In Sjewjerodonezk gibt es laut Bürgermeister Strjuk auch keine Möglichkeit mehr, die Stadt in Richtung ukrainisch kontrollierten Territoriums zu verlassen. Die russischen Truppen hätten bereits begonnen, eine eigene Verwaltung in der Stadt einzusetzen. Nach der Einnahme von Mariupol ist Sjewjerodonezk die nächste strategisch bedeutende ukrainische Stadt, die von russischen Truppen eingenommen wurde.
Am Samstag griff Russland wieder weit von der Front entlegene Landesteile an. „20 Raketen“ seien von belarussischem Gebiet und aus der Luft auf das Dorf Desna abgeschossen worden, teilte das ukrainische Nordkommando in der Früh mit. Opfer gab es demzufolge aber keine.
Es sei Infrastruktur getroffen worden, erklärte die ukrainische Armee, ohne mitzuteilen, ob es sich um militärische Infrastruktur handelte. Das Dorf Desna, das vor dem Krieg 7.500 Einwohner zählte, liegt 70 Kilometer nördlich von Kiew und zugleich 70 Kilometer südlich der Grenze zu Belarus. Sämtliche Angaben beider Seiten können nicht unabhängig überprüft werden.
Atomwaffenfähige Raketen: Putin eskaliert
Der russische Machthaber Wladimir Putin eskaliert den indirekten Konflikt mit NATO und EU – aktuell rund um die russische Exklave Kaliningrad – weiter: Zum Auftakt eines Treffens mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko kündigte Putin an, „in den nächsten Monaten“ das Raketensystem Iskander-M an Belarus zu liefern, das auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann.
Kiew: Halten Nachschubweg Richtung Lyssytschansk
Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben Angriffe auf eine wichtige Nachschubroute für die Großstadt Lyssytschansk im Osten des Landes abgewehrt. „In Richtung Bachmut haben die ukrainischen Kämpfer den Angriff feindlicher Infanterie zwischen den Ortschaften Wolodymyriwka und Pokrowske gestoppt“, teilte der ukrainische Generalstab am Samstag mit. Von Bachmut aus führt eine wichtige Versorgungsstraße an den genannten Ortschaften vorbei nach Lyssytschansk.
Die Stadt selbst, die nach dem weitgehenden Rückzug der Ukrainer aus dem benachbarten Sjewjerodonezk zum nächsten strategischen Angriffsziel der Russen geworden ist, steht weiter schwer unter Beschuss. Sowohl Artillerie als auch die russische Luftwaffe hätten Lyssytschansk unter Feuer genommen. Zudem hätten russische Truppen „versucht, die Stadt von Süden her zu blockieren“, berichtete der Generalstab. Das russische Militär hatte zuvor mitgeteilt, dass Lyssytschansk von Süden aus blockiert worden sei.
Angriffe hat es demnach auch auf den Ballungsraum Slowjansk – Kramatorsk – Kostjantyniwka gegeben. Sowohl von Norden als auch von Süden her seien die russischen Sturmversuche aber zurückgeschlagen worden, heißt es im Lagebericht.
Landesweiter Luftalarm in der Nacht
Im Süden des Landes hätten die Russen zudem erfolglos versucht, zuvor verloren gegangene Positionen im Gebiet Cherson mit einem Gegenangriff zurückzuerobern. In der Schwarzmeer-Region, die bereits in den ersten Kriegstagen von Russland besetzt wurde, haben die Ukrainer zuletzt eine begrenzte Offensive gestartet und einige Ortschaften zurückerobert. Von strategischer Bedeutung sind diese Gebietsgewinne bisher allerdings nicht.
In der Nacht auf Samstag war landesweit Luftalarm ausgelöst worden, wie aus einem Lagebericht hervorgeht. Der ukrainischen Nachrichtenseite 24tv zufolge gab es Berichte über Explosionen aus der Stadt Saporischschja im Südosten des Landes – ebenso wie aus der zentralukrainischen Stadt Dnipro. Die genauen Hintergründe waren zunächst unklar.
Samstagfrüh hieß es, bei einem russischen Raketenangriff auf eine Militäranlage in Jaworiw in der Westukraine seien vier Menschen verletzt worden. Die russischen Streitkräfte hätten sechs Raketen vom Schwarzen Meer aus abgefeuert, sagte der Gouverneur der Region Lwiw, Maxim Kosizky, in einer Videobotschaft. Vier Raketen hätten den Stützpunkt getroffen, zwei seien von der ukrainischen Luftabwehr abgefangen und zerstört worden. Bei einem russischen Angriff auf ein Ausbildungslager des ukrainischen Militärs in der Nähe von Jaworiw im März waren nach Behördenangaben 35 Menschen getötet und mindestens 130 verletzt worden.
Debatte: Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird mit unverminderter Härte geführt. Anfängliche Friedensverhandlungen sind eingefroren. Wie sind die bisherigen Reaktionen des Westens zu bewerten? Welche Chancen hat die Diplomatie derzeit? Was könnte Russland zum Frieden bewegen?
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