Heute vor drei Jahren ist zwischen Budapest, Wien und Berlin Geschichte geschrieben worden. Sie spiegelt das Bekenntnis zu Menschenrechten, gleichzeitig aber die Hilflosigkeit politischer Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger wider. Die Bilder dieser Tage haben sich ins Gedächtnis gebrannt.
03.09.2018 17.29
3. September 2018, 17.29 Uhr
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Am Freitagmorgen des 4. September 2015 war niemand in Europa darauf vorbereitet, dass in den nächsten Tagen und Wochen Zehntausende geflüchtete Menschen die österreichische Grenze passieren würden. Und dass spätestens jetzt eine Flüchtlingsbewegung in Gang gesetzt war, die Europa verändern sollte.
Auch drei Jahre später hat die EU keinen geeigneten Zugang zu der Thematik gefunden, die Mitgliedsstaaten und ihre konkurrierenden Nationalinteressen stehen sich dabei selbst im Weg. Während Länder wie Deutschland und Frankreich eine ausverhandelte und mit dem Asylrecht in Einklang stehende Lösung anstreben, bekennen sich die Visegrad-Staaten und rechtspopulistische Gruppierungen anderer Länder zu nationalen Einzelgängen.
Die Geschehnisse im Zeitraffer
Freitag, 4. September 2015, Ungarn, Mittag
Seit Wochen überschreiten Tausende Menschen täglich die grüne Grenze zwischen Serbien und Ungarn. Sie harren am Budapester Ostbahnhof Keleti aus und warten auf ihre Weiterreise in den Westen, bevorzugt nach Deutschland.Seit einigen Tagen lässt Ungarn jedoch keine Flüchtlinge mehr an Bord der Züge in Richtung österreichische Grenze, der internationale Verkehr wird teilweise ganz eingestellt. Der letzte Zug in den Westen wurde von den Behörden in Bicske rund 40 Kilometer hinter Budapest gestoppt, um die Flüchtlinge in ein nahe gelegenes Aufnahmelager zu bringen.Die fühlen sich von den ungarischen Behörden hintergangen, sie weigern sich, das Gelände zu verlassen. „SOS!“, „Germany!“, „No camp!“ steht auf Schildern, die sie den Polizisten entgegenhalten, einige treten in Hungerstreik.In Budapest setzt sich Freitagmittag vom Bahnhof aus plötzlich ein Marsch der Geflüchteten in Bewegung, von einem „Marsch der Hoffnung“ war später die Rede. Die Polizei hält sich zurück, gewährt den Menschen Geleit an den Kreuzungen in Richtung Elisabeth-Brücke. Ein letzter Versuch, den Marsch kurz vor der Auffahrt zur Westautobahn (M1) zu stoppen, scheitert.Österreich soll nur der erste Schritt in die Freiheit sein, erklärtes Ziel der Menschen ist Deutschland. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor scharfe Kritik an der grassierenden Fremdenfeindlichkeit geübt und angekündigt, syrische Flüchtlinge nicht mehr in andere EU-Länder zurückzuschicken.Der Marsch verläuft friedlich, Vorbeifahrende machen den Menschen Mut. Andernorts in Ungarn brechen angesichts der Nachricht, dass die Flüchtlinge ungestört in Richtung Österreich marschieren können, Tumulte aus. In dem Sammellager Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze durchbrechen Insassen eine Absperrung.Unterwegs werden die Menschen, die ihr gesamtes Hab und Gut zusammengepackt haben, von Freiwilligen mit Decken, Windeln, Kinderwagen, Essen und Trinken versorgt.
Freitag, 4. September 2015, Wien, Abend
Im Außenministerium in Wien geht ein offizielles Schreiben des ungarischen Botschafters ein – er bittet um Einschätzung der Lage. Das Außenministerium leitet das Schreiben an Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) weiter, dieser ruft Merkel an. Gemeinsam beschließen sie: Österreich und Deutschland müssten die Grenzen für Flüchtlinge öffnen.
Freitag, 4. September 2015, Luxemburg, Abend
Am Rande des EU-Außenministertreffens in Luxemburg entwerfen Ressortchef Sebastian Kurz (ÖVP) sowie seine deutschen und ungarischen Amtskollegen die offizielle Erklärung, mit der die Grenzöffnung gegen Mitternacht bekanntgegeben werden wird. „Aufgrund der Notlage an der ungarischen Grenze stimmen Österreich und Deutschland in diesem Fall einer Weiterreise der Flüchtlinge in ihre Länder zu“, heißt es dann darin.
Samstag, 5. September 2015, Nickelsdorf, früher Morgen
Der erste Flüchtlingsbus trifft auf ungarischer Seite ein, die Grenze zu Österreich müssen die Menschen zu Fuß überqueren. Dort warten Helfer und Helferinnen mit Decken und Essen sowie Busse und Sonderzüge der ÖBB, die sie nach Wien und dann weiter nach Deutschland bringen.Kurz nach 7.00 Uhr gibt die Polizei bekannt, es hätten bereits rund 3.000 Menschen die Grenze überquert. Im Laufe des Wochenendes sollte die Zahl auf 15.000 steigen, lediglich 90 von ihnen stellten einen Asylantrag in Österreich, der Rest reiste nach Deutschland weiter.
Nach dem 5. September
Insgesamt sollten in diesem September 180.000 Menschen die Grenzen passieren, wahlweise in Nickelsdorf und Heiligenkreuz. 102.000 waren es noch im Oktober. Für mehrere Monate wird der Notfall zur Regel.Hilfsbereitschaft erfasst das Land, Organisationen und Freiwillige versorgen die Menschen auf den Bahnhöfen mit Lebensmitteln, Hygieneprodukten und Kleidung, die ÖBB richten Notunterkünfte für jene ein, die nicht unmittelbar nach Deutschland weiterreisen können.Doch die „Willkommenskultur“ währt nicht lange: Immer mehr Staaten errichten Zäune, führen wieder Grenzkontrollen ein, Österreich beschließt zu Jahresbeginn 2016 eine Obergrenze für Asylanträge. Im März desselben Jahres macht schließlich ein Land nach dem anderen die Grenze für Flüchtlinge dicht. Die Balkan-Route, die mehr als einer Million Menschen den Weg nach Europa ebnete, ist Geschichte.
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