Eröffnungsakt

Die Salzburger Festspiele auf dem Prüfstand

„Der Ton des Krieges, die Tonarten des Friedens“ – das ist der heurige Titel der Festrede bei den Salzburger Festspielen, die der Autor Ilija Trojanow halten wird (live hier ab 11.00 Uhr). Salzburg bemüht gern das Humanitätsideal, zeigt aber im Umgang mit sich selbst auch die Neigung, konkreten Fragen sehr allgemein zu begegnen. Das mag nicht zuletzt einem genuin österreichischen Kulturverständnis geschuldet sein, das der Kultur die Rolle der Selbstbestätigung und weniger die der Kritik zuschreibt.

Die Salzburger Festspiele, die sich ja gerne ihre Geburt als Friedensprojekt in Zeiten größter Krisen 1920 auf die Fahnen schreiben, sind erneut gefragt, sich politisch deutlich zu positionieren. Ein Krieg mitten in Europa stellt das Selbstverständnis eines Festivals in Frage, das ja grundsätzliche Fragen behandeln will, aber in Haltungsfragen nicht „halbseidene“ Positionen (um die Worte des Intendanten aus anderen Zusammenhängen zu zitieren) einnehmen kann. Ohnedies ringt man dieser Tage mit der Einladungspolitik – Teodor Currentzis ja, sein in St. Petersburg arbeitendes Orchester nein.

Hinweis

Der ORF überträgt den Festakt live ab 11.00 Uhr in ORF2, tvthek.ORF.at und hier.

Wie die von Intendant Markus Hinterhäuser vorgeschlagene Prüfung „im Einzelfall“ zu bewerten ist, wird medial diskutiert – und ist Gegenstand großer Aufmacher, denkt man an das jüngste „profil“-Cover. Salzburg, dieses in Europa wahrscheinlich mittlerweile einmalige Festival beim künstlerischen Niveau, darf sich die Frage stellen, wie sehr man in der Betrachtung der eigenen Geschichte gerne die Ausflucht zu allgemeinen Formeln nimmt. Ein Friedensprojekt wurden die Festspiele erst etwas später, als die Welt auf Österreich schaute, weil das kleine Land von Hitler-Deutschland bedroht wurde (und Salzburg zugleich Nährboden für illegale Nazi-Aktivitäten war).

Hofmannsthal und die moralisch besseren Österreicher

Auch Hugo von Hofmannsthals Begründungspolitik für die Festspiele kennt viele Ansätze und Umwege (die ja bekanntlich in die Kaiserzeit reichen, also per se nichts mit einem Postweltkriegsprojekt zu tun haben). Die Festspiele sind einer der Grundsteine einer österreichischen Identitätspolitik nach 1918 – und Rückgriff auf die Kultur als Ausweichmöglichkeit gegenüber der für Österreich so schwierigen Nationenfrage. So wollte man besser sein als Deutschland und maß die eigene Humanität doch immer auch im Gegensatz zu einem Nachbarn, dem man sich auf dem Boden westlicher Bundesländer 1921 gerne anschließen wollte.

Kurz: Kulturpolitik war in Österreich immer Identitätspolitik und hatte, mit kurzen Ausnahmen, etwa in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, selten mit einer Form der Selbstkritik zu tun. Kultur diente und dient einer Selbstbestätigung und -vergewisserung. Auch von den großen medialen Institutionen, vom ORF wie den Zeitungen, wird unausgesprochen eine Bestätigung dieses Umstandes erwartet.

Hinterhäuser und Trojanow im Gespräch

Der Intendant und der Festspielredner über Kunst & Macht.

Das Eröffnungsparadoxon

Von einer Eröffnungsrede bei den Festspielen wird eigentlich ein Paradoxon erfragt: Bestätigung zu betreiben – und zugleich Kritik zu behaupten. Dieses Experiment ist ein Drahtseilakt. Letztes Jahr glitt es zu einem Uniseminar durch den SPD-Politiker und Philosophen Julian Nida-Rümelin („Einzelstaaten sind keine Akteure mehr“) ab, das den Verfassungspraktiker im Bundespräsidenten auf den Plan rief und Gegenstatements provozierte.

Es geht darum, wie wir jenes Denken und Fühlen wieder gewinnen, das der Krieg verengt“, sagte Trojanow am Montagabend im „KulturMontag“ des ORF auf die Frage, wie er seine Rede anlegen würde: „Es geht um das, was uns weiter bringt, auch im Kampf gegen den Krieg.“ Die Festspiele seien für ihn gerade deshalb nicht „Eskapismus“.

Ilja Trojanow
Brigitte Friedrich / SZ-Photo / picturedesk.com
Festredner 2022, Ilja Trojanow

Für heuer darf man gespannt sein. Mit Kristina Hammer tritt eine neue Präsidentin erstmals ins öffentliche Licht, nachdem ihre Vorgängerin in Salzburg, Helga Rabl-Stadler, ganz im Stil ihres Vaters, beim letzten Eröffnungsakt zur Bestform auflief. All das reizte den Landeshauptmann, der ja die Veranstaltung eigentlich ausrichtet, ebenso, auf das Terrain der Weltphilosophie zu steigen.

„Trojanow, der ideale Redner“

Zum Festredner Trojanow hieß es im Vorfeld seitens der Festspiele und von Intendant Hinterhäuser, dass es keinen besseren Redner in der augenblicklichen Situation gebe: „Ilija Trojanow ist im besten Sinne ein Weltensammler. In einer ständigen Bewegung zwischen Sprachen, Kulturen und Epochen begibt er sich immer wieder auf die Suche nach komplexen Wahrheiten und Weltsichten, nach Wegen, Freiheit zu erfahren und zu einer humanen Übereinkunft zu gelangen.“

ORF-Projekt „Die doppelte Frau“: Wie kam unser Selbstbild zustande?

Eine mysteriöse Frau kommt nach Salzburg und gibt einem Privatdetektiv einen Auftrag: Er soll alles über das renommiertes Fotostudio Ellinger herausbekommen, das zwischen 1909 und den 70er Jahren in Salzburg existiert hat.

Von den Festspielen, aber ebenso von der Politik, wird im Moment der Eröffnung im Jahr 2022 und mit einem Krieg vor der Haustüre mehr als das Bemühen von Humanitätsidealen, nämlich: Konkretheit, gefragt sein. Und natürlich auch, so machte es der Festspielchef zuletzt deutlich: der Mut zur Differenzierung, der aber die Notwendigkeit einer nachhaltigen Diskussionsbereitschaft nach sich zieht.

1964 hat man die Tradition der Festrede bei den Salzburger Festspielen begründet, die nur in der Zeit von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) für zwei Jahre unterbrochen war. Erst dreimal hielten Frauen diese Rede. Weltphilosophie ist in Salzburg immer noch Männersache.