W.A.Mozart Idomeneo Salzburger Festspiele 2019
Regie Peter Sellars/ Musikal. leitung Teodor Currentzis/ Bühne George Tsypin/ Kostüme Robby Duiveman/
Idomeneo Thomas Russell/ Idamante Paula Murrihy/Ilia Ying Fang/ Elettra Nicole Chevalier/ Nettuno La Voce Jonathan Lemalu /Tänzer Brittne Mahealani Fuimaono, Ioane Papalli
musicaAeterna Choir
Salzburger Festspiele / Ruth Walz
„Idomeneo“

Krisenstimmung in der Eröffnungsoper

Mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“ haben die Salzburger Festspiele Samstagabend einen bejubelten Auftakt für das heurige Opernprogramm geliefert. Unter der hervorragenden musikalischen Leitung von Teodor Currentzis inszenierte Peter Sellars das Werk als zeitgenössische Reflexion mit dem Versuch, einen der drängendsten Konflikte unserer Zeit über das Werk zu stülpen: die Klimakrise.

Es ist die zweite Zusammenarbeit von Sellars und Currentzis bei den Festspielen und wie schon 2017 für ihre sensationelle Salzburger „Clemenza di Tito“ begnügen sich die beiden nicht mit der simplen Einstudierung der Originalfassung – abgesehen davon, dass es aufgrund Mozarts eigener Unzufriedenheit mit dem Werk ohnehin keine letztgültige Ausgabe davon gibt. Das Frühwerk blieb für den Komponisten stets work in progress und als solches gibt es aktuellen Erarbeitungen Freiheit und Herausforderung zugleich.

Zwei verwobene Themenkomplexe sind es, die bei Sellars und Currentzis hervorgehoben werden sollen: Zum einen der Generationenkonflikt bzw. „die Meinung, dass es Zeit ist aufzuhören – und damit einer neuen Generation neue Chancen zu geben“, so der Dirigent in einem Pressegespräch vor der Premiere. „Wenn wir unsere Ansichten jetzt nicht überdenken“, sagt er, „dann existieren wir in 100 Jahren vielleicht nicht mehr.“

W.A.Mozart Idomeneo Salzburger Festspiele 2019
Regie Peter Sellars/ Musikal. leitung Teodor Currentzis/ Bühne George Tsypin/ Kostüme Robby Duiveman/
Idomeneo Thomas Russell/ Idamante Paula Murrihy/Ilia Ying Fang/ Elettra Nicole Chevalier/ Nettuno La Voce Jonathan Lemalu /Tänzer Brittne Mahealani Fuimaono, Ioane Papalli
musicaAeterna Choir
Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Leuchtende Stelen im Bühnenbild von George Tyspin wecken ein Deja-vu zur Sellars/Currentzis-Inszenierung von 2017

Herausforderung: Klimakrise bei Mozart

Zum anderen die Klimakrise: „Wir stehen beim Thema Klimawandel weltweit vor einer riesigen Herausforderung“, ergänzte Sellars, der auch seine Festspiel-Eröffnungsrede ganz im Zeichen der Klimakrise ansetzte. Das Thema Ozean sei altbekannt aus der Mythologie – „wir müssen lernen, mit dem Ozean zu verhandeln und mit ihm in Kontakt zu treten“, erklärte der US-Regisseur.

Hinweis

Die Ö1-Übertragung der Premiere ist noch sieben Tage in oe1.ORF.at nachzuhören.

Die eigentlich nicht direkt auf der Hand liegenden Parallelen zu Mozarts Libretto erklärt er mit dem zornigen Meeresgott Neptun, der Opfer verlangt: „Idomeneo ziert sich genauso wie wir heute. Aber Neptun lässt nicht mit sich reden, die Zahl der durch Hurrikans und andere Katastrophen verwüsteten Städte steigt von Jahr zu Jahr und wird weiter steigen.“

Unter der dreckigen Wasseroberfläche

So weit, so theoretisch. In der Praxis der Salzburger Inszenierung bleibt der Klimakrisenzugang assoziativ und hauptsächlich auf das Bühnenbild des Installationskünstler George Tsypin beschränkt. Schwebende und auf der Bühne liegende Plastikmüllglasgebilde sowie leuchtende ausfahrbare Stelen (bekannt aus „Titus“ 2017) bilden den Rahmen und in unterschiedlichen Arrangements durchaus eindrucksvolle Tableaux im Breitbildformat der Felsenreitschule.

W.A.Mozart Idomeneo Salzburger Festspiele 2019
Regie Peter Sellars/ Musikal. leitung Teodor Currentzis/ Bühne George Tsypin/ Kostüme Robby Duiveman/
Idomeneo Thomas Russell/ Idamante Paula Murrihy/Ilia Ying Fang/ Elettra Nicole Chevalier/ Nettuno La Voce Jonathan Lemalu /Tänzer Brittne Mahealani Fuimaono, Ioane Papalli
musicaAeterna Choir
Salzburger Festspiele/ Ruth Walz
Schwebende Glasgebilde symbolisieren den Plastikmüll, der als Damoklesschwert über den Menschen schwebt

Dreiecksdrama auf Kreta

Unter dem dreckigen Meer entspinnt sich in modernem Kostüm (Robby Duiveman) die klassische Tragödie mit der durch die Bank verzweifelten Gesellschaft: Die Kriegsgefangene Ilia, der Prinz Idamanete, der auf den Vater wartete, und schließlich Idomeneo, der siegreiche König, der nach Kreta zurückgeht und für Neptun das erste Lebewesen, das er am Strand trifft, opfern muss. Unbedachte Versprechen rächen sich in der Mythologie, und so ist es der Sohn, der getötet werden muss, um das Land zu retten.

Ein geplanter Betrug an den Göttern geht nicht auf – der Plan Idamante mit der verliebten und vorher ebenfalls geflohenen Atridentochter Elettra fortzuschicken – nicht wissend wiederum, dass sich dieser längst Ilia versprochen hat, scheitert. Ein Happy End gibt es trotzdem (Mozarts Münchner Auftraggeber wollten es so), aber nicht für alle. Übrig bleibt Elettra – und das, obwohl ihre bejubelte Schlussarie hier möglicherweise das viel stärkere Ende der Oper dargestellt hätte.

Ballett aus dem Pazifik

Doch Sellars setzt auf Versöhnung und Neubeginn: Nachdem Idomeneo noch schnell ganz versöhnlich abdanken und den Frieden ausrufen darf, kommt noch die Ballettmusik. Und mit ihr ein samoanischer Zeremonietanz (Choreografie: Lemi Ponifasio), der (so das Programmheft) „Einigkeit und Respekt in einer Gruppe“ fördern soll. „Mozarts Ballett ist ein offener Raum, die Einladung zu einem Ritual. Es geht nicht darum, was ein Ritual bedeutet, sondern um unsere Bereitschaft, offen für das zu sein, worauf es uns hinweist. In ‚Idomeneo‘ erschaffen wir die Zeremonie unserer Gegenwart“, so der Choreograf.

W.A.Mozart Idomeneo Salzburger Festspiele 2019
Regie Peter Sellars/ Musikal. leitung Teodor Currentzis/ Bühne George Tsypin/ Kostüme Robby Duiveman/
Idomeneo Thomas Russell/ Idamante Paula Murrihy/Ilia Ying Fang/ Elettra Nicole Chevalier/ Nettuno La Voce Jonathan Lemalu /Tänzer Brittne Mahealani Fuimaono, Ioane Papalli
musicaAeterna Choir
Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Der polynesische Tanz am Ende soll „dazu beitragen, Wunden zu heilen“

Was in „Tito“ vor zwei Jahren ganz organisch funktioniert hat, will bei „Idomeneo“ nicht so ganz aufgehen. Die Klimakrisenassoziationen, die man optisch hervorruft, verweben sich kaum mit der Handlung und fast nur in den Chorpassagen mit der Musik.

Der Rockstar im Graben

So geht der Sog des Abends in direkter Linie vom Dirigentenpult aus, wo Currentzis seinem Ruf als Perfektionist und Exzentriker mehr als gerecht wird. Das Freiburger Barockorchester und der von Currentzis musicAeterna Choir aus dem im russischen Ural-Vorland gelegenen Perm folgen seinem agilen Dirigat mit Präzision.

Der in der Felsenreitschule freie Blick auf den Graben lässt das Publikum den Dirigenten beobachten, wie er ohne Taktstock die Musik mit den Händen und dem ganzen Körper formt. Das große Drama scheut er, der in seinem Business als Rockstar gefeiert wird (und sich selbst als solcher inszeniert) nicht – weiß es hier aber zurückzunehmen und wohldosiert auch hinter dem zarten „Idomeneo“ anzustellen, den man so kaum zu hören bekommt.

Frauen voran

Gesanglich stehen die Frauen klar im Vordergrund – das Terzett Ilia (lyrisch bewegend: Ying Fang), Idamante (Paula Murrihy solide in der Hosenrolle) und Elettra (Nicole Chevalier). Letztere sticht in der zugleich tragischsten, musikalisch aber dank ihrer Dramatik interessantesten Rolle heraus, was sich auch in aufbrausendem Szenenapplaus am Premierenabend bemerkbar macht.

W.A.Mozart Idomeneo Salzburger Festspiele 2019
Regie Peter Sellars/ Musikal. leitung Teodor Currentzis/ Bühne George Tsypin/ Kostüme Robby Duiveman/
Idomeneo Thomas Russell/ Idamante Paula Murrihy/Ilia Ying Fang/ Elettra Nicole Chevalier/ Nettuno La Voce Jonathan Lemalu /Tänzer Brittne Mahealani Fuimaono, Ioane Papalli
musicaAeterna Choir
Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Idamante (Murrihy) wird von Elettra (Chevalier) und Ilia (Fang) begehrt. Vater Idomeneo (Thomas) will auch mitentscheiden.

Vor zwei Jahren als Titus in Salzburg ist Tenor Russell Thomas heuer erneut in der Titelrolle zu sehen. Die Zerrissenheit seiner Figur klingt überzeugend, im Neuarrangement der Oper mit noch stärkerem Fokus auf dem Drama zwischen Ilia, Idamente und Elettra bleibt ihm aber weniger Raum, das zu demonstrieren. Ähnlich ergeht es auch Levy Sekgapane als Arbace, Issachah Savage als Oberpriester und Jonathan Lemalu als Nettuno/La Voce.

Hinweis

„Idomeneo“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 2., 6., 9., 12., 15. und 19. August in der Felsenreitschule zu sehen.

Das Schicksal des Sequels

Das Rezept, das beim mittlerweile vielzitierten Vorbild „Tito“ vor zwei Jahren zum sensationellen Eröffnungserfolg führte, ließ sich heuer nur bedingt wieder aufwärmen. Musikalisch eindeutig gelungen, optisch zwischen einzelnen großen Bildern, aber in Summe zu diffus, erfüllt die Inszenierung die hochgesteckte Erwartungshaltung doch nicht. Am Premierenabend waren einzelne Buhs für die Regie zu hören – der Gesamtleistung galten dann aber auch großer Jubel und zumindest teilweise Standing Ovations.