Verena Altenbrger und Lars Eiding auf nächtlicher Straße
SF/Ingo Pertramer
Altenberger im Interview

„Die Buhlschaft ist eine moderne Frau“

„Die Buhlschaft ist eine moderne Frau, die auch die Haare so hat, wie sie sie hat.“ Auch im Halbzeitbilanz-Interview mit ORF.at wehrt sich Verena Altenberger gegen Verzerrungen, die ihr im Netz begegnet sind. Sie habe kurze Haare, durch den Film, den sie davor gedreht habe. Und beim Entwickeln der Rolle im Gegenüber mit Jedermann Lars Eidinger sei man draufgekommen: Beide Figuren sollen viel der Gegenwart haben. Und, so Altenberger: Der Jedermann und die Buhlschaft, „sie lieben sich“ in der Version 2021. Augenhöhe statt Abhängigkeit, das sei ihre Botschaft.

Nach zahllosen Interviews sind Verena Altenberger beim Treffen in Salzburg einige Klarstellungen wichtig. „Ich hatte die Hoffnung, eine Frau auf die Bühne zu stellen, wie sie 2021 zeitgemäß ist“, erzählt sie und fügt mit der im Netz laufenden Debatte über ihr Auftreten hinzu: „Darum hätte ich mir nicht als emanzipatorisches Statement die Haare abgeschnitten. Aber dass es egal ist, dass die Buhlschaft kurze Haare hat, das ist zeitgemäß.“

Das Stück habe man ohne große Ideologien im Kopf im Spiel entwickelt. Das sei für sie der Charakter des Volksstückes. Und mit Lars Eidinger habe sie ganz viel herumprobieren können, auch was den Auftritt der Buhlschaft anlangt. „Wir haben es auch mit Perücken probiert, ich trage eine, dann setz ich sie ihm auf – aber am Ende wollten wir es so natürlich wie möglich“, erzählt sie. Ihr Probenwunder sei die Liebe, die sich zwischen dem Jedermann und der Buhlschaft einstelle. „Und Liebe, wahre Liebe, gibt es nur mit Augenhöhe“, so ihre Botschaft im Interview.

Das ganze Interview mit Verena Altenberger

ORF.at: Frau Altenberger, wie ist das für Sie, wenn man im Sommer gerade hier zu einer dauernd öffentlichen Person wird? Als Schauspielerin ist man ja, gerade in Zeiten von Social Media, nie privat.

Verena Altenberger: Lustig, dass Sie das sagen. Ich habe ja den Eindruck, dass ich als Schauspielerin eigentlich immer privat bin. Natürlich gibt es eine Trennung zwischen Rolle und mir. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich sage: Ich steige hier ein – und da wieder aus. Für mich ist es so, dass es da einfach keine Tür oder Wand gibt, wo ich dann nur noch privat bin. Und jetzt gerade in Salzburg hier finde ich es eigentlich nur schön. Wenn, dann passieren im Internet komische Dinge, aber hier ist es gut. Ich habe so viele freundliche Menschen getroffen, die freundliche Dinge sagen.

ORF.at: Man hat ja hier das Gefühl, dass der „Jedermann“ im Prinzip das Stück der Salzburgerinnen und Salzburger ist …

Altenberger: Ja, total, dieses Gefühl habe ich auch. Das hatte ich aber als Salzburgerin ohnedies schon lange bevor ich gefragt wurde, ob ich die Buhlschaft spielen möchte. Es ist schon faszinierend, dass alle dieses Stück kennen, auch wenn sie sonst nie im Theater waren. Mir ist es auch hundertmal lieber, ein Stück zu spielen, wo die Leute das Gefühl haben, sie kennen sich aus, als eines zu spielen, wo nur zehn elaboriert denkende Menschen das Gefühl haben, sie hätten es verstanden. Ich finde es toll, dass der „Jedermann“ so volksnah ist – und dass alle so viel wissen. Ich wusste immer, wie der erste Auftritt der Buhlschaft aussieht.

Verena Altenberger vor Salzburger Dom
SF/Anne Zeuner
Verena Altenberger im Safe Space auf der Salzburger Presseterrasse: „Die realen Begegnungen waren alle schön und freundlich – im Gegensatz zu Debatten im Internet.“

ORF.at: Wurden Sie schon als Kind hierher mitgenommen?

Altenberger: (Lacht) Wenn, dann hätte ich da meine Eltern mitnehmen müssen.

ORF.at: Hofmannsthal meinte ja einmal, er habe sein Stück selbst so richtig begriffen ab dem Moment, wo er es auf dem Salzburger Domplatz gesehen habe (es wurde ja lange davor in Berlin uraufgeführt, Anm.). Was macht denn die Aura dieses Ortes mit Ihnen, wo man meint, die Architektur stürze auf einen herab?

Altenberger: Also ich muss zunächst sagen, dass wir dieses Stück total gerne drinnen spielen, auch wenn das ja am Regen liegt, den wir jetzt so oft hatten (der „Jedermann“ wurde in dieser Saison überhaupt erst einmal im Freien gezeigt, Anm.). Wir haben drinnen sehr gute Abende. Und ich kann sagen, es muss niemand enttäuscht sein, dieses Stück drinnen zu sehen. Draußen werden die Sinne natürlich noch so viel mehr angeregt. Immer fährt der Wind ins Stück hinein – und oft noch an den besten Stellen (lacht). Und wenn dann draußen „Jedermann!“ gerufen wird, dann kann es schon passieren, dass von der Straße ein Teenager „Jedermann!“ retour ruft. Das hatten wir ja alles schon.

Applaus im großen Festspielhaus beim Indoor-Jedermann
SF/Marco Borelli
Bisher nur einmal auf dem Domplatz – Altenberger bricht im Gespräch eine Lanze für den Indoor-„Jedermann“

ORF.at: Die Frage Schicksal passt also ganz gut zum Setting. Draußen.

Altenberger: (Lacht) Ja, wahrscheinlich.

ORF.at: Spürt man draußen dann das Volksstückhafte dieses Werks besser?

Altenberger: Ja, da stimme ich zu. Es ist ja auch so, dass einen diese „Jedermann!“-Rufe erreichen, lange bevor man das Stück gesehen hat. Es gab ja zu Probenbeginn die Überlegungen, die „Jedermann!“-Rufe wegzulassen. Und da bin ich aufgestanden und habe gesagt: „Nein, das könnt ihr uns Salzburgern nicht antun.“

ORF.at: Man sieht Sie sehr oft in der „Jedermann“-Ikonografie 2021 auf den Schultern des Jedermann sitzen. Wie sehr spielen denn Slapstick, Komik, ja Clownerie in Ihrer Interpretation eine Rolle? Kommt das aus der Chemie zwischen Verena Altenberger und Lars Eidinger und der Art, wie Sie die Rolle anlegen wollten?

Altenberger: Den Begriff „Anlegen“ kann ich verneinen, weil wir beide mit einer ganz großen Offenheit in die Arbeit gegangen sind. Alles, was auf der Bühne steht, ist gefunden worden ohne Vorbewusstsein. Ich glaube, wir haben einfach schon viel Spaß daran, miteinander zu spielen.

Lars Eidinger als Jedermann und Verena Altenberger als Buhlschaft
SF/Matthias Horn
„Jedermann“ als Stück einer gefundenen Liebe auf Augenhöhe: Lars Eidinger und Verena Altenberger

ORF.at: Hilft die durchaus offene Struktur des „Jedermann“, dass da auch viel Spiel möglich ist?

Altenberger: Ja, durchaus. Wir genießen die ersten Auftritte, zuerst zu übertreiben und dann wieder ganz ernst zu werden. Mir ist wichtig, dass wir in dieser Volkstümlichkeit und Spielfreude die tiefsten Dinge verhandeln. Ich habe das Gefühl, dass wir jede Textzeile wahnsinnig ernst genommen haben. Wir spielen ja wieder den Ur-Hofmannsthal-Text. Die Themen des Stücks sind universell – und jedes großes Stück ist hier drinnen. Und wenn die Buhlschaft den Jedermann verführt, tut sie das nicht, um ihn ins Bett zu bekommen – sondern sie verführt ihn zu einer Idee. Sie sagt ihm ja auch: Sei ein guter Mensch!

ORF.at: Ist der Reiz des Stücks, dass man die Personen, die ja Stellvertreter und keine ausdefinierten Charaktere sind, immer neu erfinden kann?

Altenberger: Die Darstellung so einer allegorischen Figur hat den Effekt, dass man schnell bei Kernfragen ist. Was ist die Frau? Dafür muss man schnell Lösungen erarbeiten. Es gibt kein Drumherum. Das ist der Reiz, dass man schnell an den Kern und zu einer tiefen Auseinandersetzung kommt.

ORF.at: Die Besetzung der Hauptpartien beim heurigen „Jedermann“ bringt ja eine radikale Verjüngung. Kann man diesen Effekt selbst mitreflektieren?

Altenberger: Ich kann mich da schwer mit anderen Altersstufen vergleichen. Ich bin nun mal ich. Niemand hat sich von uns angeschaut, wie es vorher gemacht wurde. Wir sind einfach mit der größten Offenheit da reingegangen. Und weil ich so oft auf Haare und Hosenanzug angesprochen wurde: Ich habe den Hosenanzug für größtmögliche Bewegungsfreiheit – und davor habe ich ja auch ein Kleid an. Und kurze Haare habe ich von dem Film, den ich davor gedreht habe, wo ich eine krebskranke Frau gespielt habe. Die Buhlschaft hat aus Zufall kurze Haare. Und hätte jemand gesagt: Schneid dir als emanzipatorisches Statement die Haare ab, hätte ich 2021 nur sagen können: „Jetzt ernsthaft?“ Aber zu sagen, wir nehmen die Haare, die die Schauspielerin zu einem spezifischen Moment hat, das interessiert mich. Wir haben aber sogar mit Perücke geprobt, wir haben alles probiert. Aber wir wollten Echtheit auf die Bühne bringen. Und deshalb hat die Buhlschaft kurze Haare.

ORF.at: Aber mit der Verjüngung und auch einem anderen Look hat sich die Gruppe jener, die sich für den „Jedermann“ interessieren, erweitert.

Altenberger: Ja, wenn das so ist, dann freut mich das. Was mich stolz macht, ist, dass der „Jedermann“ zeitgemäß ist. Kunst zu machen heißt für mich, die Frage beantworten zu können: Warum machen wir das? Ich hatte die Hoffnung, eine Frau auf die Bühne zu stellen, wie sie 2021 zeitgemäß ist. Drum hätte ich mir nicht als emanzipatorisches Statement die Haare abgeschnitten. Aber dass es egal ist, dass die Buhlschaft kurze Haare hat, das ist zeitgemäß. Mein Probewunder ist auch diese Liebe, die wir zwischen dem Jedermann und der Buhlschaft gefunden haben. Wir dachten zuerst, wir müssten die Abhängigkeit der Buhlschaft vom Jedermann zeigen. Bis wir auf der Bühne stehen und feststellen: Die lieben sich. Und über diese Liebe erzählen wir von Augenhöhe und Gleichberechtigung.