Theresa May und Jean-Claude Juncker
AP/Francisco Seco
„Brexit“-Poker

Ratlosigkeit auf beiden Seiten

Obwohl die Zeit langsam knapp wird: Die EU und Großbritannien wollen offenbar noch einmal ausführlich über die Modalitäten des „Brexits“ sprechen. Den Anfang machte ein Termin der britischen Premierministerin Theresa May, die inzwischen mit ernsten innenpolitischen Schwierigkeiten kämpft, Dienstagabend in Brüssel. Die EU sicherte Hilfe zu. Wie die aussieht, ist aber unklar, feilschen will man wohl kaum.

Es sei klar, dass die „EU-27 helfen möchten“, den Austrittsvertrag zu retten, hieß es nach einem Treffen mit May Dienstagabend von EU-Ratspräsident Donald Tusk. Aber: „Die Frage ist, wie.“ Tusk sprach von einer „langen und offenen Diskussion“. Nach dem Termin bei ihm folgte einer bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

May versucht aktuell nach eigenen Worten, weitere „Zusicherungen“ von der EU zu bekommen, erhielt dahingehend zuletzt aber nur Absagen. Nun spreche man erneut und stehe dabei erst am Beginn, sagte die britische Regierungschefin. Allerdings wird der Fristenlauf für den mit März geplanten „Brexit“ langsam eng.

Knackpunkt „Backstop“

Knackpunkt ist derzeit vor allem das Thema „Backstop“ – eine Übergangslösung, nach der London vorerst in einer Zollunion bleibt. Den Briten stößt dabei sauer auf, dass sie laut aktuellem Stand der Gespräche diese nicht einseitig verlassen können sollen. Ziel des „Backstops“ ist es, eine „harte“ Zollgrenze auf der Insel Irland zwischen dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland und der weiterhin zur EU gehörenden Republik Irland zu verhindern.

Irland-„Backstop“ „bleibt unangetastet“

Die ORF-Korrespondentinnen Eva Pöcksteiner (London) und Raphaela Schaidreiter (Brüssel) analysieren die Möglichkeiten beim „Brexit“-Streitthema „Backstop“.

Auch für Kurz „definitiv keine Nachverhandlung“

Tusk, aber auch Juncker hatten bereits vor dem Treffen am Abend in Brüssel Neuverhandlungen neuerlich ausgeschlossen. „Der Deal, den wir erreicht haben, ist das Beste, was wir bieten können. Das ist der einzige Deal. Es gibt keinen Raum für Neuverhandlungen“, war Juncker zitiert worden. Tusk hatte sich lediglich bereit gezeigt zu „diskutieren, wie die Ratifizierung durch das Vereinigte Königreich erleichtert werden kann“. Neuverhandlungen gebe es aber nicht.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht keine Chance für das Aufschnüren des „Brexit“-Abkommens. „Es wird definitiv keine Nachverhandlung über den Austrittsvertrag geben“, sagte er der britischen „Financial Times“ (Dienstag-Ausgabe). „Der Deal, den wir im Moment haben, ist ein guter und ausgewogener Deal, und ich glaube, es liegt im Interesse von uns allen, ein No-Deal-Szenario zu vermeiden.“

Zum Thema „Backstop“ hielt Kurz nach einem Telefonat mit May am Dienstag fest: „Die EU bleibt an der Seite der irischen Regierung und setzt sich dafür ein, dass die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen bleibt.“

Abstimmung in London verschoben

Die Entscheidung des britischen Parlaments über den mit Brüssel ausverhandelten „Brexit“-Vertrag könnte sich währenddessen bis Ende Jänner verzögern. Wie es aus der Downing Street hieß, sei die Abstimmung nun „vor 21. Jänner“ geplant. Sie war ursprünglich für Dienstag geplant gewesen. May hatte sie angesichts einer drohenden herben Niederlage verschoben. Dahingehende Spekulationen hatte es schon am Sonntag gegeben, allerdings wurden sie anfangs noch dementiert. Am Mittwoch findet in London eine Kabinettssitzung statt.

Theresa May
APA/AFP/PRU
May sagte am Montag im britischen Unterhaus die an sich für Dienstag geplante „Brexit“-Abstimmung wieder ab

Terminplan wird langsam eng

Am Donnerstag steht dann in Brüssel ein Gipfel auf dem Programm. Danach hat das britische Unterhaus nur noch drei Sitzungstage in diesem Jahr und kommt zwischen dem 20. Dezember und 7. Jänner nicht zusammen. Sollte das britische Parlament dem Austrittsvertrag mit der EU und damit einem geordneten „Brexit“ zustimmen, ist noch eine Ratifizierung durch die EU-Mitgliedsstaaten ausständig. Außer Frage steht: Mit Blick auf den für 29. März 2019 angesetzten britischen EU-Ausstieg wird die Zeit langsam knapp.

Nach einem Treffen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte in Den Haag war May Dienstagnachmittag mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin und danach auch mit der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zusammengetroffen. Wie Merkel nach dem Gespräch in einer Sitzung der Unionsfraktion sagte, werde es „keine weitere Öffnung des Austrittsabkommens“ geben. Sie glaubt allerdings weiter an eine Lösung. Rutte hatte das Gespräch mit May „nützlich“ genannt. Die Aussichten für eine Neuverhandlung des Austrittsvertrags stehen aber auch laut ihm schlecht.