Die Geschichte der Salzburger Festspiele scheint oft erzählt und noch viel öfters beschworen. Wie oft hat man vom europäischen Friedensprojekt gehört, das man sich zwar ab den 1920er Jahren nach durchaus findigen und – man kann auch sagen – wendehalsigen Argumentationsversuchen durch Hugo von Hofmannsthal auf die Fahnen geschrieben hat.
Motor der Moderne
Doch blickt man wie Thalberg genauer auf die Geschichte der Festspiele, vor allem auf die Jahre der Gründung und der Zwischenkriegszeit, dann offenbaren sich doch viele Bruchlinien, die eben die Geschichte Österreichs, der Chancen und auch der vertanen Chancen deutlicher machen. Der Antisemitismus und der Nationalsozialismus ante portas waren ein bestimmendes Element in der Auseinandersetzung darum, was mit dem „Salzburger großen Welttheater“ ja eher von katholischem Geist und weniger von radikaler Moderne zu zeugen schien.
Doch Thalberg nimmt den Charismatiker Reinhardt in den Blick und seinen Traum von einem Festival, das alle bisher gekannten Konventionen sprengen sollte, neuen Darstellungsformen zum Durchbruch verhalf – und letztlich in dem kleinen, nach Identität ringenden Österreich nach 1918 so etwas wie einen internationalen Anziehungspunkt stiftete, gegen den nach 1933 für kurze Zeit auch die Nazis in Deutschland nichts ausrichten konnten.
Als mit Arturo Toscanini der berühmteste Dirigent in Salzburg am Pult stand und der französische Nobelpreisträger Francois Mauriac die Moderne der Festspiele gegen die vor der Tür stehenden Nationalsozialisten hochhielt, da war Salzburg für kurze Zeit auch der internationale Nabel der Welt.
Tischszene und Geschichtsdiskurs
Eine Festspielfamilie versammelt Thalberg um die Tafel in Leopoldskron. Und es ist der Diener Reinhardts, gespielt von Florian Teichtmeister, der die Gespräche belauscht, kommentiert und sie für die Nachwelt sortiert – eine beinahe Thomas Bernhard’sche Figur, könnte man denken. Doch dieser Diener führt weniger gebückt und pessimistisch durchs Welttheater, sondern eher wie ein Michel de Montaigne der Kammerdiener, der nun mal die Seele gerade der Menschen kennt. Und so sind die Wagemutigen da, die, die Neues wagen wollen – und auch jene, die wie Strauss etwa stets Neues, Aufregendes bringen – aber die in der Stunde, wo der Nationalsozialismus drängender wird, „unpässlich“ gegenüber Salzburg dastehen.
Die Rolle von Strauss gegenüber Salzburg kostet Thalberg in Tischszenen aus. Man hört die Gespräche von damals, sieht aber keine Personen, sondern nur ihre Gerichte: und dort, wo Strauss zu Tische und zugange ist, da liegt das Bauchfleisch im Saft neben den Knödeln. Und gegen alle Anklagen des Anpasslertums weiß die Stimme des Schweinsbratens eine pragmatische Antwort. Das könnte von Thomas Manns „Buddenbrooks“ und dessen Vorliebe, gerade das Süddeutsche charakterlich vorzuführen, geborgt sein – gibt aber der Geschichte eine treffende und zugleich eben auch nicht anklagende Note.
Von Einem, Brecht und Karajan
Nach dem Krieg fokussiert Thalberg die Kontroverse Gottfried von Einem und Herbert von Karajan. Einem hatte mit „Dantons Tod“ an der Spitze der Festspiele der Moderne und der Aufarbeitung der Zeit davor eine Stimme gegeben. Doch er hatte die Rechnung ohne Herbert von Karajan gemacht. Statt Bertolt Brecht bei den Festspielen gab es also das Mediengenie, das schon zur Zeit der Nazis so geschmeidig war wie nach dem Krieg durchsetzungsmächtig.
Auch hier klagt Thalberg nicht an. Sie verkürzt auch nicht, sondern zeigt, wer eben in entscheidenden Jahren tatsächlich Geschichte geschrieben hat. Erst mit der Ära Gerard Mortier kommt die Kunst wieder im Sinne der Ursprungsidee der Festspielgründer zu ihrem Recht. So könnte man es verkürzt auf den Punkt bringen.
Die knapp einstündige Dokumentation zeigt von diesen Geschichtsetappen Österreichs ein ausführlicheres – und stets kurzweiliges Bild. Und sie sagt in einem deftigen Zwischenschnitt, wem die Macht im Staate zukommt: „dem Landeshauptmann“.