Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommt jedoch eine Abtretung von Territorium selbst im Gegenzug für ein Ende des Krieges nicht infrage, wie er am Mittwoch deutlich machte. „Die Ukraine kämpft, bis sie ihr gesamtes Territorium zurück hat“, sagte Selenskyj am Mittwoch bei einer Veranstaltung der Victor-Pinchuk-Stiftung in Davos. Er war digital zu der Diskussion am Rande der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums zugeschaltet.
Die ukrainische Regierung befürchtet, dass Russland sich die Regionen Luhansk, Donezk und Cherson nach dem Vorbild der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleiben könnte. 2019 hatte Putin bereits den Einwohnern der abtrünnigen ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk die Einbürgerung vereinfacht. Hunderttausende Menschen erhielten russische Pässe.
Aufhebung der Altersgrenze im Militär
Was die Altersgrenze betrifft, erteilte neben der Staatsduma auch das Oberhaus seine Zustimmung. Nun fehlt nur noch die Unterschrift von Präsident Putin. Ziel sei es, so die Abgeordneten, die Streitkräfte zu stärken. Derzeit können nur Russen zwischen 18 und 40 Jahren und Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren in der russischen Armee kämpfen.
Die russische Armee hat im Krieg bereits erhebliche Verluste erlitten. Unklar ist, wie hoch diese sind. Die offiziellen Zahlen des Verteidigungsministeriums stammen vom 25. März mit bis zu diesem Zeitpunkt 1.351 gefallenen russischen Soldaten. Seither gab es keine Aktualisierung der Daten. Die Ukraine und auch westliche Geheimdienste gehen von wesentlich höheren Opferzahlen auf russischer Seite aus.
Russen kesseln Sjewjerodonezk ein
Dennoch machen die russischen Truppen im Osten leichte Fortschritte. Große Teile der Region Luhansk im Osten der Ukraine stehen bereits unter russischer Kontrolle. Nun ist auch die früher 100.000 Einwohner zählende Stadt Sjewjerodonezk nahezu vollständig von russischen Truppen eingekesselt. Nur ein kleiner Korridor ist noch unter ukrainischer Kontrolle. „Die Stadt wird rund um die Uhr zerstört“, sagte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, gegenüber dem ukrainischen Fernsehen.
Die russischen Truppen seien so nahe an die Stadt gekommen, dass sie mit Mörsergranaten beschossen werden könne. Die Situation in der Stadt sei sehr schwierig. Die Bombardierung von Sjewjerodonezk sei so intensiv gewesen, dass es für die verbliebenen 15.000 Zivilisten und Zivilistinnen zu spät ist, die Stadt zu verlassen. Gajdaj beschuldigt zudem die russischen Truppen, die Asot-Fabrik beschossen zu haben, in der sich Zivilisten in Luftschutzkellern versteckt haben.
„Stadt der Geister“
Vergangene Woche hatte Russland die Kontrolle über Mariupol übernommen. Petro Andruschtschenko, Berater des Bürgermeisters der zerstörten Hafenstadt, gab im CNN-Interview einen Einblick in die Situation für die Überlebenden. Diese könnten sich nicht frei bewegen, es gebe kaum Licht, und nur langsam werde das Mobilfunknetz wieder aufgebaut. Andruschtschenko geht von mindestens 22.000 Toten in Mariupol aus auf Basis von Angaben von Beamten aus der Stadt, er rechnet aber mit einer wesentlich höheren Zahl.
Die EU-Kommission will noch heute einen Vorschlag vorlegen, wie russisches Vermögen beschlagnahmt und für den Wiederaufbau der Ukraine genutzt werden kann. Nach jüngsten Zahlen haben russische Oligarchen seit Kriegsbeginn im Februar Vermögen für etwa zehn Milliarden Euro verloren. Außerdem wird ein Vorschlag erwartet, das Umgehen von Sanktionen in der EU unter Strafe zu stellen.
Debatte: Wie Frieden erreichen?
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine nimmt kein Ende – eine Lösung ist nicht in Sicht. Wie kann Russlands Präsident Wladimir Putin an den Verhandlungstisch geholt werden? Wie lässt sich Frieden besser durchsetzen: mit militärischer Stärke oder Diplomatie? Wiederholen sich jetzt die Debatten des Kalten Krieges?
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