Industriegebiet hinter einer Diskothek in Freiburg
picturedesk.com/dpa/Patrick Seeger
Vergewaltigung in Freiburg

Deutsche Polizei in Erklärungsnot

Eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 18-jährigen Studentin im deutschen Freiburg sorgt weiter für Aufregung. Am Freitag gab die Polizei Details zu den Ermittlungen bekannt. Vor allem ein bereits aufrechter Haftbefehl gegen den Hauptverdächtigen sorgt für scharfe Kritik: Nun versuchten die Ermittler die späte Festnahme des als „Intensivtäter“ bezeichneten Mannes zu erklären.

Der mittlerweile 22-Jährige soll seit dem Sommer mehrere Straftaten begangen haben, darunter „drei Körperverletzungsdelikte“ sowie „zwei Taten mit Sexualbezug“, hieß es bei der Pressekonferenz. Gegen ihn wird bereits in einem anderen Vergewaltigungsfall ermittelt, der sich letztes Jahr zugetragen haben soll.

Ein Haftbefehl wurde wenige Tage vor der Tat beantragt, aber erst nach der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung vollstreckt. Das sorgte auch in der Politik für Aufruhr. So forderte der Baden-Württembergische FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke von Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) Aufklärung, warum nicht früher gehandelt wurde.

Polizei verteidigt verspätete Festnahme

Die Polizei verteidigte am Freitag jedoch ihr Vorgehen. Einerseits habe man nicht das Personal, um sofort zu handeln, hieß es vom Leiter der Ermittlungsgruppe. Andererseits sei der Mann auch wegen Drogenhandels unter Beobachtung gestanden, man wollte sicherstellen, dahingehendes Beweismaterial zu erhalten. Die Festnahme war für den 23. Oktober geplant. Dass Medien schreiben, „die Polizei hätte das verhindern können“ sei im Prinzip korrekt, so der Leiter, aber bei der Planung im Oktober „war das so nicht absehbar“.

Insgesamt konnte die Polizei bisher acht Männer festnehmen, sieben syrische Staatsangehörige im Alter „zwischen 19 und 29 Jahren“ und einen 25-jährigen Deutschen. Zwei weitere DNA-Spuren konnten ausfindig gemacht werden, nach den Verdächtigen wird gefahndet.

Fünf mutmaßliche Täter sind bereits zuvor strafrechtlich in Erscheinung getreten, dabei handle es sich um Vergehen wie „Leistungserschleichung“ „bis hin zu Raub“ sowie Drogendelikte. Die Ermittler attestierten drei von ihnen eine „Nähe“ zur Kurdenmiliz YPG, die sich aber nicht verifizieren lasse. Die YPG ist der syrische Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Türkei betrachtet beide gleichermaßen als Terrororganisationen. In der EU und den USA steht jedoch nur die PKK auf der Terrorliste. Die YPG dagegen ist ein wichtiger Partner der USA im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Hilfe im Krisenfall

Opfer sexueller Belästigung und Gewalt können telefonisch und im Internet Hilfe finden. Unter 0800 222 555 ist die Frauenhelpline gegen Gewalt erreichbar, die Männerberatung unter 01 603 28 28. Auf den jeweiligen Websites gibt es zudem viele Infos und Links. Im beruflichen Umfeld berät und unterstützt die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Opfer wird psychologisch betreut

Das Opfer der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung wird unterdessen psychologisch und medizinisch intensiv betreut. „Das Opfer wirkt für uns stabil“, sagte der stellvertretende Leiter der Kriminalpolizeidirektion, Bernd Belle. Die junge Frau habe vor Kurzem aber auch berichtet, dass die große Medienberichterstattung für sie langsam belastend sei. „Wir begleiten das Opfer fast täglich“, sagte Belle. Der Opferschutz sei ebenfalls eingeschaltet.

Fall Freiburg heizt politische Debatte an

Mit den neuen Erkenntnissen wird die Tat wohl auch weiter politisch instrumentalisiert werden. Bereits am Montag rief die AfD zu einer Versammlung in Freiburg auf, bis zu 500 Menschen schlossen sich der Demonstration an. Fast dreimal so viele Menschen bildeten eine spontane Gegendemonstration.

Bei der Pressekonferenz sagte der Polizeipräsident von Freiburg, Bernhard Rotzinger, dass die Sexualverbrechen in der rund 230.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Stadt an der französischen Grenze zuletzt zugenommen hätten. Der Anteil der „Nichtdeutschen, wie wir das nennen“, so Rotzinger, betrage ungefähr 50 Prozent. Dadurch seien „Nichtdeutsche“ als Tatverdächtige in der Statistik „überrepräsentiert“.

Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn sprach sich gegen eine Instrumentalisierung der Tat aus: „Den Wunsch für mehr Sicherheit in Freiburg finde ich legitim, aber die politische Instrumentalisierung ist sehr schade und schlecht.“ Es gebe aber auch einen Nachholbedarf: Über leichtere Abschiebungen von Straftätern müsse nachgedacht werden, die Stärkung von Polizei und Justiz sei nötig, sagte Horn.

Kriminologe: „Anzeigequote bei Fremden höher“

Expertinnen und Experten blicken differenziert auf die Lage. Zwar weisen Statistiken des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) eine Zunahme der von Zuwanderern begangenen Sexualstraftaten aus: 2017 seien 5.258 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erfasst worden, bei denen mindestens ein Zuwanderer als Tatverdächtiger ermittelt wurde – das waren 1.854 mehr als im Jahr 2016. „Aber man muss berücksichtigen, dass die Reform des Sexualstrafrechts statistisch zu höheren Fallzahlen geführt hat“, sagte BKA-Sprecherin Sandra Clemens.

„Für die Beurteilung ist ein Faktum wichtig, das von der AfD gemieden wird wie die Pest“, sagte der Kriminologe Christian Pfeiffer. „Die Anzeigequote bei Sexualdelikten ist deutlich höher, wenn es sich bei den Tätern um Fremde handelt.“ Ein Grund dafür seien unterschwellige Ängste und Bedrohungsgefühle. „Das ist ein internationales Phänomen, in jedem Land der Welt werden Fremde eher angezeigt als Einheimische.“ Zudem sagte Pfeiffer, dass jungen Männern aus islamisch-konservativ geprägten Ländern vermittelt worden sei, „dass Frauen sich zu fügen haben“, so der Kriminologe.

Die Integrationsbeauftragte der deutschen Regierung, Annette Widmann-Mauz, forderte, Asylbewerber über Sexualität und Gleichberechtigung in Deutschland zu informieren. Dazu gehöre auch, dass es für sexuellen Missbrauch und andere Gewalttaten null Toleranz gibt, sagte die CDU-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Großteil der Straftaten wird dennoch von Deutschen verübt: Die deutsche Kriminalstatistik erfasst insgesamt 39.829 mutmaßliche Sexualstraftaten, 28,7 Prozent davon wurden von „Nichtdeutschen“ verübt.