Einsatzkräfte am Tatort
Reuters/Christian Hartmann
Anschlag in Straßburg

Hunderte Einsatzkräfte fahnden nach Täter

Nach dem Anschlag in der Nähe des bekannten Straßburger Weihnachtsmarktes Dienstagabend hat die französische Regierung in der Nacht auf Mittwoch die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen. Über 350 Einsatzkräfte fahnden seit Stunden nach dem Täter, der von den Behörden bereits identifiziert werden konnte.

Derzeit ist unklar, wo sich der Gesuchte aufhält. Es sei unsicher, ob er sich überhaupt noch in Frankreich aufhalte, so der französische Innenstaatssekretär Laurent Nunez Mittwochfrüh. Offen sei auch nach wie vor, ob der Anschlag terroristische Motive hatte. Fünf Menschen aus dem Umfeld des Verdächtigen seien inzwischen befragt worden.

Der mutmaßliche Attentäter hatte am Dienstagabend an drei Orten in Straßburg Angriffe verübt und Augenzeugenberichten zufolge wahllos um sich geschossen. Bei dem Anschlag wurden drei Menschen getötet und 13 verletzt, acht von ihnen schwer, hieß es von offizieller Seite Mittwochfrüh.

Anti-Terror-Staatsanwaltschaft eingeschalten

Bei der Flucht habe der Angreifer den Sicherheitskräften zweimal Schusswechsel geliefert, so der französische Innenminister Christophe Castaner in der Nacht. Dabei soll der Mann von Soldaten verletzt worden sein. Er soll verletzt in einem gestohlenen Taxi geflohen sein.

Die Behörden gingen bisher von einem Terroranschlag aus. Die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft leitete am Dienstagabend Ermittlungen wegen des Verdachts auf „Mord und Mordversuch in Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung“ und wegen „Bildung einer kriminellen terroristischen Vereinigung“ ein.

Als potenzieller Gefährder geführt

Die Identität des mutmaßlichen Attentäters war bereits kurz nach den Schüssen bekannt gewesen. Castaner sagte gegenüber dem Sender Franceinfo, der 29-jährige Tatverdächtige sei bei den Behörden wegen – nicht näher bezeichneter – krimineller Taten kein unbeschriebenes Blatt gewesen. Er soll in der Vergangenheit sowohl in Frankreich als auch in Deutschland verurteilt worden sein und seine Strafen abgesessen haben. Medienberichten zufolge könnte er sich im Gefängnis radikalisiert haben.

Polizisten beim abgesperrten Tatort
APA/AFP/Sebastien Bozon
Die Polizei geht bei dem Attentat von einem terroristischen Hintergrund aus

Er hätte aber nach Angaben aus informierten Kreisen Dienstagfrüh wegen anderer Vorwürfe – nach unterschiedlichen Angaben wegen bewaffneten Raubes oder im Zuge von Ermittlungen wegen versuchten Mordes – festgenommen werden sollen. Er wurde aber laut Franceinfo nicht in seiner Wohnung angetroffen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung sollen Granaten gefunden worden sein. Laut der Tageszeitung „Le Figaro“ soll es sich um einen 29-Jährigen namens Cherif C. handeln.

Der aus Straßburg stammende Mann sei aber auch als potenzieller Gefährder geführt worden, hieß es in mehreren Medienberichten. Für ihn sei ein entsprechender Akt – eine „Fiche S“ (etwa: Akt Staatssicherheit) – angelegt gewesen. Darin verzeichnen die Sicherheitsbehörden potenzielle Verdächtige wie gewaltbereite Islamisten, von denen eine Gefahr für den Staat ausgehen könnte.

ORF-Korrespondent als Augenzeuge

ORF-Korrespondent Peter Fritz wurde zum Augenzeugen der Schießerei. Er berichtete bereits unmittelbar nach dem Vorfall im Kurznachrichtendienst Twitter von Schüssen und einer Evakuierung, dann von dramatischen Szenen – auch per Telefon aus Straßburg.

Bericht vom Anschlagsort

Peter Fritz berichtete der ZIB2 per Telefon aus Straßburg, wie er Zeuge der Schießerei im Zentrum der Stadt wurde und sich die Ereignisse überschlugen.

Unter den Toten ist ein Tourist aus Thailand, der nur wenige Stunden zuvor in Straßburg eingetroffen war. Medienberichten zufolge starb er an einem Kopfschuss. Fritz schilderte, wie er und andere Zeugen versucht hätten, dem Mann Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten hätten sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt habe, dass es keinen Sinn mehr habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine offiziellen medizinischen Helfer zum Anschlagsort gekommen. „Die Polizei war sofort da, aber offenbar hat man Rettungskräfte gar nicht in die Nähe gelassen“, so Fritz.

Innenstadt in der Nacht evakuiert

Das Innenministerium in Paris hatte anfangs lediglich knapp von einem „schweren Zwischenfall“ gesprochen und die Bewohner der Stadt im Elsass aufgerufen, zu Hause zu bleiben. In der Nacht wurde die Innenstadt vorübergehend evakuiert. Eine grenzüberschreitende Straßenbahn wurde eingestellt. Inzwischen sind alle öffentlichen Verkehrsmittel in Straßburg wieder verfügbar.

Nach dem Anschlag wurde auch das Europaparlament, das aktuell tagt, abgeriegelt. Niemand dürfe das Gebäude verlassen, Mitarbeiter seien per SMS oder E-Mail gewarnt worden, teilte eine Parlamentssprecherin mit. Erst Mittwochfrüh durften Abgeordnete und Mitarbeiter das Gebäude auf eigenes Risiko verlassen. Innenminister Castaner rief die Bevölkerung via Twitter dazu auf, keine Gerüchte zu verbreiten und den Anweisungen der Behörden Folge zu leisten. „Unsere Sicherheitskräfte sind mobilisiert.“

Strengere Grenzkontrollen

Der Weihnachtsmarkt in Straßburg bleibt am Mittwoch geschlossen. Auch die kulturellen Einrichtungen der Stadt öffnen nicht, wie es in einer Mitteilung der Stadt hieß. Der Unterricht sollte am Mittwoch an Volks- und Vorschulen ausgesetzt werden. Eltern wurde geraten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wie die Präfektur mitteilte. An weiterführenden Schulen und Hochschulen findet der Unterricht statt.

Frankreichs Inneniminister Christophe Castaner
APA/AFP/Sebastien Bozon
Innenminister Castaner traf noch in der Nacht auf Mittwoch in Straßburg ein

Die Grenzübergänge zwischen Frankreich und Deutschland werden derzeit auch verschärft kontrolliert. Nach Angaben der deutschen Polizei müssen sich Pendler auf Wartezeiten von bis zu 90 Minuten einstellen. „Solange die Lage nicht bereinigt ist, werden wir weiter kontrollieren“, sagte ein Polizeisprecher.

Erschütterte Reaktionen aus dem Ausland

In Paris wurde in der Nacht ein Krisenstab eingerichtet, auch Präsident Emmanuel Macron war anwesend. Er versprach den Opfern des Angriffs die Solidarität Frankreichs. Aus dem Ausland kamen zahlreiche Beileidsbekundungen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen drückte den Angehörigen der Opfer sein „tiefes Beileid“ aus. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, er sei mit den Gedanken bei den Opfern der „feigen Schießerei“.

„Erschüttert über die schreckliche Nachricht aus Straßburg“, schrieb der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter. „Welches Motiv auch immer hinter den Schüssen steckt: Wir trauern um die Getöteten und sind mit unseren Gedanken und Wünschen bei den Verletzten.“ Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verurteilte das Attentat „mit großer Entschiedenheit“: „Meine Gedanken sind bei den Opfern der Schießerei in Straßburg.“ Die britische Premierministerin Theresa May äußerte sich „schockiert und traurig über die schreckliche Attacke in Straßburg“.

Weihnachtsmärkte immer wieder Terrorziel

Der Straßburger Weihnachtsmarkt sollte schon einmal Ziel eines Attentats werden: Im Jahr 2000 wurde ein geplanter Sprengstoffanschlag einer algerischen Gruppe rechtzeitig verhindert. Täglich sind auf dem Markt mit rund 300 Ständen etwa 300 Polizisten und 160 private Sicherheitskräfte im Einsatz. Die Zufahrt für Autos ist stark eingeschränkt, Betonblöcke sollen Autoattentäter abhalten.

Einsatzkräfte in Straßburg
APA/AFP/Frederick Florin
Der Weihnachtsmarkt in Straßburg ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und zieht zahlreiche Gäste an

Generell waren Weihnachtsmärkte in den letzten Jahren immer wieder Terrorziele. Im Dezember 2016 steuerte der Islamist Anis Amri einen Lkw in den Markt auf dem Berliner Breitscheidplatz. Es gab elf Tote, Amri wurde auf der Flucht in Italien erschossen. Ebenfalls im Dezember 2016 misslang ein Bombenattentat auf den Weihnachtsmarkt im deutschen Ludwigshafen, zuvor hatten die französischen Behörden einen Anschlag auf den Markt auf den Pariser Champs-Elysees verhindert.