Beate Meinl-Reisinger (NEOS) im ORF-„Sommergespräch“
ORF/Hans Leitner
„Sommergespräche“

Meinl-Reisinger gegen „Reformzwerge“

Beate Meinl-Reisinger hat vor zwei Monaten Matthias Strolz an der Spitze von NEOS abgelöst. Bei ihrem ersten ORF-„Sommergespräch“ als Parteichefin war ihr Vorgänger aber noch präsent. Meinl-Reisinger versuchte im Gespräch mit Nadja Bernhard und Hans Bürger, das Parteiprofil auch abseits von Strolz zu schärfen und NEOS als Partei der Mitte zu bewerben.

Gleich zu Beginn musste Meinl-Reisinger Stellung zu einer Aussage ihres Wiener Parteikollegen Christoph Wiederkehr nehmen. Dieser hatte damit aufhorchen lassen, dass er zusammen mit ÖVP und FPÖ in der Bundeshauptstadt einen weiteren SPÖ-Bürgermeister verhindern möchte. Als eine Vorankündigung für eine mögliche engere Zusammenarbeit mit der FPÖ wollte die neue Parteichefin das nicht verstanden wissen.

Wien für SPÖ „Cashcow“

„Es gibt keine Koalition mit der FPÖ“, so Meinl-Reisinger. Diese sei rassistisch und europafeindlich und wolle „Österreich aus der EU schießen“. Gerade in Wien sehe man aber – sei es bei Immobiliengeschäften oder Förderungen: „Überall hebt man den Deckel auf, und es stinkt nach Freunderlwirtschaft und struktureller Korruption.“ Die Stadt sei für die SPÖ eine „Cashcow“.

Unabhängiger Bürgermeister in Wien

Meinl-Reisinger übte scharfe Kritik an der SPÖ in Wien und könnte sich eine „unabhängige Persönlichkeit“ an der Rathausspitze vorstellen.

„Man bedient sich durchaus schamlos“, so Meinl-Reisinger. Daher könne sich NEOS gut vorstellen, eine unabhängige Persönlichkeit zum Bürgermeister oder zur Bürgermeisterin zu machen. Es gebe in Sachfragen Zusammenarbeit mit der FPÖ. „Aber ich will Wien weltoffen halten“, so Meinl-Reisinger. „Und ich will keinen rechten Recken dort sitzen haben, das wird es mit uns nicht geben.“

„Lange Schatten, weil Sonne tief steht“

NEOS sei „unerschütterlich auf Werten“ begründet, so Meinl-Reisinger. Und somit auch weit breiter aufgestellt als „nur“ durch Ex-Parteichef Strolz. Sie habe NEOS mitbegründet, und viele hätten ihre „ganze bisherige Biografie über den Haufen geworfen und unseren Netzwerken sinnbildlich den Mittelfinger gezeigt“, um eine Partei zu gründen, die ihre Anliegen vertrete und das „rot-schwarze Machtkartell“ breche.

Beate Meinl-Reisinger (NEOS) im ORF-„Sommergespräch“
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Hans Bürger (l.) und Nadja Bernhard (r.) befragten in der Wachau Beate Meinl-Reisinger

Im Moment sehe sie auch bei der jetzigen Bundesregierung keine großen Reformwürfe, so Meinl-Reisinger. „Das sind eher Reformzwerge, die vielleicht lange Schatten werfen, weil nichts passiert ist und die Sonne tief steht.“ Die Partei, die in der Mitte stehe, sei jedenfalls NEOS. Die ÖVP tue derzeit alles, um die FPÖ rechts zu überholen. Die Linke rücke weiter nach links und beschwöre einen neuen Klassenkampf herauf, die Regierung erlebe sie als klassisch nationalkonservativ bis rechts, so Meinl-Reisinger.

Positionierung der Partei

Für die Parteichefin ist NEOS die mittigste Partei – die ÖVP überhole die FPÖ rechts. Die Grünen seien eine „Verbotspartei“.

Die Menschen aber würden wissen, dass sie in Extremen keine Antworten finden, viele würde „diese Polarisierung kaum aushalten“, so Meinl-Reisingers Befund. Sie wolle Oppositionsarbeit mit „konstruktiver Härte“ angehen: Härte zeigen, wo Kontrolle nötig sei, aber nicht Opposition einnehmen um der Opposition willen.

Für Klimaschutz und Kopftuchverbot

Für eine Partei des freien Marktes sei es auch kein Widerspruch, für eine CO2-Steuer einzutreten, sagte die NEOS-Chefin. Man brauche im Klimaschutz marktfähige Innovationen und Lenkungsmaßnahmen, so wie Schweden es vorgemacht habe. Eine CO2-Steuer könne sie sich auch europaweit vorstellen.

Vorstöße in der Bildung

Sechs Wochen Sommerferien reichen, sagte Beate Meinl-Reisinger. Die Gesamtdauer der Ferien sollte aber gleich bleiben.

Beim Thema Bildung, das NEOS-untypisch nur am Rande vorkam, plädierte Meinl-Reisinger für mehr Schulautonomie, gerade, was die Deutschklassen für Kinder mit unzureichenden Sprachkenntnissen betrifft. Zudem müssten die Mittel drastisch erhöht werden. Um Familien zu entlasten, sollten die Sommerferien gekürzt werden. Das Hauptthema sei „Wie schaffe ich neun Wochen?“, so Meinl-Reisinger.

Sechs Wochen reichten, so wie in Deutschland, der Rest könne auf andere Ferien aufgeteilt werden. Für Mädchen unter 14 trat Meinl-Reisiniger für ein Kopftuchverbot ein, auch wenn das „eine schwierige Frage für eine liberale Partei“ sei. Sie habe großen Respekt für Religionsfreiheit, aber „Kinder sollten religionsfreie Räume“ haben.

Vorschlag für zweite EU-Kammer

Das zentrale Thema war für Meinl-Reisinger aber die Europäische Union – ein Bereich, bei dem sie ebenfalls nicht mit Kritik an der Bundesregierung sparte. NEOS habe sich vom EU-Ratsvorsitz erwartet, dass dieser wesentliche europäische Fragen positiv voranbringe. Stattdessen gebe es das defensive Motto „Europa schützen“. Das sei durchaus gut, aber es gehe nur noch um ein Thema: Migration. „Wesentliche andere Fragen, zweite Schritte, werden gar nicht mehr angebracht.“ So brauche es etwa einen „Marshallplan“ für Afrika.

Beate Meinl-Reisinger (NEOS) im ORF-„Sommergespräch“
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Meinl-Reisinger schloss eine Koalition mit der FPÖ dezidiert aus

Im Ratsvorsitz prolongiere die Bundesregierung nur ihren Wahlkampf von 2017. Daher stelle sich die Frage ohnehin, ob der Ratsvorsitz an sich sinnvoll sei. Diesen alle sechs Monate zu wechseln sei sehr teuer. „Machen wir Europa bürgernäher, demokratischer“, etwa durch eine zweite Kammer neben dem Europarlament, die die Interessen der Mitgliedsstaaten vertrete, aber „vor allem den europäischen Blick hat“. Diese zweite Kammer solle dann direkt gewählt werden.

Im EU-„Grundsatzkampf“

Es sei erschreckend, wie Kräfte wie Stephen Bannon und andere Europa zerstören wollten. Auch die Positionierung Österreichs in der EU durch die Bundesregierung war Meinl-Reisinger ein Dorn im Auge. Die FPÖ und „mittlerweile auch Kurz“ seien „mitten drinnen“ bei den Rechten und Rechtspopulisten, „angeführt von Salvini und Orban“, die das gemeinsame Europa, das Projekt des Friedens und Wohlstands „zerschießen“ wollten.

NEOS habe hingegen als Gegenstück die Idee von „Vereinigten Staaten von Europa“. „Das ist eine Vision“, so Meinl-Reisinger, die auch noch viele Jahre dauern könne, „weil wir jetzt erst einen Grundsatzkampf führen“. Sie plädiere auch für ein EU-Heer. Österreichs Neutralität sei gut, in Bezug auf Europa müsse es aber auch Solidarität geben.

Europapolitik von NEOS

NEOS sieht „Vereinigte Staaten von Europa“ als Zukunftsvision. Zuvor müsse man aber noch einen „Grundsatzkampf“ führen, so Meinl-Reisinger.

Österreich wegen Kneissl „komplett isoliert“

Auch die Hochzeit von FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl war ein europapolitischer Kritikpunkt. Die Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei „ein ganz schwerer außenpolitischer Fehler“ gewesen, so Meinl-Reisinger. Kneissl habe damit „Österreich in Europa komplett isoliert“.

Putin sei ein „wirklich autoritär agierender Präsident“ – der die Opposition und kritische Journalisten einsperre, die Minderheitenrechte nicht achte und Europa destabilisieren wolle. Das Bild, auf dem die Außenministerin vor Putin, einem „autoritären Präsidenten“, auf die Knie fällt, sei „hochproblematisch“. Dass die Hochzeit ein privater Anlass gewesen sei, sei „Augenauswischerei“, so die NEOS-Chefin.

Karas „nicht sehr mutig“

Mit einer Überraschung ließ Meinl-Reisinger dann noch aufhorchen: Eine NEOS-Kandidatur des ÖVP-Abgeordneten Othmar Karas bei den kommenden EU-Wahlen 2019 schloss sie aus. In den vergangenen Monaten gab es wiederholt Spekulationen, Karas könnte aufgrund seiner Unzufriedenheit mit der Europapolitik der ÖVP das Lager wechseln.

Karas aber sei „nicht sehr mutig, sonst hätte er die ÖVP verlassen. Das hat er nicht getan, also stellt sich die Frage gar nicht“, so Meinl-Reisinger. Sie vermute, Karas wolle erneut als ÖVP-Spitzenkandidat antreten. Das mache ihn zum europapolitischen Feigenblatt. „Und das muss er entscheiden.“

„Panische Angst, zu links verortet zu werden“

In der anschließenden Analyse in der ZIB2 thematisierten Politikberater Thomas Hofer und Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle ebenfalls die Positionierung von NEOS im österreichischen Parteienspektrum. Meinl-Reisinger habe die anderen Parteien geschickt weit abseits der Mitte beurteilt, so Stainer-Hämmerle. Das sei wichtig für ihre Partei, denn „die meisten Wähler verorten sich selbst in der Mitte“, und gerade NEOS habe besonders kurzentschlossene Wähler.

Analyse des „Sommergesprächs“ mit Meinl-Reisinger

Politologin Stainer-Hämmerle und Politikberater Hofer analysieren das „Sommergespräch“.

Nach der wiederholt dezidierten Absage einer Koalition mit der FPÖ und der scharfen Kritik an der SPÖ habe Meinl-Reisinger bei diesem „Sommergespräch“ wohl keinen Koalitionspartner gewinnen können, sagte Hofer. „Das war aber heute auch nicht die Aufgabe.“ NEOS habe „panische Angst“, zu weit links verortet zu werden, deshalb sei die NEOS-Chefin neben der Kritik an FPÖ und ÖVP auch sehr auf Distanzierung von der SPÖ bedacht gewesen, so Hofer.