Bibiana Beglau in „Maria Stuart“
SF / Matthias Horn
Premiere auf der Perner-Insel

„Maria Stuart“ macht auf „Game of Thrones“

Zwei Frauen in einer Welt voll – nackter – Männer: Martin Kusejs Inszenierung des Schiller-Klassikers „Maria Stuart“ ist am Samstagabend die letzte Schauspielpremiere der heurigen Salzburger Festspiele gewesen. Statt Bühnenbild gab es 30 nackte Männer, die dem Zwist der Königinnen von England und Schottland eine Kulisse boten. Die Kombination aus Schiller und „Game of Thrones“-Ästhetik ging auf – und erntete lautstarken Jubel.

Wäre Friedrich Schiller in der heutigen Zeit wirklich ein „gefragter HBO- oder Netflix-Autor“ geworden, wie Burgtheater-Direktor Kusej im Vorfeld sagte? Der Regisseur, so machte es bei der Premiere auf der Perner-Insel in Hallein jedenfalls den Eindruck, wollte mit seiner Inszenierung den Beweis antreten, dass die Weimarer Klassik durchaus Netflix-Potenzial hat – ganz besonders dann, wenn es um einen historischen Königinnenzwist geht.

Die Aufmerksamkeit holt sich Kusej noch, bevor das Licht im Saal ausgeht: Schon beim Betreten des Aufführungsraumes sitzen da die 30 Komparsen – splitterfasernackt – mit dem Rücken zum Publikum. Und kaum geht das Licht wieder an, baumelt der abgetrennte Kopf der Maria Stuart, Königin von Schottland, an einem Seil über der Bühne. Ganz so plakativ hat man das aus der Schullektüre vielleicht nicht in Erinnerung – aber wie ein gutes Serienintro gelingt es, Lust auf mehr zu machen.

Straffe Fassung konzentriert sich auf das Wesentliche

Überhaupt hat Kusej für seine Inszenierung Schillers Original ordentlich eingedampft, um die Spannung aufrechtzuhalten. Schon nach rund zweieinhalb Stunden fällt der letzte Vorhang – länger hätte man es bei über 25 Grad draußen und umso mehr innen, mit Maske und dicht aneinandergedrängt, wohl ohnehin nicht ausgehalten.

Szene aus „Maria Stuart“
SF / Matthias Horn
Eine Königin (Bibiana Beglau, vorne) ausschließlich umgeben von Männern

Um nicht auszuufern, wurden die zwei wesentlichen Aspekte des Quellmaterials herausgearbeitet und in den Mittelpunkt gestellt: Macht und Frauen. Andere Szenen und sogar einige Charaktere wurden einfach gestrichen (mit der Amme und der Kammerfrau alle restlichen weiblichen Figuren). Maria Stuart (Birgit Minichmayr) wartet also erst auf die Verkündung, dann auf die Vollstreckung ihres Todesurteils, Königin Elisabeth von England (Bibiana Beglau) hadert damit, welche politische Folgen die Hinrichtung einer Königin nach sich ziehen könnte. Dazwischen: scheiternde Intrigen und geheime Lieben – und letztlich ein unvermeidbares Ende, verbirgt sich das „Trauerspiel“ doch schon im Untertitel des Stücks.

„It’s a Man’s Man’s Man’s World“

Die Bühne (Annette Murschetz) macht das Verhältnis zwischen Männern und Frauen dabei eindrucksvoll sichtbar, die 30 großteils nackten, selten in Mänteln gehüllten Komparsen sind also mehr als schmückendes Beiwerk. Die beiden Protagonistinnen sind zentrale Figuren in einer Welt, die von Männern bestimmt wird. Wenn Maria im Kerker ist, wird sie von Männern eingezäunt, für Elisabeth machen die Männer nicht nur sprichwörtlich die Mauer.

Ganz allein auf der Bühne sind die zwei Königinnen nur bei ihrem direkten Aufeinandertreffen, Höhepunkt des Schiller-Originals: Hier wird die kühl denkende Elisabeth der heißblütigen Maria gegenübergestellt. Ob Schiller mit zwei Herrscherinnen in den Hauptrollen nun feministischer Visionär war oder zwei in seinen Augen „unvollständige“ Frauen zeigt, denen jeweils die Züge der Gegenspielerin fehlen: Minichmayr und Beglau überzeugen und bringen den Schiller-Text schnörkellos auf die Bühne, was ihnen auch den größten Applaus des Abends sichert.

Birgit Minichmayr in „Maria Stuart“
SF / Matthias Horn
Birgit Minichmayr überzeugt als Maria Stuart

Daneben sticht vor allem Norman Hacker als Burleigh heraus, jener Baron, der auf den baldigen Tod der schottischen Königin drängt. Auch Mortimer (Franz Pätzold), der für die Rettung der Maria Stuart bereit ist, sein Leben zu geben, spielt seine Rolle überzeugend. Spielerisch überzeugt das Burgtheater-Ensemble insgesamt, das im Herbst das Schiller-Stück auch in Wien aufführen wird.

Hinweis

„Maria Stuart“ ist im Rahmen der Salzburger Festspiele insgesamt noch sechsmal bis 25. August auf der Perner-Insel in Hallein zu sehen.

„Maria Stuart“-Premiere für die Festspiele

Erstaunlich ist dabei, dass man dem Text des deutschen Dichters sein Alter kaum anmerkt: Fast 200 Jahre nach seiner Entstehung legt die Inszenierung bei den Festspielen einen Fokus auf die Sprache Schillers. Veraltet kommt davon eigentlich nichts an – und freilich ist der Stoff zwischen Macht und Gender-Gleichheit zeitgemäß, was wohl mit ein Grund für die erste Aufführung der „Maria Stuart“ in hundert Jahren Festspielgeschichte gewesen sein dürfte.

Es ist aber schon auch die eigenwillige Präsentation, die „Maria Stuart“ zwar nicht direkt in die Gegenwart holt, sie aber jedenfalls zeitlos auf die Bühne bringt: Nicht nur das Licht (Friedrich Rom) setzt auf filmische Elemente wie häufige Schwarzblenden, auch der Musik (Bert Wrede) wurde offenbar erfrischend viel Aufmerksamkeit gewidmet. Das Ergebnis klingt fast nach Trent Reznor, Experte für Soundtracks zu aufgeladenen Filmbiografien.

Keine angestaubte Schullektüre

Am Ende versinkt Maria im Nebel, die nackten Männer, die zuvor noch die Schwerter geschwungen hatten, liegen nun regungslos auf dem Boden, ihre Klingen in den Boden gesteckt. Statt des Schockmoments wie zu Beginn wird zum Schluss auf stark atmosphärische Bilder gesetzt, die wohl ohne großes Zutun mit ihrer Mittelalter-Fantasy-Ästhetik auch auf der Leinwand ihre Wirkung entfalten würden.

Birgit Minichmayr in „Maria Stuart“, umgeben von Nebel
SF / Matthias Horn
Fantasy-Ästhetik zum Schluss: Maria Stuart versinkt im Nebel

Zweieinhalb Stunden überschreiten zwar die normale Spielfilmlänge, Pause gibt es dennoch keine – das wäre auch schwierig, denn der Burgtheater-Chef hat alles daran gesetzt, den Thriller aus „Maria Stuart“ herauszuarbeiten. Vom vorweggenommen Ende gleich im ersten Aufzug hin zur letztlich allein dastehenden Königin von England fesselt das Schiller-Drama, was ausgerechnet für typische Schullektüre, an die sich viele wohl nicht immer gerne erinnern, kein leichtes Unterfangen ist.

Das ist jedenfalls der Inszenierung zu verdanken, die aber zu keinem Zeitpunkt versucht, Schiller zu verstecken – eher im Gegenteil. Vielleicht wäre der Dichter also wirklich im Hollywood-Serien-Geschäft ein großer Name geworden. Unklar ist, ob er auch 30 Nackte als Kulisse genommen hätte. Geht man nach dem Applaus am Premierenabend auf der Perner-Insel, wäre er – wenn nicht in Hollywood, dann zumindest in Hallein – goldrichtig mit dieser Entscheidung gelegen.