ORF-Sommergespräch mit SPÖ-Chef Christian Kern
ORF/Hans Leitner
„Sommergespräche“

Keine „grün-linke Fundipolitik“ in SPÖ

In der vierten Ausgabe der ORF-„Sommergespräche“ hat am Montag SPÖ-Chef und Ex-Bundeskanzler Christian Kern Stellung genommen. Er analysierte den Zustand seiner Partei und kritisierte die Bundesregierung scharf. In der Migrationspolitik will die SPÖ mit neuen Konzepten punkten.

Kern bestritt im Gespräch mit Hans Bürger und Nadja Bernhard, mit seiner Rolle in der Opposition zu hadern: „Das würde ich absolut in Abrede stellen“. Zum Gesprächsstil seiner Partei, der mitunter kritisiert wurde, stehe er: Wolle man gehört werden, müsse man auch deutlich werden, sagte er. „Die Politik ist kein Mädchenpensionat.“

Die Veränderungen im Gegensatz zu früher in seiner Funktion als Bundeskanzler liegen für Kern „eher im persönlichen Bereich“: Man habe mehr Gelegenheit, „über den Tag hinaus Überlegungen anzustellen“. Nun wolle er den Gegenentwurf zur Politik der Bundesregierung formulieren. Diese sage, sie mache, wofür sie gewählt worden sei. Doch darunter seien auch Maßnahmen wie die 60-Stunden-Woche und die Kürzung von Programmen für ältere Beschäftigungslose.

„Am Ende werden Mäuslein geboren“

„Die Herausforderungen sind nicht schwarz-weiß. Jeder, der das die Menschen glauben machen will, ist ein Scharlatan.“ Österreich habe der Zusammenhalt groß gemacht, ein Stil, der heute abhanden gekommen sei, so Kern. Es brauche eine Kraft des „sozialen Ausgleichs dringender denn je“. In der Politik aber werde bei jedem Thema ein großer Marketingaufwand betrieben, „und am Ende werden Mäuslein geboren“. An Lösungen seien viele aber gar nicht interessiert, so Kern als Andeutung auf die Regierungskoalition. Die habe „ein einziges Thema, das schlachtet sie weidlich aus“. Lösungen hingegen würden auf sich warten lassen, kritisierte der SPÖ-Chef.

Von der Regierung in die Opposition

Ex-Kanzler Kern über den neuen Regierungschef: Sebastian Kurz (ÖVP) habe die bessere Kampagne gemacht.

Kern versuchte sich anhand von Beispielen von der Regierungspolitik abzugrenzen. So sehe man den großen Unterschied in der Frage der sozialen Gerechtigkeit, etwa in der Gesundheitspolitik. Er stimme überein, dass Reformen nötig seien, doch laut Kern träfen etwa die Sparmaßnahmen der ÖVP-FPÖ-Koalition besonders Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er hingegen plädiere für Einsparung und anschließende Investition, „und geben wir es nicht den Großkonzernen zurück“.

Zwölfstundentag ist nicht gleich Zwölfstundentag

Beim Zwölfstundentag unterscheide sich das SPÖ-Konzept „meilenweit“ von jenem der Regierung. „Was jetzt passiert, ist ein Drüberfahren. Das beschlossene Gesetz bringe nur für eine Seite Vorteile.“ Die von der Regierung versprochene Freiwilligkeit sei „ein Unsinn“. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen könnten auch aus unbestimmten Gründen Menschen kündigen – diese müssten dann erst vor ein Arbeitsgericht ziehen. In der Vergangenheit habe es zudem bereits flexible Regelungen gegeben, bei der die Arbeitnehmer garantierte Freizeit hatten und einen Abgleich „auf Heller und Pfennig“. Die Gewerkschaft werde bei den anstehenden Lohnverhandlungen auf die neuen Regelungen reagieren. „Wir bewegen uns in eine Spirale der Eskalation“, sagte Kern.

ORF-Sommergespräch mit SPÖ-Chef Christian Kern
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Kern kritisierte die Bundesregierung scharf. Die bei der Arbeitszeitregelung versprochene Freiwilligkeit sei „ein Unsinn“.

Der SPÖ-Chef sah in seiner Partei Einigkeit, den Kurs betreffend – auch wenn der burgenländische Landesrat Hans Peter Doskozil zuletzt vor „grün-linker Fundipolitik“ gewarnt hatte. „Das unterstreichen sowieso alle in der SPÖ“, antwortete Kern. „Niemand will eine grün-linke Fundipolitik betreiben, um Gottes willen.“ Man habe die Herausforderungen der Zukunft diskutiert, darunter auch Migration und Klimawandel. Darauf einzugehen sei „nicht rot oder grün, sondern grundvernünftig“. Zudem sei es ein Hebel für soziale Gerechtigkeit. „Denn wer sind denn die Leute, die bei 35 Grad am Bau stehen?“ Mit der Klimapolitik könne man bis zu 40.000 Arbeitsplätze schaffen und zudem Milliardeninvestitionen einholen.

Keine Führungsdebatte in SPÖ

Seine Vorschläge seien breit diskutiert worden und schließlich von den Parteimitgliedern akzeptiert worden, so Kern. Die Führungsfrage in der SPÖ sei „sonnenklar“. Für die Wiederwahl als SPÖ-Chef am anstehenden Parteitag im Oktober wollte Kern kein Wahlziel nennen, nur so viel: „Es gibt keine Schmerzgrenze.“ Der SPÖ-Chef verneinte auch Gerüchte, er könne sich zur kommenden EU-Wahl im Mai 2019 aufstellen lassen: „Das ist totaler Mumpitz.“

Europawahlen: Wer wird Spitzenkandidat?

Kern sagte über Gerüchte, er wolle nach Straßburg wechseln: „Das ist totaler Mumpitz.“

Auch beim dominierenden Thema, der Migration, suchte Kern die Abgrenzung von den Regierungsparteien. Es gebe zwar in Österreich wohl keine Partei, die nicht der Meinung sei, die Migration müsse begrenzt werden, sagte Kern. Doch habe Europa „eine Verantwortung, die über die Grenzen hinausgeht“. Es sei nun die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Geflüchtete an Ort und Stelle, in Nachbarstaaten ihrer Heimatländer bleiben könnten. „Da muss Europa auch investieren und eine europäische Lösung suchen.“ In dieser Thematik sei viel zu wenig passiert, gerade vonseiten der österreichischen Ratspräsidentschaft, monierte Kern.

ORF-Sommergespräch mit SPÖ-Chef Christian Kern
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Kern im Gespräch mit Hans Bürger und Nadja Bernhard in der Wachau

„Charter-Citys“ als neuer Vorschlag

Die SPÖ will kommende Woche ihr Grundsatzpapier „Flucht – Asyl – Migration – Integration“ finalisieren, Kern hatte dazu Doskozil und Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser mit der Ausarbeitung beauftragt. Medienberichten zufolge soll darin vorgeschlagen werden, dass abgelehnte Asylwerber und -werberinnen in „Charter-Citys“ in ihre Heimatländer oder in die Nähe zurückgebracht werden. Dazu sollten dort Sonderentwicklungszonen neu gegründet werden.

Das Konzept der „Charter-Citys“

Im neuen SPÖ-Papier zu Migration wird das Konzept der „Charter-Citys“ angesprochen – „ein Teil“ der Vorschläge der SPÖ.

Dieses Konzept des US-Ökonomen Paul Romer sei nur ein Teil der SPÖ-Vorschläge, so Kern. Wichtig sei, dass die Geflüchteten in der Nähe ihrer Herkunftsländer bleiben könnten. Mehr wollte Kern von dem Papier noch nicht verraten. Es werde im September vorgestellt.

„Empörungsschwelle wird verschoben“

Kern betonte zudem einmal mehr das Augenmerk seiner Partei auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die „nach den Erkenntnissen zweier blutiger Kriege gebaut“ worden seien. Die Regierung nehme das „nicht so gebührend ernst“, sagte Kern. Man erlebe „jeden Tag, dass die Empörungsschwelle weiter verschoben“ werde. Zudem würden permanent Sündenböcke gesucht und die Gesellschaft gespalten. Künstlerinnen und Künstler, die sich kritisch zu Wort meldeten, würden mit Shitstorms bedacht.

Gefahren für den Rechtsstaat

Der SPÖ-Chef sieht in der Affäre rund um das BVT Gefahren. Die Regierung nehme Demokratie und Rechtsstaat nicht ernst genug.

Auch die Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) nannte Kern als Kritikpunkt. Die SPÖ werde da nicht locker lassen. Eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene sei nicht machbar, auch nach der vergangenen Wahl sei das nicht der Fall gewesen. Das stelle sich jedoch auf Landesebene, wie etwa im Burgenland, anders dar: Die Alternative sei hier eine ÖVP-FPÖ-Landesregierung gewesen. Ein SPÖ-Landeshauptmann sei ihm allerdings lieber, so Kern.

„Elfmeter liegengelassen“

In der an das „Sommergespräch“ anschließenden ZIB2 analysierten die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle und der Politikberater Thomas Hofer Kerns Darstellungen. Der SPÖ-Chef wisse, dass er einen Gegenentwurf zur Regierung anbieten müsse, so Stainer-Hämmerle. Denn die Grün-Wählerinnen und -Wähler, die bei der letzten Wahl zur SPÖ gewechselt sind, gelte es zu halten. Doch habe Kern viel über Wirtschaft gesprochen. Zudem habe er einen Elfmeter liegengelassen: das Thema Frauen. Gerade an einem Tag, an dem ein ÖVP-Abgeordneter wegen eines sexistischen Tweets den Klub verlassen muss, hätte man darauf eingehen müssen.

Analyse des Sommergesprächs

Politologin Stainer-Hämmerle und Politikberater Hofer analysierten Kerns Auftritt. Er habe das Thema Frauen liegengelassen, so Stainer-Hämmerle.

Für Hofer versuchte Kern, einen roten Faden zu spannen: die Unterscheidung zwischen einer „spalterischen Regierung“ und der SPÖ. Doch sei der großkoalitionäre Zwang zum Konsens abgewählt worden. Besser habe Kern sich geschlagen beim Thema „soziale Gerechtigkeit“. „Da sind am ehesten noch die verwundbaren Punkte der Regierung“, so Hofer.