Corinne Winters (Katěrina/Káťa) vor dem Felsen der Felsenreitschule
Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Der Triumph der Corinne Winters

„Kat’a Kabanova“ als Opernmeisterstück

Wenn Salzburg jedes Jahr eine neue Prima Donna im Rampenlicht feiert, dann ist es seit dem Sonntagabend die Sopranistin Corinne Winters. Ihre Interpretation der Katerina in Leos Janaceks „Kat’a Kabanova“ wurde frenetisch gefeiert – in einer Operninszenierung durch Barrie Kosky, in der man Handwerk in Perfektion erleben durfte. Die Felsenreitschule ist bekanntlich ein Ort, in dem man leichter scheitert als brilliert. Doch Kosky und der Festspieldebütant Jakub Hrusa am Pult machten diese düstere, knappe Oper zur Sensation.

Nicht wie man leben solle, sondern wie man „richtig am Leben“ sei – dieser zentralen Frage stellte sich am Samstag die Uraufführung des Stücks „Verrückt nach Trost“. Und in gewisser Weise zieht sich dieses Thema wie ein roter Faden durch sehr viele Premieren der diesjährigen Festspiele. Und gerade auch durch die 1921 uraufgeführte Oper „Kat’a Kabanova“ von Leos Janacek, einem der Spätberufenen beim Thema Erfolg auf den Opernbühnen.

Corinne Winters (Katěrina/Káťa)
Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Corinne Winters brilliert an diesem Abend als Kat’a

Janacek greift für diese Oper auf den russischen Klassiker „Gewitter“ aus der Feder des äußerst populären Theaterdichters Alexander Ostrowski zurück, der 1859 ein typisches Stück seiner Zeit auf die Bühne gebracht hatte: eine Ehe, in der vor allem die Frau von unerfüllten Sehnsüchten träumt; Männer, die eigentlich unnütz ihrer Bestimmung nachgehen und nicht ins Handeln kommen; Mütter, die ihren untauglichen Söhnen sagen wollen, was denn zu tun sei – und eine Gesellschaft, die apathisch zuschaut, wie sich die Dinge eben nicht zum Guten entwickeln. Kurz: Willkommen in der russischen Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der, blickt man auf Tschechow, stets die Frauen das Befreiungsnarrativ formulieren – aber auch nie in die Tat umsetzen können.

Hinweise

„Kat’a Kabanova“ wird von ORF, 3sat und UNITEL in Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern aufgezeichnet und wie folgt ausgestrahlt: Am 15. August 2022 erfolgt die Ausstrahlung um 11.05 Uhr in ORF2. Am 20. August 2022 um 20.15 Uhr in 3sat. Ö1 sendet „Kat’a Kabanova“ am 13. August um 19.30 Uhr.

Kat’a Kabanova ist auch in der tschechischen Übersetzung eine zwischen träger russischer Seele und modernem Psychodrama gefangene Frau. Und ihre Liebe zu Boris Grigorjevic, sie wird, ja kann vor der beschriebenen Gemengelage nicht gut ausgehen. Boris muss am Ende nach Sibirien, Kat’a entscheidet sich für das Wasser der Wolga – denn über dem Leben hinge eine nicht bewältigbare Schuldfrage und eine Schwiegermutter, Kabanicha, die alles unter ihren Moralvorstellungen begräbt – nicht zuletzt die Handlungsfähigkeit ihres eigenen Sohnes Tichon.

Erfolgreiche Premiere von „Kat’a Kabanova“

Bei den Salzburger Festspielen haben schon viele Karrieren begonnen, am Sonntag war es wieder soweit. Als die Sängerin Corinne Winters zum Schluss auf die Bühne kommt, tobt das Publikum. Die US-Amerikanerin hat Salzburg im Sturm erobert. Sie singt die Titelrolle in Leos Janaceks Oper „Kat’a Kabanova“.

Eine Oper im Zuschnitt eines „Wozzeck“

Janacek entscheidet sich in der Umsetzung dieses Stoffes für eine äußerst moderne Oper, die in der Handlungsführung stets sehr schnell auf dem Punkt ist, nicht weit entfernt von einem „Wozzeck“ von Alban Berg, der 1917 fertiggestellt, aber erst 1925, also vier Jahre nach „Kat’a“ uraufgeführt wurde. Vieles wird bei Plot und Musik angedeutet, was den ungemeinen Reiz Janaceks ausmacht. Präzision des Ausdrucks statt Schwelgertum, das ist seine Mission. Musikalisch oszilliert Janacek zwischen der letzten Phase der musikalischen Romantik (fast könnte man sagen: wie in Gustav Mahlers Erster, wenngleich Janacek alles andere als ein Mahler-Fan war). Die Musik stützt den schnellen Handlungsverlauf, reflektiert aber zum Ende hin die psychologische Notsituation mit unglaublicher Tiefe und Genauigkeit. Der Wohlklang, er ist immer nur ein zarter Halm, an dem man sich bei ihm halten kann. Die Dramatik zugleich nicht so bombastisch wie bei Richard Strauss.

Von Janacek zu Puccini

Tatsächlich haben, blickt man auf den Salzburger Aufführungssommer, „Kat’a“ und „Il Tabarro“ als Teil von Puccinis „Trittico“, sehr viel miteinander zu tun. Die Entdeckung des Ehebruchs und das darauf folgende Drama sind in beiden Fällen sozial stark grundiert, mit Verweis auf eine vor allem unbewegliche Gesellschaft. Auch Puccini liebte es im „Trittico“ knapp, weswegen diese Oper ja auch für den Puccini-Fan Kosky eine besondere Option darstellt.

David Butt Philip (Boris Grigorjevič), Corinne Winters (Katěrina/Káťa)
Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Eine Liebe, die nicht gutgehen kann: David Butt Philip als Boris und Corinne Winters als Kat’a

Kosky knöpft sich als Regisseur diese Unbeweglichkeit der Gesellschaft vor und stellt 200 Puppen mit dem Rücken zum Publikum auf die Bühne. Sein Drama lässt er aus diesen gesellschaftlichen Konfliktraum tatsächlich heraustreten. Das ist besonders schlau, weil die Felsenbühne ja kein Guckkasten-Illusionstheater zulässt, sondern nach kreativen Lösungen schreit. Alle Dramen entwickeln Kosky und sein Team in einem Freiraum neben diesem Chor vor der schroffen harten Wand.

Opernpremiere von „Kat’a Kabanova“ in Salzburg

Einen hochemotionalen Abend liefern die Festspiele am Sonntag mit ihrer nächsten Opernpremiere: Diesmal ist die Felsenreitschule Schauplatz von Leos Janaceks „Kat’a Kabanova“. 1921 uraufgeführt, handelt die Oper von einer unterdrückten, aber starken Frau, die zwischen Konvention und Leidenschaft zerbricht.

Handwerk, Handwerk, Handwerk

In der Personenführung nimmt der Regisseur das, was das Stück anbietet. Und zentral ist die Sehnsuchtsbildung, die sich in einem weiteren Paar, Vanas und Varvara, spiegelt. Kosky stellt vor allem das Seelendrama der Kat’a, gesungen und kongenial interpretiert von Corinne Winters, in den Mittelpunkt der Bearbeitung. Vor der harten Wand der Felsenreitschule führt er quasi den Regieminimalismus vor, der immer die Konflikte ins Zentrum stellt. Bühne, Licht, Personenführung greifen kongenial ineinander. Die Personen brechen oft rennend aus ihrem Schicksal aus – müssen aber immer wieder in die Masse der auf der Bühne stehenden Meute zurück.

Sängerisch bleiben keine Wünsche übrig. Evelyn Herlitzius ist als Kabanicha eine überzeugende Gegenspielerin von Winters. Und Jarmila Balazova als Varvara ist die Partnerin, die den Ausbruch der Kat’a versteht. Es ist ein großer musikalischer Abend, und es ist vor allem einer, der von der Arbeit des jungen Dirigenten Jakub Hrusa geprägt ist, der als einer der großen Janacek-Experten gelten darf – und die Wiener Philharmoniker zu Höchstleistungen anstachelt. Binnen 100 Minuten entfaltet sich ein Opernabend, der das Publikum wunschlos glücklich entlässt. Und ist es nicht das großartige Paradoxon Oper, dass man nach dem düstersten Plot selig ins Elysium blickt?