Szenenbild aus der ORF-Doku. Frau sieht in den Spiegel
ORF
„Das große Welttheater“

Die abenteuerliche Geschichte der Festspiele

Die Geschichte der Salzburger Festspiele ist eine des 20. Jahrhunderts – samt aller Tragödien. Dokumentarfilmerin Beate Thalberg liest die Geschichte der Festspiele als eine Familienaufstellung. Und lässt in ihrer Doku „Das große Welttheater“ an den Tischen von Max Reinhardts Schloss Leopoldskron zahlreiche Stimmen aufeinanderprallen. Und so treffen sich dort die Wagemutigen – und auch die Anpassler. Ein Schweinsbraten spricht da schon mal für den Bayern Richard Strauss.

Die Geschichte der Salzburger Festspiele scheint oft erzählt und noch viel öfters beschworen. Wie oft hat man vom europäischen Friedensprojekt gehört, das man sich zwar ab den 1920er Jahren nach durchaus findigen und – man kann auch sagen – wendehalsigen Argumentationsversuchen durch Hugo von Hofmannsthal auf die Fahnen geschrieben hat.

Eine Idee gegen alle Regeln der Vernunft

Die Idee, in einer schwierigen, armen Zeit Festspiele auszurichten, schien wie ein Größenwahn. Sie war aber ab dem Jahr 1920 nicht mehr zu bremse. Und hatte mit Max Reinhardt den entscheidenden Motor.

Motor der Moderne

Doch blickt man wie Thalberg genauer auf die Geschichte der Festspiele, vor allem auf die Jahre der Gründung und der Zwischenkriegszeit, dann offenbaren sich doch viele Bruchlinien, die eben die Geschichte Österreichs, der Chancen und auch der vertanen Chancen deutlicher machen. Der Antisemitismus und der Nationalsozialismus ante portas waren ein bestimmendes Element in der Auseinandersetzung darum, was mit dem „Salzburger großen Welttheater“ ja eher von katholischem Geist und weniger von radikaler Moderne zu zeugen schien.

Die Internationalisierung

Mit dem Engagement von Arturo Toscanini und einer interessierten Presse vor allem in Frankreich gelingt den Festspielen in den 1930er Jahren eine große Internationalisierung, die auch eine Marlene Dietrich an die Salzach bringt.

Doch Thalberg nimmt den Charismatiker Reinhardt in den Blick und seinen Traum von einem Festival, das alle bisher gekannten Konventionen sprengen sollte, neuen Darstellungsformen zum Durchbruch verhalf – und letztlich in dem kleinen, nach Identität ringenden Österreich nach 1918 so etwas wie einen internationalen Anziehungspunkt stiftete, gegen den nach 1933 für kurze Zeit auch die Nazis in Deutschland nichts ausrichten konnten.

Als mit Arturo Toscanini der berühmteste Dirigent in Salzburg am Pult stand und der französische Nobelpreisträger Francois Mauriac die Moderne der Festspiele gegen die vor der Tür stehenden Nationalsozialisten hochhielt, da war Salzburg für kurze Zeit auch der internationale Nabel der Welt.

Bild von Margarete Wallmann im Jahr 1931
Still ORF-Doku „Das große Welttheater“
Im Blick der Doku: die jüdische Tänzerin, Choreografin und Regisseurin Margarete Wallmann

Tischszene und Geschichtsdiskurs

Eine Festspielfamilie versammelt Thalberg um die Tafel in Leopoldskron. Und es ist der Diener Reinhardts, gespielt von Florian Teichtmeister, der die Gespräche belauscht, kommentiert und sie für die Nachwelt sortiert – eine beinahe Thomas Bernhard’sche Figur, könnte man denken. Doch dieser Diener führt weniger gebückt und pessimistisch durchs Welttheater, sondern eher wie ein Michel de Montaigne der Kammerdiener, der nun mal die Seele gerade der Menschen kennt. Und so sind die Wagemutigen da, die, die Neues wagen wollen – und auch jene, die wie Strauss etwa stets Neues, Aufregendes bringen – aber die in der Stunde, wo der Nationalsozialismus drängender wird, „unpässlich“ gegenüber Salzburg dastehen.

Der Nationalsozialismus ante portas

Lange vor dem Einmarsch der Nazis in Österreich standen die Festspiele unter dem Druck der Politik, die in Deutschland ab 1933 gemacht wurde. Max Reinhardt schaffte den Sprung ins Exil. Sein geliebtes Leopoldskron würde er nicht mehr wieder sehen.

Die Rolle von Strauss gegenüber Salzburg kostet Thalberg in Tischszenen aus. Man hört die Gespräche von damals, sieht aber keine Personen, sondern nur ihre Gerichte: und dort, wo Strauss zu Tische und zugange ist, da liegt das Bauchfleisch im Saft neben den Knödeln. Und gegen alle Anklagen des Anpasslertums weiß die Stimme des Schweinsbratens eine pragmatische Antwort. Das könnte von Thomas Manns „Buddenbrooks“ und dessen Vorliebe, gerade das Süddeutsche charakterlich vorzuführen, geborgt sein – gibt aber der Geschichte eine treffende und zugleich eben auch nicht anklagende Note.

Von Einem, Brecht und Karajan

Nach dem Krieg fokussiert Thalberg die Kontroverse Gottfried von Einem und Herbert von Karajan. Einem hatte mit „Dantons Tod“ an der Spitze der Festspiele der Moderne und der Aufarbeitung der Zeit davor eine Stimme gegeben. Doch er hatte die Rechnung ohne Herbert von Karajan gemacht. Statt Bertolt Brecht bei den Festspielen gab es also das Mediengenie, das schon zur Zeit der Nazis so geschmeidig war wie nach dem Krieg durchsetzungsmächtig.

Brief von Karajan an von Einem
ORF
Brief von Karajan an Einem mit sehr deutlichen Botschaften

Auch hier klagt Thalberg nicht an. Sie verkürzt auch nicht, sondern zeigt, wer eben in entscheidenden Jahren tatsächlich Geschichte geschrieben hat. Erst mit der Ära Gerard Mortier kommt die Kunst wieder im Sinne der Ursprungsidee der Festspielgründer zu ihrem Recht. So könnte man es verkürzt auf den Punkt bringen.

Einem gegen Karajan

Mit großen Elan für eine Modernisierung startete der Komponist Gottfried von Einem in seine Version der Festspiele. Der Streit und das Tauziehen um Bert Brecht als Österreicher, nutzt einer, um sich in Stellung zu bringen: Herbert von Karajan

Die knapp einstündige Dokumentation zeigt von diesen Geschichtsetappen Österreichs ein ausführlicheres – und stets kurzweiliges Bild. Und sie sagt in einem deftigen Zwischenschnitt, wem die Macht im Staate zukommt: „dem Landeshauptmann“.