„Das Muster ist erkennbar“, sagte Habeck am Dienstag in Berlin. Russlands Präsident Wladimir Putin wolle immer wieder Ängste schüren, unter anderem vor Armut. Die Menge an Gas werde reduziert, um die Preise hochzutreiben. „Diese Strategie darf nicht erfolgreich sein.“ Vorstellbar sei auch, dass Putin Engpässe bei Lebensmitteln schüren könnte, vor allem bei Weizen.
Die ökonomische Situation durch fehlende Energielieferungen könne sogar noch schlimmer werden als durch die Pandemie. Über Monate seien Belastungen für die Wirtschaft möglich. Es gehe um ganze Existenzen von Firmen, so Habeck. Die Gasspeicher seien noch nicht voll genug, nur zu etwa 60 Prozent. Sollte Deutschland mit halbvollen Speichern in den Winter gehen, drohe eine schwere Wirtschaftskrise. Viele Industrieprozesse funktionieren Experten zufolge ohne ausreichende Gasmengen nicht mehr.
Wegen der Verringerung von Gaslieferungen aus Russland haben die deutsche Netzagentur und das deutsche Wirtschaftsministerium einen dreistufigen Notfallplan entwickelt. Deutschland befindet sich derzeit in Phase 1. Ob und wann Deutschland in die zweite Phase eintritt, muss das Ministerium entscheiden. Die Lage werde kontinuierlich geprüft, sagten zwei mit den Plänen vertraute Personen.
Berichte über Verschärfung der Lage
Laut einem Bericht der „Welt“ hat Patrick Graichen, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, die Energiewirtschaft am Montag auf eine Verschärfung der Lage vorbereitet. Das deutsche Wirtschaftsministerium will hingegen nicht über die Ausrufung der nächsten Stufe im Notfallplan Gas spekulieren.
Eine Sprecherin sagte am Dienstag auf Anfrage der dpa in Berlin: „Für die Stufen des Notfallplans Gas gelten die gesetzlichen Regelungen und Vorgaben. Nach diesen Vorgaben entscheiden wir und spekulieren nicht darüber. Es wird jeweils nach aktueller Lage und aktuellem Lagebild entschieden.“ Die Versorgungssicherheit sei aktuell weiter gewährleistet, aber die Lage sei ernst.
Auch Schweden hatte zuletzt angesichts der stark reduzierten Gaslieferungen aus Russland reagiert und die Frühwarnstufe für den Gasnotfallplan für mehrere Landesteile verhängt. Die Stufe gilt laut Energiebehörde für Landesteile im Westen und Süden Schwedens, um sich auf potenzielle Lieferunterbrechungen vorzubereiten. Dänemark hat im Zuge des Ukraine-Krieges gestern eine ähnliche Warnung ausgesprochen. In Österreich gilt derzeit die Frühwarnstufe und damit die erste Eskalationsstufe des Notfallplans Gas.
Neuer Entwurf: Weitere Sanktionen geplant
Die EU hat seit dem Beginn von Moskaus Invasion in der Ukraine bereits sechs Sanktionspakete gegen Russland und Weißrussland verabschiedet. „Die EU-Staats- und Regierungschefs werden am Ende ihres regulären Gipfels am 23. und 24. Juni die Arbeit an den Sanktionen fortsetzen, auch um deren Umsetzung zu verstärken und ihre Umgehung zu verhindern“, heißt es in der letzten Fassung ihres Entwurfs für Schlussfolgerungen vom 20. Juni, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt.
Der Text stellt einen Kompromiss zwischen den nordischen und östlichen Ländern dar, die auf ein siebtes Paket in der Gipfelerklärung gedrängt haben, und Nationen wie Deutschland und Belgien, die sich auf die Anwendung bestehender Maßnahmen konzentrieren wollen, anstatt sofort neue hinzuzufügen.
Gold als mögliches nächstes Ziel
Laut Informationen, die Reuters vorliegen, arbeitet die Europäische Kommission daran, auch Gold in die nächste Sanktionsrunde aufzunehmen – wobei noch nicht klar ist, ob die Maßnahme Exporte nach Russland, Importe aus Russland oder beides verbieten könnte.
Gold ist ein wichtiger Vermögenswert für die russische Zentralbank, die aufgrund der westlichen Sanktionen nur eingeschränkt auf einige ihrer im Ausland gehaltenen Vermögenswerte zugreifen kann.
Westen plant Preisgrenze für russisches Öl
Auch die USA und Kanada planen neue Maßnahmen. US-Finanzministerin Janet Yellen gab bei einem Besuch in Kanada entsprechende Verhandlungen mit westlichen Alliierten bekannt. Geplant sei, die Finanzierung und Versicherung russischer Ölexporte per Schiff ab einer gewissen Menge zu verbieten. Die Einnahmen aus dem Ölverkauf sind die wichtigste Finanzierungsquelle für Moskau. Es nimmt daraus trotz der Sanktionen weiter mehr ein, als der Krieg Russland kostet.
Russland hat die Ölverkäufe bereits stark umgeleitet – deutlich weniger nach Europa, dafür mehr vor allem nach China und Indien. Der Export dorthin ist großteils nur per Schiff möglich.
„Extrem schwierige Lage“ in Luhansk
Militärisch gerät die Ukraine im Donbas noch mehr unter Druck. Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, spricht nun von einer „extrem schwierigen Lage“. Russland habe genügend Truppen für eine neue Großoffensive gesammelt. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, es gebe schwierige Kämpfe in Luhansk um die Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk.
Selenskyj: Haben Beitrittsstatus verdient
In seiner nächtlichen Videoansprache bekräftigte Selenskyj, dass die Ukraine seiner Meinung nach zu Europa gehört und den Status als EU-Beitrittskandidat verdient hat. Das von Russland angegriffene Land beweise jeden Tag, dass es schon jetzt Teil eines vereinten europäischen Werteraums sei, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht. Die Bestrebungen der Ukraine, der EU beizutreten, machten Russland sehr nervös, meinte er.
Debatte: Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird mit unverminderter Härte geführt. Anfängliche Friedensverhandlungen sind eingefroren. Wie sind die bisherigen Reaktionen des Westens zu bewerten? Welche Chancen hat die Diplomatie derzeit? Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
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