Europäisches Parlament in Straßburg
ORF.at/Peter Prantner
Abstimmung

EU-Parlament für Ungarn-Verfahren

Die Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament hat am Mittwoch für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gestimmt. Möglich machten das die Stimmen aus der EVP-Fraktion, der auch die ungarische Regierungspartei FIDESZ von Premier Viktor Orban angehört.

448 Abgeordnete stimmten für die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrags, 197 dagegen, 49 enthielten sich ihrer Stimme. Neben Polen steht damit nun auch Ungarn am Pranger. Notwendig war dafür eine Zweidrittelmehrheit. Die EVP-Stimmen galten als entscheidend. Auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber hatte angekündigt, für das Verfahren stimmen zu wollen. Er habe auf ungarischer Seite nicht die Bereitschaft erkannt, zu Lösungen beizutragen.

Laut Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollten auch die österreichischen Abgeordneten für die Einleitung des Verfahrens stimmen. Das sei keine Anklage, es gehe um das Ausräumen der im Raum stehenden Vorwürfe und allfällige Konsequenzen in Ungarn, so Kurz. Er unterstrich die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa. Wahltaktik in Bezug auf die kommende EU-Wahl stecke nicht dahinter.

Fraktionszwang aufgehoben

Weber hatte für die Abstimmung über Ungarn den Fraktionszwang aufgehoben, da es innerhalb der EVP-Fraktion keine Einigkeit in Bezug auf die Verletzung von EU-Werten durch Ungarn gegeben habe. Die Abgeordneten konnten daher frei abstimmen. In der EVP-Fraktionssitzung habe sich eine Mehrheit gegen Orban gestellt, hieß es zuvor aus Teilnehmerkreisen. Vor allem Abgeordnete aus Skandinavien sowie aus Belgien, den Niederlanden und Luxemburg hätten sich kritisch geäußert. Unterstützung bekam Orban von einzelnen Abgeordneten aus Kroatien und Italien.

Abstimmung im EU-Parlament für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn
Reuters/Vincent Kessler
EU-Abgeordnete bei der Abstimmung über das Strafverfahren gegen Ungarn

Im äußersten Fall kann das Verfahren zum Entzug von Stimmrechten im EU-Ministerrat führen. Zuvor hatte sich auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hinter die Eröffnung von Verfahren gegen Mitgliedsländer bei Verstößen gegen die Prinzipien des Rechtsstaats gestellt: „Artikel 7 muss dort, wo der Rechtsstaat in Gefahr ist, Anwendung finden.“

Orban sieht „Ehre Ungarns“ verletzt

Zugeständnisse oder Einsicht etwa durch die Rücknahme repressiver Gesetze gegen Universitäten und Zivilorganisationen machte Ungarn nicht. Vielmehr griff Orban am Dienstag das EU-Parlament scharf an: Die Grundlage der Abstimmung – ein kritischer Bericht – verletze die „Ehre der Ungarn“. Die niederländische Grünen-Abgeordnete Judith Sargentini sprach in ihrem Bericht über eine „systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“.

Ungarns Premier Viktor Orban redet vor EU-Parlament
APA/AFP/Frederick Florin
Orban bei seiner Rede in Straßburg am Dienstag

Die Abgeordneten wollten „eine Regierung, ein Land und ein Volk verurteilen“, sagte er am Dienstag im EU-Parlament. Die EU agiere besserwisserisch, messe mit zweierlei Maß, das Verfahren widerspreche den Verträgen. Orban sagte, Ungarn werde seine Grenzen weiter verteidigen, „wenn es sein muss, auch Ihnen gegenüber“.

Sitze im Europäischen Parlament
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Als Mitglied der Europäischen Volkspartei blieb Orbans FIDESZ bisher öffentlich verschont. Doch der Umbau des Landes ist unübersehbar. Auf der Rangliste der Pressefreiheit fiel Ungarn seit Orbans Amtsantritt um fast 50 Plätze auf Rang 71. FIDESZ-nahe Medien haben die Übermacht. Auch unabhängige Richterinnen und Richter wurden durch regierungsnahe Juristinnen und Juristen ersetzt. Mit seiner restriktiven Asylpolitik, der Beschneidung demokratischer Rechte und dem mutmaßlichen Missbrauch von EU-Geldern hat Orban nun offenbar eine rote Linie überschritten.

ÖVP und FPÖ uneins gegenüber Ungarn

Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft hatte sich am Dienstag zurückhaltend zu einem möglichen EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn geäußert. Die Präsidentschaft und der Rat als Ganzes würden der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten größte Aufmerksamkeit beimessen, „da kann es keine Kompromisse geben“, sagte die Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler (ÖVP).

Die ÖVP-FPÖ-Koalition ist gespalten in Bezug auf Orban. Während Kurz im ORF-„Sommergespräch“ am Montag klar auf Distanz ging, lud Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) Orbans FIDESZ zu einer Kooperation in einer gemeinsamen EU-Fraktion ein.

Orban für Vilimsky „Held Europas“

Die FPÖ gehört der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) an, in der auch Marine Le Pens rechtspopulistisches Rassemblement National und Matteo Salvinis ebenfalls rechtspopulistische Lega mitwirken. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas sprach von einem „Störmanöver“ – nicht Strache entscheide, wo die FIDESZ unterkomme. FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky bezeichnete Orban überhaupt als „Helden Europas“ in der Zeit der Flüchtlingskrise.

Kritik von Grünen

Kurz und Strache verteidigten am Mittwoch ihre Auffassungsunterschiede zu einem Verfahren gegen Ungarn. Das stehe nicht in Zusammenhang mit der Regierungszusammenarbeit und habe auch keine Auswirkung darauf.

Die Vizepräsidentin der Grünen im EU-Parlament, Monika Vana, kritisierte die Einladung Straches an Orban, in einer gemeinsamen EU-Fraktion zusammenzuarbeiten. Es sei „ein Skandal, dass die FPÖ den Antidemokraten Orban als Helden feiert“. Es brauche nun eine klare Haltung von Kanzler Kurz.