Es sei zu erwarten, dass Russland die Bombardierung von Sjewjerodonezk und der Zwillingsstadt Lyssytschansk verstärken werde. „Mörser, Artillerie, Panzer, Luftangriffe, alles fliegt gerade dorthin“, sagte Gajdaj. Vermutlich werde Russland seine Bemühungen ganz auf die Offensive konzentrieren und alles andere dafür stoppen.
Sjewjerodonezk wird zum Teil von russischen Truppen kontrolliert. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte erklärt, die russischen Streitkräfte hätten die Wohngebiete der Stadt voll unter Kontrolle. Gajdaj hatte das gestern dementiert, die Verteidigung der Stadt aber als „Mission Impossible“ bezeichnet.
Eine Einnahme von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk würde Russland den Vormarsch auf die Großstadt Kramatorsk in der Region Donezk ermöglichen. Moskau käme somit seinem Ziel der vollständigen Eroberung des Donbas einen entscheidenden Schritt näher. Der Generalstab in Kiew teilte mit, dass man dem Ansturm standhalte.
Selenskyj kündigt „Buch der Folterer“ an
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte, dass sich „die Situation an der Front in den letzten 24 Stunden nicht wesentlich verändert hat“ und dass „die absolut heroische Verteidigung des Donbas weitergeht“. Er sagte, dass mehr als 31.000 russische Soldaten seit Kriegsbeginn getötet worden seien. „Es wird jedoch der Tag kommen, an dem selbst für Russland die Zahl der Verluste inakzeptabel wird“, sagte er. Eine unabhängige Bestätigung der Zahl der Toten ist nicht möglich.
Selenskyj kündigte unterdessen ein neues Informationssystem zu Kriegsverbrechen an. In einem „Buch der Folterer“ sollen bestätigte Informationen über Kriegsverbrecher und Kriminelle der russischen Armee gesammelt werden. „Ich habe wiederholt betont, dass sie alle zur Rechenschaft gezogen werden. Und wir gehen das Schritt für Schritt an“, sagte der Präsident.
Getreideexporte: Lawrow in Türkei
Der russische Außenminister Sergej Lawrow traf inzwischen in Ankara mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu zusammen. Dieser sprach von einem „fruchtbaren Gespräch“. Er sehe den Willen, zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zurückzukehren. Auch sehe er den Plan der Vereinten Nationen zum Export des blockierten ukrainischen Getreides als vernünftig an. Es müsse darum gehen, den Schiffen sicheres Geleit zu geben.
Lawrow hält den Export des blockierten ukrainischen Weizens auf dem Seeweg für möglich. Voraussetzung sei, dass die Ukraine die Zugänge zu ihren Häfen entmine, sagte Lawrow nach dem Treffen mit Cavusoglu. Im Übrigen verlaufe die „militärische Sonderoperation“ Russlands in der Ukraine nach Plan, fügte Lawrow hinzu.
Debatte: Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
Mehr als drei Monate dauert der russische Angriffskrieg in der Ukraine bereits. Anfängliche Friedensverhandlungen sind eingefroren. Wie sind die bisherigen Reaktionen des Westens zu bewerten? Welche Chancen hat die Diplomatie derzeit? Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
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