der deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow
ORF
Festredner Trojanow

„Die Händchenhalter sitzen auch in Österreich“

„Lügner und Heuchler gibt es nicht nur in Russland, auch in Österreich gibt es sie, die Händchenhalter“ – daran hat am Dienstag der Schriftsteller Ilija Trojanow bei seiner nachdrücklichen Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele erinnert. Die Gier verbinde auch ehemalige Politiker und andere mehr mit der Logik des Krieges. Es sei auch nicht legitim, eine Bank zu überfallen, weil man mit dem erbeuteten Geld den „Fidelio“ aufführe, so seine Kritik an „naivem Kultursponsoring“.

Wenn die Salzburger Festspiele Welttheater und Weltgericht lieben, dann haben sie am Dienstag bei der Eröffnung die Früchte des eigenen Anspruches geerntet. Wer den berechtigten Anspruch der Kunst verteidigen wolle, so Trojanow, der könne auch kein „naives Kultursponsoring“ aufrechterhalten, wandte sich Trojanow direkt an den früheren Festspiel-Sponsor Solway, von dem man sich richtigerweise getrennt habe. Dass Krieg die Vernichtung des Notwendigen und Schönen in Kauf nehme, beziehe sich auch auf eine Gesellschaftsordnung, die in Kauf nehme, dass es den anderen für die eigene Gier schlecht gehe.

Gier als Triebfeder des Krieges und der Wirtschaft

Die Gier, sie ist für Trojanow auch die Triebfeder des jetzigen Krieges in der Ukraine, der schon lange unter der Oberfläche des Friedens gegoren habe. „Die Sieben, die Drei und das Ass“, zitierte Trojanow immer wieder den Klassiker „Pique Dame“, mit dem sich auch an das komplexe Verhältnis von Krieg und Kunst erinnern lasse. Was sei zu tun, wenn Stalin von einem Künstler forderte, eine Nummer zu spielen, die er selbst verboten habe? „Gilt das Gesetz, oder gilt der Befehl?“, so Trojanow. Und er erinnerte an die Oper „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg, in der der Häftling im KZ eben nicht die beauftragte Nummer, sondern die Chaconne von Bach spielt. Die Verteidigung der Kunst gegen die Instrumentalisierung der Kultur, sie sei hier mit dem Leben bezahlt worden, erinnerte der Autor.

Festrede von Autor Ilija Trojanow

„Der Ton des Krieges, die Tonarten des Friedens“ – das ist der heurige Titel der Festrede bei den Salzburger Festspielen, die der Autor Ilija Trojanow gehalten hat.

Wenn sich in diesen Tagen Valery Gergiew als ein Virtuose auch der Macht erweise, weil er als Großgrundbesitzer mit Wohltätigkeitsstiftung weiter den Taktstock schwinge, dann stelle sich die Frage, wie seine Interpretationen tatsächlich zu deuten seien – wohl am ehesten im Sinn der „Sieben Todsünden“ von Kurt Weill und Bert Brecht.

„Der Krieg ist perverse Monotonie“

Gier sei die schlimmste der Zivilisationskrankheiten, und sie befeuere die Lügner und Heuchler, die nicht nur in Russland säßen – auch in Österreich gebe es sie, die Händchenhalter. Die zerstörten Städte sind unvermeidbare Folge der Logik der Gier und enthemmter Macht – „oder wie Stalin gesagt hat: Wo kein Mensch, da kein Problem“.

„Der Krieg an sich ist ein Verbrechen. Der Krieg ist perverse, redundante Monotonie, die nur eines zulässt, den einen wahren Ton“, so Trojanow, der die Gegenfrage stellte: „Wissen Sie, was Kunst ist? Es ist die seltene Gelegenheit, Ihr Handy auszumachen.“ Die Welt, sie solle dringend desertieren zur Vielstimmigkeit der Kunst. Aber damit auch eine Gesellschaftsordnung begründen, in der nicht das Leid der anderen den Wohlstand der einen begründe.

Van der Bellen erinnert auch an die Gesetze der Gier

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte in seiner Eröffnungsrede daran, dass „unsere Freiheit gerade auf der Probe steht“. Die Demokratie stehe vor einer Belastungsprobe, weil „ein Diktator nicht ertragen kann, dass Menschen in Freiheit leben wollen“. Der Diktator verachte uns und meine, dass nur das Recht des Stärkeren Gültigkeit habe.

„Er will nicht nur die Ukraine, sondern uns in die Knie zwingen“, so Van der Bellen. Wladimir Putin wolle, dass man vergesse, warum in der Ukraine gekämpft werde. „Machen wir uns nichts vor, die Auseinandersetzung zwischen Despotie und Freiheit hat erst begonnen“, so Van der Bellen. Aus Gier habe man selbst zu lange weg geschaut, so Van der Bellen zu einer auch bequemen Haltung im Westen.

Van der Bellen mahnte, keine billigen Lösungen mit Putin zu suchen – das würde das Recht des Stärkeren nur befeuern und die Lust, „Raum zu nehmen“, erneut bekräftigen.

Eröffnung durch Bundespräsident Van der Bellen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat traditionell die Eröffnung der Salzburger Festspiele 2022 vorgenommen.

Haltungen könne man nicht an der Festspielgarderobe abgeben. Man brauche gerade jetzt Zusammenhalt und eine gemeinsame europäische Identität. „Lassen wir uns gerade jetzt nicht Europa klein reden“, so Van der Bellen zu einer sehr bekannten Position, die er seit Längerem einnimmt. Für die Durchsetzung der Positionen müssten einige Dinge dringend geändert werden, etwa die Energiewende, mahnte Van der Bellen.

Salzburg und die Festrede

1964 hat man die Tradition der Festrede bei den Salzburger Festspielen begründet, die nur in der Zeit von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) für zwei Jahre unterbrochen war. Erst dreimal hielten Frauen diese Rede. Weltphilosophie ist in Salzburg immer noch Männersache.

Haslauer: „Nicht vor dem Krieg kapitulieren“

„Die Salzburger Festspiele sind trotzig“, bekannte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer davor in seiner Rede. Haslauer erinnerte daran, dass es nicht erstmals Festspiele in Zeiten von Kriegen seien. Das Beharren auf die Festspiele mache aber gerade in diesem Jahr „so nachdenklich“. Haslauer sprach über ein Foto einer jungen Ukrainerin, die daran erinnere, jetzt nicht aufzugeben. Man lebe nicht nur „vom Brot“ alleine, sondern vom Streben nach Höherem, nach Erkenntnis – „auch das ist Salzburg“. Salzburg sei gerade ein Symbol für Toleranz.

„Kriegsfördernde Künstlerinnen und Künstler haben keinen Platz in Salzburg“, so Haslauer: „Wenn Werke zensuriert werden, nur weil sie aus einem bestimmten Land kommen, dann bedeut das, den Kanon unserer europäischen Identität zu verletzten – das dürfen wir nicht hinnehmen.“ Die Kunst dürfe vor dem Krieg nicht kapitulieren, gab sich Haslauer kämpferisch.

Wilfried Haslauer (ÖVP), Landeshauptmann von Salzburg

„Kunst ist der Grund, warum wir hoffen dürfen“

„Man kann die Festspiele nur eröffnen mit Blick auf dem Hintergrund vor dem sie stattfinden, das gilt auch für den durch nichts zu rechtfertigenden Krieg in der Ukraine“, sagte die neue Festspielpräsidentin Kristina Hammer in ihrer Rede und erinnerte an die Krisen von Energie bis Teuerungen. Jede dieser Krisen einzeln sei Katalysator für das Wahrnehmen der „Bruchlinien der Gesellschaft“. Die Brüche stellten uns vor viele Fragen.

„Wir müssen der Kunst besonders viel Raum zur Entfaltung und Freiheit einräumen“, bekannte sich Hammer zum „Brückenbauen zwischen den Kulturen“: „Kunst ist der Grund, warum wir hoffen dürfen.“

Kristina Hammer, Präsidentin der Salzburger Festspiele

Mayer lobt Solidarität der Kunst mit der Ukraine

Alle hätten in den letzten Monaten mit der Frage gerungen, ob es in diesen Zeiten schöne Kunst geben könne. Kultur sei aber das Gegenmodell zur Barbarei, erinnerte Staatssekretärin Andrea Mayer auch an den ukrainischen Präsidenten, der jüngst gefordert habe, die Stille mit Musik zu füllen. Kunst fördere die Reflexion, das Miteinander der Kunst verbinde. „Kunst ist aber auch jener Bereich, der Stellung nimmt, aufzeigt und warnt.“ Die Hinweise der Kunst könnten Wegweiser für die elementaren Fragen des Lebens sein.

Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur

Mayer lobte dezidiert, wie sehr sich die heimische Kunstszene für das Schicksal ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine eingesetzt habe. Für Mayer gibt es die dringende Notwendigkeit von „Zwischentönen“: „Schwarz-Weiß, das ist die Logik des Krieges.“

Festspiele auf dem moralischen Prüfstand

Die Salzburger Festspiele, die sich ja gerne ihre Geburt als Friedensprojekt in Zeiten größter Krisen 1920 auf die Fahnen schreiben, sind dieser Tage gefragt, sich politisch deutlich zu positionieren. Ein Krieg mitten in Europa stellt das Selbstverständnis eines Festivals in Frage, das ja grundsätzliche Fragen behandeln will, aber in Haltungsfragen nicht „halbseidene“ Positionen (um die Worte des Intendanten aus anderen Zusammenhängen zu zitieren) einnehmen kann. Ohnedies ringt man dieser Tage mit der Einladungspolitik – Teodor Currentzis ja, sein in St. Petersburg arbeitendes Orchester nein.

Wie die von Intendant Markus Hinterhäuser vorgeschlagene Prüfung „im Einzelfall“ zu bewerten ist, wird medial diskutiert – und ist Gegenstand großer Aufmacher, denkt man an das jüngste „profil“-Cover. Salzburg, dieses in Europa wahrscheinlich mittlerweile einmalige Festival beim künstlerischen Niveau, darf sich die Frage stellen, wie sehr man in der Betrachtung der eigenen Geschichte gerne die Ausflucht zu allgemeinen Formeln nimmt.

Hofmannsthal und die moralisch besseren Österreicher

Auch Hugo von Hofmannsthals Begründungspolitik für die Festspiele kennt viele Ansätze und Umwege (die ja bekanntlich in die Kaiserzeit reichen, also per se nichts mit einem Postweltkriegsprojekt zu tun haben). Die Festspiele sind einer der Grundsteine einer österreichischen Identitätspolitik nach 1918 – und Rückgriff auf die Kultur als Ausweichmöglichkeit gegenüber der für Österreich so schwierigen Nationenfrage. So wollte man besser sein als Deutschland und maß die eigene Humanität doch immer auch im Gegensatz zu einem Nachbarn, dem man sich auf dem Boden westlicher Bundesländer 1921 gerne anschließen wollte.

Kurz: Kulturpolitik war in Österreich immer Identitätspolitik und hatte, mit kurzen Ausnahmen, etwa in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, selten mit einer Form der Selbstkritik zu tun. Kultur diente und dient einer Selbstbestätigung und -vergewisserung. Auch von den großen medialen Institutionen, vom ORF wie den Zeitungen, wird unausgesprochen eine Bestätigung dieses Umstandes erwartet.

Hinterhäuser und Trojanow im Gespräch

Der Intendant und der Festspielredner über Kunst & Macht.

Das Eröffnungsparadoxon

Von einer Eröffnungsrede bei den Festspielen wird eigentlich ein Paradoxon erfragt: Bestätigung zu betreiben – und zugleich Kritik zu behaupten. Dieses Experiment ist ein Drahtseilakt. Trojanow löste diese Anforderung für eine gesellschaftliche Refelxion, die im Stil durchaus an eine politisch verschärfte Reflexion eines Axel Corti erinnern durfte.

Es geht darum, wie wir jenes Denken und Fühlen wieder gewinnen, das der Krieg verengt“, sagte Trojanow am Montagabend im ORF auf die Frage, wie er seine Rede anlegen würde: „Es geht um das, was uns weiter bringt, auch im Kampf gegen den Krieg.“