Wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft betonte, würden die Kämpfe noch andauern. Die ukrainische Flagge sei in Lyman, aber es gebe weiter Kämpfe. Moskau hatte davor den Rückzug aus der Stadt angekündigt und das damit begründet, einer drohenden Einkesselung entgehen zu wollen. Unklar scheint damit, wie die Lage in Lyman tatsächlich ist.
Russland hatte Lyman, wo vor Kriegsausbruch 20.000 Menschen lebten, im Mai eingenommen. Seitdem baute Russland die Stadt zu einem militärischen Logistik- und Transportzentrum aus. Mit der Rückeroberung Lymans ist für die ukrainische Armee der Weg bis tief in die übrigen Teile von Donezk, das zusammen mit Luhansk den Donbas bildet, frei. Teile der Gebiete kontrollieren seit 2014 prorussische Separatisten.
Unklar ist auch, ob und wenn ja, wie viele russische Soldaten nun in ukrainischer Kriegsgefangenschaft sind. Samstagfrüh sprach Kiew von 5.000 russischen Soldaten, die sich noch in der Stadt aufhalten würden.
Kadyrow für Einsatz von Atomwaffen
Der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, rät dem Kreml unterdessen, Nuklearwaffen in der Ukraine einzusetzen. Die russische Verteidigungsdoktrin sieht deren Einsatz zur Verteidigung des eigenen Territoriums vor. In den Augen des Kreml gehört Lyman mit den völkerrechtswidrigen Annexionen seit Freitag zu Russland.
Der britische Geheimdienst vermutet unterdessen Munitionsengpässe auf russischer Seite, da nach seiner Einschätzung von Moskau bei der Bodenoffensive mittlerweile Abwehrraketen eingesetzt werden – Waffen, die üblicherweise nur in begrenzter Zahl vorhanden sind und als strategisch wertvoll gelten, weil sie eigentlich für den Abschuss von Flugzeugen und anderen Geschoßen bestimmt sind.
Kiew: Chef von AKW Saporischschja entführt
Am Samstag wurde auch bekannt, dass der Chef des seit März von Russland besetzten Atomkraftwerks Saporischschja, Ihor Muraschow, laut Angaben Kiews am Freitag entführt wurde. Der Betreibergesellschaft Enerhoatom zufolge wurde Muraschow von einer russischen Patrouille beim AKW auf der Straße gestoppt, aus dem Auto gezerrt und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht.
Eine Erklärung von russischer Seite gab es zunächst nicht. Muraschow, der die Hauptverantwortung für das sichere Funktionieren und die nukleare Sicherheit der Anlage trage, müsse sofort freigelassen werden, forderte der Präsident von Enerhoatom, Petro Kotin. Er appellierte auch an den Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, sich für Muraschows Freilassung einzusetzen. Die IAEA teilte am Samstagvormittag mit, dass sie die russischen Behörden kontaktiert und eine Aufklärung gefordert habe.
NATO-Beitrittsantrag nach Putin-Rede
Mit der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Annexion besetzter Gebiete durch Russland ist eine neue Eskalation im Angriffskrieg gegen die Ukraine erreicht worden. Die Ukraine reagierte sofort mit der Unterzeichnung eines Antrags für einen NATO-Beitritt. Die baltischen Staaten zeigten sich dem offen gegenüber, Deutschland bremst etwas.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach auch von einer „offenen Tür“ der NATO, eine Entscheidung müsse aber von allen Mitgliedsstaaten getroffen werden. Derzeit konzentriere man sich auf die unmittelbare Unterstützung der Ukraine.
Wie fern ist Frieden?
Russland reagierte auf die erfolgreiche Offensive der Ukraine im Osten des Landes nun mit einer Teilmobilmachung. Ob das militärisch schnell Folgen zeitigt, wird von Militärexperten aber infrage gestellt. Wie wird sich der Krieg in den kommenden Wochen und dann im Winter weiterentwickeln? Welche Folgen hat die Teilmobilmachung für die Stimmung in Russland? Wie weit ist Frieden in die Ferne gerückt?
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