Der österreichische Schauspieler Raoul Aslan und die deutsche Opernsängerin Marie Gutheil-Schoder in Salzburg. Um 1935.
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Welttheater, Politik und Lokalkostüm

Die Festspiele und der Trachtenkult

Trachtentragen ist nicht mehr unbedingt regionaler Identitätsausweis. Das belegen die in Städten um sich greifenden Oktoberfeste und „Wiesn“. In Salzburg scheint die Kombination Tracht und Kultur im Gencode der Festspiele verankert zu sein, träumte doch schon Hofmannsthal von der engen Bindung zwischen Landschaft und Literatur. So war es in Salzburg auch kein Widerspruch, dass der Weg zur Internationalisierung Mitte der 1930er Jahre zugleich den Höhepunkt des Trachtenkults markierte – und auch eine Marlene Dietrich bei ihrem Festspielauftritt eine Tracht Salzburg abbekam.

Ein Jedermann in Lederhosen und eine Buhlschaft im Dirndl. Im Jahr 1936 war das für Attila Hörbiger und Dagny Servaes eine Prestigefrage (und auch für Schauspieler Raoul Aslan und Sängerin Marie Gutheil-Schoder, Bild oben, war Posen in Tracht obligatorisch). Internationalisierung und Tracht, das gehörte Mitte der 1930er Jahre zusammen. Und klingt vielleicht heute, in der Zeit der globalisierten Oktoberfeste und dem Kult, auch in der Großstadt in geborgter Landestracht anzutreten, gar nicht mehr wie ein Widerspruch. Für die Salzburger war das aber bereits in den 1930er Jahren auch ein Ausweis einer gewissen Form der „Maskerade“, wie die Salzburger Volkskundlerin Ernestine Hutter im Katalog zur Salzburger Landesausstellung „Das große Welttheater“ erinnert.

„100 pieces“

Mehr zur Geschichte der Salzburger Festspiele in der Zwischenkriegszeit in Videoform auch in ORF.at/100pieces.

Salzburg und die „Trachtenerneuerung“

Im Sommer 1935 hatte die Salzburger Landesregierung einen Beschluss zur „Salzburger Landestracht“ gefasst und auch den Männern einen eigenen „Salzburger Herrenanzug“ verschafft. Die sogenannte Trachtenerneuerung, sie war in Salzburg bereits im Jahr 1910 gestartet worden und sollte wohl auch, wie es Hutter schildert, dem „sorglosen Eklektizismus“ des Städters, der im Zuge der Sommerfrische des 19. Jahrhunderts seine Vorlieben für lokale Kleidungsbräuche entdeckt hatte, so etwas wie einen verbürgten lokalen Kanon entgegensetzen.

Jedermann Proben in Lederhose. Die Schauspieler Dagny Servaes (Buhlschaft) und Attila Hörbiger (Jedermann) bei einer Probe zu >Jedermann< von Hugo von Hofmannsthal. 1936.
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Dagny Servaes (Buhlschaft) und Attila Hörbiger (Jedermann) bei einer Probe zum „Jedermann“ 1936.

Hugo von Hofmannsthal, dem Weltbürger in der Wiener Stadtrandlage Rodaun, hätten solche Kodifizierungen der Heimatverbundenheit sicher gefallen. Als er sich um die Durchsetzung seiner Festspielidee bemühte, war ja noch weniger vom gesamteuropäischen (Friedens-)Gedanken zu spüren, den man heute so gerne rühmt. Auch war nicht mehr ganz so viel vom skeptischen Modernisten über, der einst den „Chandos-Brief“ verfasst oder sich an parfumschwangeren Ästhetizisten wie Gabriele d’Annunzio begeisterte hatte.

„Ein österreichischer Vogel fliegt nicht so hoch“

Hofmannsthal entdeckte ab den 1917er Jahren das „Heimatgebundene“, wie er etwa im Text „Österreich im Spiegel seiner Dichtung“ festhielt. Und jeder Gedanke an das österreichische Schriftstellertum hat da schon einen dicken Trachtenanzug an, wenn es etwa heißt: „Der österreichische Dichter hat zum Hintergrunde seine Landschaft. (…) Denke ich an Männer wie Kant, Hölderlin oder Nietzsche, so ist der geistige Aufschwung ohnegleichen vor meinem Auge und ich könnte an der Höhe des Fluges die Deutschheit und das Aufgeflogensein vom deutschen Geistesboden erkennen, nicht aber das Gefieder. Ein österreichischer Vogel fliegt aber nicht so hoch, dass man das Gefieder nicht erkennen könne.“

Die Dietrich fährt ein

„Dualismus“ nennt Hofmannsthal, was später die Verbindung von „Internationalismus“ und Lokalkolorit bei den Festspielen war. Der dualistische Hofmannsthal wollte die „kulturelle Zugehörigkeit zum deutschen Gesamtwesen“ ebenso erhalten sehen wie „unsere Zugehörigkeit zu Österreich“: Und letztere nähre sich aus der Verbundenheit mit lokalen Traditionen.

Zwei Trachten für Marlene Dietrich
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Tracht und Kostüm für Marlene Dietrich bei den Salzburger Festspielen. Ausgestellt im Rahmen der Weltausstellung „Das große Welttheater“ im Salzburg Museum.

„Der bayrisch-österreichische Stamm“

„Der Festspielgedanke ist der eigentliche Kunstgedanke des bayrisch-österreichischen Stammes“, heißt es in der frühesten programmatischen Programmschrift zu Salzburg, die offenkundig auch für seinen Rezipientenkreis maßgeschneidert war: „Gründung eines Festspielhauses auf der Grenzscheide zwischen Bayern und Österreich ist symbolischer Ausdruck tiefster Tendenzen, die ein halbes Jahrtausend alt sind, zugleich Kundgebungen lebendigen, unverkümmerten Kulturzusammenhanges bis Basel hin, bis Ödenburg und Eisenstadt hinüber.“

So passte auch der „Jedermann“, wie der spektakelorientierte Max Reinhardt rasch merkte, besser vor die Kulisse des Salzburger Doms als in ein Berliner Revuetheater der 1911er Jahre. Dass sich die Festspielgäste derart an den Trachten begeisterten, führt die Volkskundlerin Hutter freilich weniger auf die offiziellen Bemühungen des Landes zurück, die Trachten zu beleben und zu erhalten, sondern auf die „Ideen eines feinsinnigen Trachtendesigners“, dessen Entwürfe einen kreativen Umgang mit den Themen Bodenständigkeit und einer sehr freien Interpretation der Historie der Tracht verrieten.

Der Weg nach Leopoldskron und der Abstecher zu Lanz

Wer als prominenter Gast aus dem Ausland gekommen sei, sei von Reinhardts Freund und Berater Rudolf Kommer empfangen und auf dem Weg zum Reinhardt-Schloss Leopoldskron gleich beim lokalen Modeausstatter Lanz in Trachten eingekleidet worden, so Hutter: „So gingen Lilian Gish, Lady Diana Manners, Rosamond Pinchot und zahlreiche andere schon wenige Stunden nach ihrer Ankunft als Dirndln durch die Stadt.“

Gegen diese in Salzburg betriebene „Maskerade“ polterte man im Februar 1938 in der „Österreichischen Gebirgs- und Volks-Trachten-Zeitung“. Von einer „Verballhornung“ der Tracht, ist da die Rede, „um darin auf Bühnen zu spielen, um sich darin läppisch und unsere Ahnen verspottend aufführen zu können“. Die Tracht sei ein „Ehrenkleid“, das die „Volksseele“ und die „Ahnen“ verkörpere.

 Die Opernsängerin Lotte Lehmann im Mirabellgarten. Salzburg. Um 1935.
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Opernsängerin Lotte Lehmann im Mirabellgarten, um 1935

Das Dirndl als „jüdisches Nationalkostüm“?

Elastischer war die „Volksseele“ in Bezug auf die Trachten freilich in der Zeit des Nationalsozialismus. Dass die Trachtenforscher mit eindeutig nationalsozialistischer Gesinnung und Nähe zum SS-„Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers die Trachten in den Jahren 1938 bis 1945 uminterpretierten und, wie etwa Gertrud Pesendorfer im benachbarten Tirol, des katholischen Kontextes entkleideten, hält sich bis in die Gegenwart: Die enge Taille bei der Tracht und die kurzärmelige Bluse, die den Unterarm der Frau freigibt, ist eine dieser Entwicklungen aus der Nazi-Zeit. Trachten hätten sich „einerseits unter dem kirchlichen Einfluss, andererseits durch Vermengung mit städtisch-modischen Formen verdüstert“, schrieb Pesendorfer etwa in ihrem Aufsatz „Zu unserer Trachtenarbeit“ im Jahr 1943.

Im Sommer des Jahres 1938 veröffentlichte die „Gebirgs- und Volks-Trachten-Zeitung“ den Erlass der Polizeidirektion Salzburg, dass „Juden im Bereiche der Polizeidirektion Salzburg das öffentliche Tragen von alpenländischen (echten oder unechten) Trachten wie Lederhosen, Joppen, Dirndkleidern, weißen Wadenstutzen, Tirolerhüten usw.“ verboten sei. Angefügt war dieser Verordnung ein Kommentar des Heimatforschers und späteren Mitbegründers des „Salzburger Heimatwerkes“ Kuno Brandauer, der meinte, die Verfügung würde „zweifellos von allen Kreisen begrüßt, die es seit Langem hinnehmen hatten müssen, dass z. B. das Dirndl geradezu als jüdisches Nationalkostüm“ erschienen sei.

Brandauer war in der Zwischenkriegszeit eine der führenden Figuren im Salzburger Landestrachtenverband. Für die Erneuerung der Salzburger Trachten hatte er die Vorbilder in helleren Modellen des Barock und Rokoko suchen lassen. Als frühes Mitglied der NSDAP (Mitgliedschaft 1931) hatte er sich schon länger für ein Trachtenverbot für Juden ausgesprochen (auch, dass Juden keine deutschen Vornamen tragen dürften). Nach dem Krieg wurde ihm im Amt der Salzburger Landesregierung eine Stelle zur Heimatpflege eingerichtet, die von Brandauer geleitet wurde.

Erst im Jahr 2011 entschied sich das Land Salzburg, die Kuno-Brandauer-Medaille als höchste Auszeichnung des Landes Salzburg für die Heimatpflege nach Diskussionen über die Vergangenheit Brandauers und sein Mitwirken am propagandistischen „Amt Rosenberg“ und dem „SS-Ahnenerbe“ nicht mehr zu vergeben.