Sehr buntes Szenenbild aus der Zauberflöte mit Erzähler und Kindern
SF / Sandra Then
Wieder im Programm

„Die Zauberflöte“ zündet beim zweiten Mal

Manchmal braucht es im Leben eine zweite Chance. Und das gilt auch für die großen Klassiker. Lydia Steiers Umsetzung der „Zauberflöte“, zuletzt 2018 bei den Festspielen im Großen Festspielhaus zu sehen, wurde heuer ins Haus für Mozart verlegt, stark und klug überarbeitet. Und siehe da: Unter der musikalischen Leitung von Joana Mallwitz gelang ein Opernabend, der die Theatermaschinerie im besten Sinn bediente – und zu Recht frenetisch bejubelt wurde.

„Neueinstudierungen“ sind das nicht ungeschickt eingesetzte Zauberwort bei den Wiederaufnahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele. Sowohl „Die Zauberflöte“ als auch „Aida“ nimmt man neu wieder ins Programm – auch um die Schwächen erster Inszenierungen, wie Intendant Markus Hinterhäuser offen eingesteht, zu überwinden und die Potenziale der jeweiligen Arbeiten freizulegen.

Shirin Neshat für die „Aida“ und auch Lydia Steier mit der „Zauberflöte“ bekamen so eine zweite Chance – frei auch nach dem Motto des Intendanten: „Die Wiederaufnahmen sind immer besser als das Original.“ Bei Steiers „Zauberflöte“ stimmte dieses Diktum unumwunden – wie sich auch an der Reaktion des Publikums am Samstag im Haus für Mozart ablesen ließ. Kein Musiktheater wurde bisher so gefeiert wie dieses. Jetzt könnte man einwenden, wenig Wunder, wenn es sich um diesen Klassiker handelt.

Die „Zauberflöte“ neu inszeniert

Keine Gute-Nacht-Geschichte will Regisseurin Lydia Steier diesmal mit ihrer Neuinszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ servieren. In diesem Sommer befragt Steier gemeinsam mit der Dirigentin Joana Mallwitz das Stück erneut und verrät, dass alles anders wird, auch wenn sie an der Grundkonstellation nichts ändert.

Eine Lesart mit Brisanz

Andererseits zeigte sich: Mit dem Ortswechsel auf die kleinere Bühne – nicht zuletzt aber vor dem Hintergrund der Zeit, in der man sich momentan befindet, mit einem Krieg auf europäischem Boden, bekommt Steiers Lesart dieses Klassikers neue Brisanz. In der Erarbeitung des Stoffes stand die Regisseurin vor der Erkenntnis, dass alles wie eine fantastische Erzählung beginne, dann aber wie ein erweiterter Freimaurerritus aussehe (jetzt kann man freilich mit Blick auf die Aufführungspraxis der Zeit Emmanuel Schikaneders einwenden, dass man vielleicht ohnedies viel zu viel an Philosophie und Geistesgehalt in dieses Werk hineininterpretiert). Steier misstraute jedenfalls der Verdrängung der Nacht durch das Licht, also dem ideellen Terraingewinn Sarastros gegenüber der Königin der Nacht.

Mühlemann und Steier im Gespräch

Die Schweizer Sopranistin & die Regisseurin über den Reboot der „Zauberflöte“.

Eher will sie nicht mehr die Guten von den Bösen unterscheiden – und unterstellt Sarastros Welt das, was man eben seit Horkheimer und Adorno die „Dialektik der Aufklärung“ nennt. Auch im Namen der Vernunft, so weiß man leider, können die grausamsten Taten begangen werden. Und so steckt bei ihr über den von Sarastro beauftragten Prüfungen nicht zuletzt der Verdacht, dass Sarastros „Truppen“, die hier so aussehen, als wären sie direkt aus Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ entstiegen, komplett außer Rand und Band sind. Die Bildüberblendungen mit Folterszenen aus dem Krieg, nicht zuletzt aus KZs, bekommen im Jahr 2022 eine andere Brisanz. Scheinbar kann ja immer ein Grund für bestimmte Handlungen genannt und scheinbar jeder Krieg auch vernünftig begründet werden, so ein Generalverdacht dieser Operninszenierung.

Die Zauberflöte 2022: Ilse Eerens (Erste Dame), Sophie Rennert (Zweite Dame), Brenda Rae (Königin der Nacht), Noa Beinart (Dritte Dame), Mauro Peter (Tamino)
SF / Sandra Then
Kleid, Tischtuch, Sternenfahrt – die US-Sopranistin Brenda Rae als Königin der Nacht

Die überforderte Mutter übergibt an den Opa

Dabei hatte ja alles so scheinbar geordnet begonnen, erzählt und liest doch der Großvater (großartig Roland Koch) seinen drei Enkeln die Geschichte von der „Zauberflöte“ in wohldosierten Kapiteln vor. Dass es zu dieser Konstruktion kommt, wird noch davor klar: Eine überforderte Mutter, die Königin der Nacht (?), kann nicht mehr und steigt wenig später in einem Kleid, das zugleich Tischtuch für die Sippe ist, Richtung Nachthimmel in die Höhe.

Das Framing der Oper durch eine Rahmenerzählung ist hier freilich so freizügig ausgelegt, dass die Personen der Rahmenhandlung mit ins Geschehen der Oper eingreifen und die Heldinnen und Helden vor Torheiten warnen.

Im ersten Teil geht diese Spielordnung völlig auf. Im zweiten setzt Steier aber ein Reflexionsstück auf die Prüfungen des Sarastro drauf, mit dem sie die Praxis der Vernunftpolitik ins Visier nimmt. Die Ununterscheidbarkeit der Welten sollte zur Herausforderung werden – denn erhoffte man das Ende der Oper in der Ausdeutung des Großvaters, so strandete das Stück eigentlich in einem Dunkel zwischen den Reichen der Königin der Nacht und dem Sarastros. Das zieht viel Denkarbeit nach sich nach einem Abend, der mit viel Theaterarbeit geglänzt hat. Die Maschinerie des Theaters wurde an diesem Abend in der höchsten Ausbaustufe genutzt. Und die grandiose musikalische Leitung unter Mallwitz ließ diese Maschine im Verbund mit den Philharmonikern erst richtig laufen. Und: Mozart darf 2022 gerade hier wieder richtig sinfonisch klingen.

Die Zauberflöte 2022: Wiener Sängerknaben (Drei Knaben), Valérie Junker (Dritter Priester), Stefan Vitu (Köchin / Alte Papagena) Regula Mühlemann (Pamina), Michael Nagl (Papageno), Roland Koch (Großvater), Statisterie der Salzburger Festspiele — Foto-ID: #167369
SF / Sandra Then
Wie viel Frau braucht Papageno, wie viel Slapstick verträgt die Oper? Am Ende wurde die Balance der Elemente eingehalten.

Großartige Ensembleleistung

Bei den Sängerinnen und Sängern gab es viel Glanz, zumal sehr viele Junge an der Rampe standen. Tareq Nazmi war ein hinterlistiger Sarastro, Michael Nagl ein Papageno mit Ausgriff auf die Wiener Volkskomödie. Und Regula Mühlemann zeigte auch als Pamina, dass man ihr zu Recht gerade bei Mozart noch viel zutraut. Zu loben ist aber ein Gesamtensemble, von den drei Wiener Sängerknaben bis hinauf zum Wiener Staatsopernchor. Egal, wie man die Inszenierung deuten wollte, das war Singspiel und Theater, wie es bei allen Geschmacksunterschieden sein soll und muss.