Bild von Joseph Beuys und Bleitstift aus dem heurigen Katalog der Salzburger Festspiele
Foto ORF.at/Katalog der Salzburger Festspiele 2019
Das Programm 2019

Mythos und Welterkenntnis

Mit dem dritten Jahr Salzburger Festspiele unter Markus Hinterhäuser schließt sich vor dem kommenden Jubiläumsjahr 2020 heuer so etwas wie ein thematischer Schwerpunkt ab. Denn ging es im Jahr eins von Hinterhäuser um die Fragen der Macht, im Vorjahr um Triebe und Phantasmen, so befragt man heuer die Mythen als kulturelles Archiv und Urgrund all unserer Vorstellungsgaben.

„Wie gehen wir eigentlich um mit unserem kulturellen Speicher?“, fragte Intendant Hinterhäuser schon bei der Präsentation des Programms der Salzburger Festspiele 2019 im November des Vorjahres. „Haben Mythen in unserer Welt noch Bestand?“, so Hinterhäusers Frage. Und man konnte sicher sein, dass sie einerseits rhetorisch war – und andererseits eine Herausforderung, sich zu reiben an der Kraft der Mythen, diesem Reservoir und Archiv aller menschlichen Konflikte und Aufgabenstellungen unter einem Himmel der Endlichkeit.

Denn wenn die Festspiele im Vorjahr mit den „Persern“ von Aischylos zu Ende gegangen waren, dann lag in dem Stück gleich eine Vorlage und Nahtstelle zu der von Hinterhäuser angedachten Mythenbefragung. Denn mit Aischylos tritt das Abendland aus dem Reich der mythischen Erzählung und lädt sich die Konflikte des Mythos quasi selbst auf. Denn nicht mehr das Gottesgericht, sondern menschliche Institutionen verbürgen die Fragen von Recht, Rache und Vergebung.

Hinterhäuser will, so machen es zahllose Interviews und Statements deutlich, gerade die Befragung des Mythos, nicht seine zeitgemäße Aktualisierung, aber die Neukonfiguration von Fragestellungen aus der Aufgabenstellung der mythischen Erzählung in den Mittelpunkt stellen. Die unfassbarsten Dinge, jene Grenze der Erkenntnis und des Sagbaren, an die sich ja die Kunst herantastet, sind über den Mythos sagbar und vielleicht auch nur über diesen in der gesamten Tragweite neu formulierbar.

Festspielintendant Markus Hinterhäuser
Salzburger Festspiele/Franz Neumayr
Die Bühne bei den Festspielen solle Raum für Alternativentwürfe zu unserer Gegenwart bilden und dabei ganz grundsätzliche Fragen aufwerfen, so Festspielintendant Hinterhäuser

Gedächtnis braucht die Intervention des Gegenwärtigen"

Für Hinterhäuser ist der Mythos, wie er selbst sagte, Spiegel, aber eben auch „Zerrspiegel“. „Schlussendlich“, so Hinterhäuser in einem Gespräch mit den Freunden der Salzburger Festspiele, „ist der Mythos das Archiv unserer Welterkenntnis, unser kulturelles Gedächtnis. (…) Von dort aus haben sich die Kunst, die Wissenschaft entwickelt. Und der Mythos wird ständig transformiert durch den Blick, den verschiedene Zeiten darauf werfen.“

Gerne bemüht Hinterhäuser in diesem Kontext Paul Valery, der einmal meinte, dass „das Gedächtnis die Intervention des Gegenwärtigen“ brauche. Insofern deutet Hinterhäuser auch den Zugang von Peter Sellars auf Mozarzts „Ideomeno“ samt der Frage, wie sehr der Seesturm in dieser Oper mit der Klimakrise zusammenhänge, als eine Aktualisierung einer beinahe archetypischen Frage: Mozart habe ja, ohne je das Meer gekannt zu haben, gleichzeitig dessen gewaltige Dimension erahnt – und „Fragen nach den Urgewalten unserer Erde, unseres Biotops, das sind Fragen des Mythos.“

Probebild zu Peter Sellars Idomeneo
Salzburger Festspiele / YouTube
„Idomeneo“ in der Probearbeit von Sellars. Urgewalten in der gewaltigen Felsenreitschule.

Mythos und Tabu

Über die Mythen, so ist Hinterhäuser überzeugt, könne man sofort das Elementare erkennen. Auch, dass etwa das Tabu ein zentraler Aspekt des Mythos ist. Keine Stoffe könnten das stärker illustrieren als Mythen wie jener um Medea und Ödipus. Nicht zuletzt das Opernprogramm wird in diesem Jahr der Fragestellung des Mythischen gerecht, und nimmt man die wiederaufgenommene Erfolgs-„Salome“ des Vorjahres, dann sind gerade die mythischen Themen in diesem Stück zentral aufgehoben und die großen Grundsatzfragen des Abendlandes nebst aller Tiefenpsychologie ausgeleuchtet.

Luigi Cherubinis Oper „Medee“ in der Regie von Simon Stone, Achim Freyers Auseinandersetzung mit George Enescus „Oedipe“ aus den 1930er Jahren – und schließlich auch Jacques Offenbachs Opera bouffon „Orphee aux enfers“ in der Regie von Barrie Kosky versprechen im Fach des Musiktheaters ganz unterschiedliche Auseinandersetzungen mit den großen Vorlagen aus der Mythensammlung der Weltliteratur.

Die Bühne, sie ist bei Hinterhäuser eben nicht die Verlängerung des politischen Diskurses, auch nicht die Verleugnung der uns umtreibenden Fragestellungen – was ihn interessiere, so sagte er es bereits im November, sind die „Alternativentwürfe auf der Bühne“, gerade auch in dem Sinn, dass die großen Stoffe verbürgten, dass es für uns eine Zukunft gebe. Und dass man sich aber um die zentralen Fragen nicht herummogeln kann. Man darf also erwarten, gerade im dritten programmatischen Jahr Hinterhäuser in Salzburg, wieder sehr Grundsätzliches zu erleben.