In der strategisch wichtigen Stadt Sjewjerodonezk in der Region Luhansk kontrollieren die russischen Streitkräfte mittlerweile „80 Prozent der Stadt“, wie Regionalgouverneur Serhij Gajdaj mitteilte. Ukrainische Soldaten halten sich noch im Industriegebiet der Stadt verschanzt. Das ukrainische Militär will Sjewjerodonezk nicht an die russischen Truppen verloren geben.
„Die Lage ist schwierig, aber sie ist besser als gestern. Und sie ist unter Kontrolle“, sagte der stellvertretende Generalstabschef Olexij Hromow vor Journalisten in der Hauptstadt Kiew. Es gebe sehr blutige Straßenkämpfe in Sjewjerodonezk, sagte Hromow.
Hromow und die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar zogen mit Blick auf den 100. Kriegstag an diesem Freitag Bilanz. „Unser Widerstand ist nach all den Monaten ungebrochen. Der Feind hat seine selbst gesteckten Ziele nicht erreicht“, sagte Maljar. „Wir sind bereit für einen Langzeitkrieg. Wir haben uns auf einen langen Krieg eingestellt.“
Raketenangriffe auf mehrere ukrainische Regionen
Unterdessen meldeten auch andere ukrainische Regionen Luft- und Raketenangriffe. Konkret sprach die Ukraine von Angriffen auf Lwiw im Westen, die nördliche Region Sumy und das benachbarte Gebiet Charkiw. Explosionen waren auch in der südlichen Hafenstadt Odessa zu hören.
Die russischen Truppen im Osten der Ukraine versuchen nach Angaben des Gouverneurs der Region Donezk, Pawlo Kyrylenko, nun, weiter nach Süden vorzurücken. Sie wollten zu den vom ukrainischen Militär kontrollierten Städten Kramatorsk und Slowiansk vordringen – das seien die Schlüsselziele im Norden der Region Donezk. Die Fronten bei den Städten Lyman und Isjum seien die Hauptrichtungen. Kramatorsk ist seit 2014 de facto die Hauptstadt der Region Donezk, nachdem die gleichnamige Stadt von den von Russland unterstützten Separatisten eingenommen wurde.
Waffenlieferungen und Ölembargo
Im Osten der Ukraine sterben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj zufolge täglich 100 Menschen. 400 bis 500 würden verletzt, sagt er. Er sei dankbar für die Hilfe, die die Ukraine bisher erhalten habe. Es seien aber noch mehr Waffen nötig. Die Ukraine hofft dabei unter anderem auf die kürzlich von den USA zugesagten Mehrfachraketenwerfer, die über eine größere Reichweite und Präzision verfügen. Auch Deutschland will der Ukraine bis Ende Juni vier Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II liefern.
Um Russland wirtschaftlich weiter zu schwächen, haben die Botschafter der EU-Staaten zudem das sechste Sanktionspaket gegen Russland gebilligt. Die Einigung sei möglich geworden, nachdem 26 der 27 EU-Staaten dem Wunsch Ungarns nachgekommen seien und den Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche Kiryll, ein enger Verbündeter der russischen Regierung, von der Sanktionsliste genommen hätten. Die Sanktionen sollen am Freitag um 9.00 Uhr MEZ in Kraft treten, wenn bis dahin kein Mitgliedsstaat Widerspruch einlegt. Kern der Sanktionen ist ein Teilembargo gegen russisches Öl.
Debatte: Wie Frieden erreichen?
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine nimmt kein Ende – eine Lösung ist nicht in Sicht. Wie kann Russlands Präsident Wladimir Putin an den Verhandlungstisch geholt werden? Wie lässt sich Frieden besser durchsetzen: mit militärischer Stärke oder Diplomatie? Wiederholen sich jetzt die Debatten des Kalten Krieges?
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