Silhouette einer Frau
ORF.at/Christian Öser
Gewalt gegen Frauen

Mehr Anzeigen als „paradoxer Erfolg“

Anders als in den meisten Bereichen der Kriminalität ist die Zahl der Anzeigen wegen Gewalt gegen Frauen 2018 deutlich gestiegen. Die Täter kommen überwiegend aus dem Familienkreis. Für den Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl ist es immerhin eine positive Entwicklung, dass die Bereitschaft der Opfer, sich an die Behörden zu wenden, offenbar gestiegen ist – er spricht von einem „paradoxen Erfolg“.

2018 gab es generell weniger Anzeigen als in den Jahren davor: Einbrüche in Wohnungen und Häuser sowie Fahrzeugdiebstähle gingen zurück. Auch die Zahl der Anzeigen wegen Gewaltdelikten insgesamt sank, allerdings gab es auch gegenteilige Entwicklungen. Die Zahl der Körperverletzungen mit Hieb- und Stichwaffen nahm ebenso zu wie Gewalt gegen Frauen – hier seien die Anzeigen laut Rohdaten um 20 Prozent gestiegen, sagte Franz Lang, Direktor des Bundeskriminalamts (BK), am Freitag im Ö1-Morgenjournal – Audio dazu in oe1.ORF.at.

60 Prozent der angezeigten Delikte gegen Frauen würden sich im Familienbereich abspielen, sagte Lang, und zwar „quer durch alle Gesellschaftsschichten“. Für den Kriminalsoziologen Kreissl könnte das auch als positives Signal gewertet werden, im Morgenjournal nannte er das „einen paradoxen Erfolg der Frauenbewegung“: Die Schwelle, sich bei häuslicher Gewalt an die Behörden zu wenden, sei niedriger geworden – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Geschärftes Bewusstsein der Opfer

„Lange galt es ja sozusagen als Recht des Mannes, seine Frau zu verprügeln“, sagte Kreissl. Das habe sich zum Glück geändert, Frauen seien nun eher bereit, das als Delikt zu sehen und sich an die Polizei zu wenden, und zwar auch in solchen Kreisen, „die normalerweise eher wenig Vertrauen zur Polizei haben, sprich Ausländer zum Beispiel“, so der einstige Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien.

Hilfe für Betroffene:

Die Polizei könne aber nur Erstanlaufstelle sein, danach seien Frauenhäuser und andere Hilfseinrichtungen gefragt. Hier sei Österreich lange federführend gewesen, nun sei aber einiges zu tun, sagte Kreissl. Denn: „Was hilft eine polizeiliche Anzeige, wenn die Frau danach wieder zurück muss in die Umwelt, in der sie verprügelt worden ist?“

Beratungsstelle Frauenhaus
ORF.at/Birgit Hajek
Frauenhäuser sind wichtige Anlaufstellen für Opfer heimischer Gewalt

Ausländeranteil als „einfaches Rechenbeispiel“

Im Bereich dieser schweren Gewaltdelikte lag der Ausländeranteil laut Bundeskriminalamt bei den Anzeigen bei fast 50 Prozent, bei der Kriminalität insgesamt stieg der Anteil der nicht österreichischen Tatverdächtigen heuer zum ersten Mal auf über 40 Prozent. Auf Platz eins lagen laut den Rohdaten Personen aus Rumänien, dann Deutsche und Afghanen.

Für Kreissl ist das „ein einfaches Rechenbeispiel“ und spiegle „die neue Zusammensetzung der Gesellschaft in Bezug auf Altersklassen und Kriminalitätsgefährdung" wider. Besonders „junge, männliche Täter ohne soziale Perspektive“ seien für kriminelle Taten anfällig, sagte Kreissl, und in dieser Altersklasse seien Migranten derzeit überproportional vertreten. Diese Entwicklung sei in allen westeuropäischen Ländern zu beobachten.

Defizite der Statistik

Den Anstieg bei Anzeigen zu Delikten mit Stichwaffen hält der Soziologe – anders als BK-Direktor Lang – nicht für eine „kulturtypische“ Erscheinung. Lang sagte, es sei „bei manchen Ethnien so, dass es durchwegs gewöhnlich ist, eine Hieb- oder Stichwaffe, oder einen Dolch mitzuführen“. Kreissl hielt dagegen: „Ein Messer bei sich zu tragen ist nichts, was jetzt den Rumänen auszeichnet, sondern das finden Sie auch bei vielen Jugendlichen hier.“

Generell hält Kreissl die Kriminalstatistik nur für bedingt aussagekräftig – sie „zeigt, wo die Polizei hingeschaut hat und was sie aufgenommen hat“. Die Daten seien unzuverlässig und würden auch nicht für wissenschaftliche Zwecke gesammelt, sondern für administrative Zwecke – „das könnte man ändern, will man aber nicht“.