Die ukrainische Armee hat in den letzten Wochen „wahrscheinlich“ Desertionen erlebt, angesichts der seit Wochen andauernden schweren Kämpfe im Donbas. Auch die Kampfmoral der russischen Truppen „bleibt höchstwahrscheinlich weiterhin sehr mangelhaft“. Es gebe weiter Fälle, in denen „ganze russische Einheiten Befehle verweigern und sich Offiziere und Truppen bewaffnete Auseinandersetzungen liefern“.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg rechnet unterdessen mit einem jahrelangen Krieg um die Ukraine. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass er Jahre dauern könnte“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Deshalb dürfe man nicht nachlassen in der Unterstützung der Ukraine gegen Russland. Die Kosten dafür seien hoch, weil die Militärhilfe teuer sei und die Preise für Energie und Lebensmittel steigen. Aber das sei kein Vergleich zu dem Preis, den die Ukraine jeden Tag mit vielen Menschenleben zahle.
„Zahlen sonst viel höheren Preis“
Wenn man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht entschieden entgegentrete, „dann bezahlen wir einen viel höheren Preis“, sagte Stoltenberg. Auch nach Einschätzung des britischen Premierministers Boris Johnson muss sich der Westen auf einen langen Krieg einstellen. Das bedeute sicherzustellen, dass „die Ukraine schneller Waffen, Ausrüstung, Munition und Ausbildung erhält als der Eindringling“, schreibt er in einem Gastbeitrag für die Londoner „Sunday Times“.
Selenskyj auf Frontbesuch
Am Samstag hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges die Frontlinie in der Südukraine besucht. Auf einem offiziellen Video war zu sehen, wie er ein schwer beschädigtes Gebäude der Regionaladministration in Mykolajiw inspizierte.
Mykolajiw ist ein wichtiges militärisches Ziel der russischen Truppen. Die Einnahme der Stadt würde den Weg nach Odessa, der wichtigsten ukrainischen Hafenstadt, frei machen. Mykolajiw liegt zudem unweit der Region Cherson, die gänzlich unter Kontrolle der russischen Truppen steht.
„Kein sicherer Ort mehr“ in Luhansk
Im ostukrainischen Donbas gehen die Kämpfe weiter. Die prorussischen Separatisten in Donezk meldeten fünf tote und zwölf verletzte Zivilisten durch ukrainischen Artilleriebeschuss. Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, warnte vor einer weiteren Eskalation der russischen Kriegsführung in der Region. „Es ist gut, dass der Westen uns hilft, aber das kommt zu spät“, sagte er in einem Interview. In der Region Luhansk gebe es angesichts der russischen Angriffe „keine sicheren Orte mehr“.
Debatte: Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
Mehr als drei Monate dauert der russische Angriffskrieg in der Ukraine bereits. Anfängliche Friedensverhandlungen sind eingefroren. Wie sind die bisherigen Reaktionen des Westens zu bewerten? Welche Chancen hat die Diplomatie derzeit? Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
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