Tänzer springend im Bühnenkostüm
Monika Rittershaus / Salzburger Festspiele
„Orphee“

Lusthölle mit Maschek-Faktor

Wer mit Barrie Kosky in die Unterwelt steigt, der muss keine Fegefeuer fürchten. Eher eine Brandbeschleunigung im Fach der Burleske, wenn Kosky zusammen mit Otto Pichler Offenbach choreografiert. Sein „Orphee aux enfers“ wurde bei der Premiere am Mittwoch zum großen Unterhaltungstheater, das für das heimische Publikum noch einen gehörigen Faktor Maschek bereithielt. Die ohnedies nicht verlegene Vorlage wurde brachial überhöht. Da tanzten die Bienchen, baumelten die Glitzerpimmel, dass sogar Eurydike am Ende bekennen musste: „Aber so steht das doch gar nicht in der Vorlage!“

Darf man mit dem Bildungsgut der Antike derart umgehen wie Jacques Offenbach mit seiner „Orphee“-Oper? Das fragte nach der Uraufführung 1858 der Jupiter der damaligen französischen Kritik, Jules Janin, im prominenten „Journal des Debats“. Um die Antwort gleich hinzuzufügen: Eine Schändung am „glorreichen und heiligen Bildungsgut der Antike“ werde bei Offenbach betrieben. Offenbach, der sich von dieser Oper auch die finanzielle Rettung erhofft hatte, war über solche Schlaglichter froh und hielt Janin dessen eigenen Antikenkitsch im „Figaro“ entgegen: „Hier atmet man einen Duft von Göttin und Nymphe, einen lieblichen Duft von Myrthe und Ambrosia. Man hört das Gurren der Tauben, die Lieder Apollos, die Musen von Lesbos!“ So hatte es Janin davor zu einem Orpheus-Tanzstück formuliert – und wer so schwülstig schreibe, der scheitere wohl selbst am hehren Klassikanspruch, so die Andeutung Offenbachs, die damals jeder verstand.

Joel Prieto (Orphée), Kathryn Lewek (Eurydice), Max Hopp (John Styx)
Monika Rittershaus / Salzburger Festspiele
Orpheus (Joel Prieto) geigt auf. Aber nicht mehr für Eurydike (Kathryn Lewek). Der heimliche Star des Abends sitzt daneben: Max Hopp als John Styx ist der dramaturgische Strippenzieher eines gefeierten Abends.

Offenbachs Aufstieg passiert im Zeitalter neuer Öffentlichkeitsbildungen. Die Gesellschaft nach 1848 wird diktatorisch geführt, doch die alten Eliten stehen neuen Publikumsschichten gegenüber. Bei Offenbach dürfen alle Stände der Gesellschaft auf der Bühne stehen – und die Kleinen leiden dabei wie die Großen. Mehr noch: Die Großen werden stets vorgeführt als die Vertreter, wie Siegfried Kracauer das formulierte, „einer alten Hofcamerilla“.

„Orpheus“ als verrückte Persiflage

Dieses Jahr feiern die Salzburger Festspiele den Mythos. Bei Jacques Offenbach wird der Mythos zur Parodie: „Orphée aux Enfers“ – Orpheus in der Unterwelt ist eine durchgeknallte Persiflage auf hohem musikalischem Niveau.

„Endlich frei“ – und dann doch nicht

So sind auch die Götter des Olymp nicht mehr sakrosankt. In Offenbachs Himmel herrscht Langeweile; die Betrügereien Jupiters laufen so schlecht verborgen ab, dass sogar der Seitensprung jeden Reiz verloren hat. In der Welt stehen die einstigen Traumpaare. Doch der genauere Blick offenbart: Auch Orpheus und Eurydike scheitern am Anspruch ihrer großen ewigen Liebe. Er ist bei Offenbach ein eitler Geiger, der sich nur von seinen Schülerinnen anhimmeln lässt. Und sie hat endlich einen Liebhaber, für den sie alles irdische Glück opfern würde. Da frohlockt Orpheus, als er mitbekommt, dass Eurydikes Liebhaber niemand Geringerer sei als Pluto – und sie mit Pluto in die Unterwelt ziehen müsse. „Endlich frei“, so seine Hoffnung am Ende des ersten Aktes – doch die personifizierte öffentliche Meinung zwingt ihn, Eurydike in der Unterwelt zu suchen.

„Orphee“ im ORF

ORF2 zeigt die „Orphee“-Produktion am Sa., 17.8., live zeitversetzt, um 20.15 Uhr. Danach ist die Oper in tvthek.ORF.at sieben Tage zu sehen. Ö1 überträgt die Oper live am 31. August um 19.30 Uhr.

Bis das stattfinden und zu irgendeiner Art von glücklichem Ende (oder zumindest einem dem Mythos entsprechenden Ende) führen kann, muss in der Götterwelt einiges bereinigt werden. Jupiter rächt sich an Pluto und darf in Fliegengestalt auch einmal mit Eurydike, fliegt aber auch hier mit seiner schlechten Tarnung auf. „Na gut“, so lautet die spitze Losung am Schluss, „dann zieht doch wie schon bei Monteverdi in die Unterwelt“: Orpheus 15 Schritte voraus, Eurydike hinterher – aber bitte nicht umdrehen!

Szenen aus dem Himmel in der Kosky-Inszenierung
Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele
Der Himmel bei Offenbach und Kosky ist die eigentliche Unterwelt. Beeindruckend an diesem Abend gerade auch die Lichtregie.

Statt eines Endes dann nochmal der große Cancan, jener Tanz, den Offenbach auf die Opern- und Operettenbühne gewuchtet hat. Zu diesem Zeitpunkt hat man bei Kosky schon alles durch: Massennummern mit großer, greller Choreografie, Persiflagen – und dann auch immer wieder die schönen Einzelpartien.

Die große Hingabe bei den Massenszenen

Kosky hat alles zugespitzt und trägt dort auf, wo die Vorlage mit Massenpartien und Tanzszenen alles hergibt. Für die Problematik mit den Sprechteilen und dem internationalen Sängerensemble findet die Regie einen genialen Kniff: Max Hopp, Volksbühnenmitglied und von Kosky auch mit an die Komische Oper gelotst, spricht alle Textpartien der Darsteller: So wird diese „Opera buffon“ nicht nur zum großen Lip Sync Battle, sondern durch Hopps stimmliche Imitation aller Gesten und Bewegungen zu einem Maschek-Abend in höchster Perfektion.

Massenszene in Koskys Orphee-Inszenierung
Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele
Mit den Massenszenen nimmt diese Inszenierung fast alle gefangen

Hopp übersetzt und karikiert, er löst sich von der Vorlage, verkürzt – und hat als John Styx ja seine eigene Rolle, in der er eine amouröse Annäherung an Eurydike sucht. Er ist der Star des Abends neben einem brillanten Sängerinnen- und Sängerensemble, allen voran Anne Sophie von Otter als Öffentlichkeit und Kathryn Lewek als sängerisch nuancierte, optisch ganz schön derb geführte Eurydike.

Hinweis

„Orphee en enfers“ ist im Rahmen der Salzburger Festspiele noch am 17., 21., 23., 26. und 30. August zu sehen.

Joel Prieto als Orpheus hat es neben Marcel Beekman als Pluto und Martin Winkler als Jupiter nicht leicht zu glänzen. Die Wiener Philharmoniker prägen unter Enrique Mazzola einen Offenbach im bekannten Wiener Wohlklang. Den Faden findet man freilich durch die Überbetonung der überhöhten Sprechpartien bei der Musik nicht so leicht.

Schon drollig diese Heten, könnte man als Punchline unter diese knapp dreistündige Gender-Burleske zur Antike schreiben. Salzburg reagiert begeistert. So genüsslich hat man noch selten die Kritik an der Hochkultur dargeboten bekommen. Ob man damit selber gemeint sei? Ab Samstag bietet auch die TV-Übertragung eine Chance auf eine Art Objektivierung des Blicks.