukraine vor, mit Spezialeinheiten angebliche Tötungen von Zivilisten in ukrainischen Städten inszeniert zu haben, um Propaganda in den westlichen Medien zu verbreiten.
Die Vereinten Nationen haben seit dem Einmarsch russischer Truppen den Tod von 1.480 Zivilisten in der Ukraine dokumentiert. Zudem seien 2.195 Zivilisten verletzt worden, sagte die UNO-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo.
Viele EU-Länder weisen russische Diplomaten aus
Immer mehr europäische Länder weisen unterdessen russische Diplomaten aus. Nach Deutschland und Frankreich zogen am Dienstag Italien, Spanien, Dänemark, Schweden, Slowenien, Rumänien, Portugal sowie Estland und Lettland nach – insgesamt waren mehr als 200 Diplomaten binnen 48 Stunden betroffen. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zögert mit einem solchen Schritt. Sollte er von den Nachrichtendiensten einen konkreten Fall hören, werde er reagieren. Aber er werde nicht eine größere Zahl von Diplomaten ausweisen. Er sei der Meinung, solche Ausweisungen sollten nicht im nationalen Alleingang erfolgen, sondern vorher in Brüssel abgestimmt werden.
Der Kreml kritisierte die massenhaften Ausweisungen als „kurzsichtig“. „Die Beschränkung der Möglichkeiten für diplomatische Kommunikation und diplomatische Arbeit unter solch beispiellos schwierigen und krisenhaften Bedingungen ist ein kurzsichtiger Schritt“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Zugleich kündigte er russische Gegenmaßnahmen an.
Nehammer reist „in nächsten Tagen“ zu Selensky
Unterdessen gab das Kanzleramt in Wien am Dienstag bekannt, dass Regierungschef Karl Nehammer (ÖVP) „in den nächsten Tagen“ in die Ukraine reisen werde und dort ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj plane. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell werden diese Woche nach Kiew reisen.
Ziel sei es, die Ukraine weiterhin bestmöglich humanitär und politisch zu unterstützen, teilte das Kanzleramt mit. Österreich habe bereits mehr als 17,5 Mio. Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds bereitgestellt sowie 10.000 Helme und über 9.100 Schutzwesten für den zivilen Einsatz geliefert.
Debatte: Welche Rolle spielt der Westen?
Mit den offensichtlichen russischen Verbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung hat der Ukraine-Krieg eine neue Dimension des Terrors erreicht. Wie könnte eine politische Lösung aussehen? Welche Folgen haben mutmaßliche Verbrechen an Zivilisten? Welche Rolle spielt der Westen?
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