Parlament in Budapest
ORF.at/Zita Klimek
Ungarn und Polen

Steiniger Weg zu Sanktionen

Nach Polen muss sich nun auch Ungarn einem Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge stellen. Die Mehrheit der EU-Abgeordneten stimmte am Mittwoch für das Strafverfahren. Nun wartet ein langwieriger Prozess auf Ungarn.

Das Verfahren ist das schärfste Mittel, das der EU für diese Fälle zur Verfügung steht. Im EU-Jargon wird es auch „Atombombe“ genannt. Im äußersten Fall kann dem jeweiligen Land das Stimmrecht im Rat entzogen werden. Bis dahin sind aber mehrere Schritte durchzuführen. Die Hürden sind extrem hoch.

Nach der Entscheidung im EU-Parlament wird nun der Fall den Europa- und Außenministern und -ministerinnen weitergeleitet. Stellen vier Fünftel, also 22 EU-Mitglieder, fest, dass in dem betroffenen Land die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ besteht, geht das Verfahren in die zweite Stufe. Das betroffene Land ist in diesem Fall aber nicht stimmberechtigt.

Erste Anhörung in Polen nach sechs Monaten

In Polen hatte die EU-Kommission vergangenen Dezember ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen der polnischen Justizreformen gestartet – zum ersten Mal in der Geschichte der EU. Beratung und etwaige Entscheidung liegen nun auch hier beim Rat der Mitgliedsstaaten. Auch Polen ist von konkreten Sanktionen noch weit entfernt. Vor jedem neuen Schritt im Rahmen des Verfahrens muss das betroffene Land Gelegenheit bekommen, sich zu äußern. Im Juni gab es eine erste Anhörung von Polen.

Artikel 7

Mit der seit 2014 existierenden Klausel will die EU sicherstellen, dass alle Mitglieder sich an Grundwerte wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit halten. Der Auslöser kann auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedsstaaten, der Kommission oder des EU-Parlaments kommen.

Die EU hatte substanzielle Fortschritte von Warschau etwa bei der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit gefordert. EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) hatte im Juni betont, dass es „keine Rabatte auf Rechtsstaatlichkeit geben kann“. Aber man müsse „so fair sein, unseren polnischen Freunden ausreichend Zeit zu geben, ihre Argumente darzulegen“. Im September soll eine weitere Anhörung Polens stattfinden. Ein Ende des Verfahrens ist derzeit noch nicht absehbar.

Einstimmigkeit als hohe Hürde

Wird das Verfahren nach oben eskaliert, müssen die Staats- und Regierungschefs eine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der Werte der EU durch das Land, in dem Fall Polen bzw. Ungarn, bestätigen – einstimmig. Dann kann es zur Aussetzung von Rechten des Mitgliedsstaats wie des Stimmrechts im Rat kommen. Die Hürde der Einstimmigkeit ist aber extrem hoch. Ungarn hatte Polen Unterstützung zugesagt.

Zahlreiche Stimmen in der EU sehen das Artikel-7-Verfahren daher als zu groß und fordern einfachere Sanktionen gegen Demokratieverstöße. Eine Alternative wäre etwa die geplante Verknüpfung der milliardenschweren Strukturzahlungen aus dem EU-Haushalt an die Einhaltung von Grundwerten. Beschlossen ist aber auch in diesem Fall noch nichts.

Ungarn spricht von „kleinlicher Rache“

Ungarns Regierung kritisierte das Abstimmungsergebnis scharf. „Das ist nichts anderes als die kleinliche Rache migrationsfreundlicher Politiker“, sagte Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch in Budapest. „Ungarn und seine Menschen hat man bestraft, weil sie bewiesen haben, dass die Migration kein naturgegebener Vorgang ist und dass man sie aufhalten kann.“ Der Bericht, der Grundlage für die Abstimmung des EU-Parlaments war, sei „voll mit ausgewiesenen Lügen“, führte Szijjarto weiter aus.

In Berlin wurde das Votum dagegen begrüßt. Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) betonte, die EU sei „mehr als eine Mischung aus Binnenmarkt und Kohäsionsfonds“. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vertrete die Auffassung, die EU als Wertegemeinschaft könne nur funktionieren, wenn alle die Werte auch achteten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

„Weder Verurteilung noch Beweis“

Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist die Einleitung des EU-Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn „weder eine Verurteilung noch ein Beweis“, dass es in dem Nachbarland „Fehlentwicklungen gibt“. Es handle sich vielmehr um den „Start in einen Diskussionsprozess“, der offene Frage ausräumen solle. „Wenn es Fehlentwicklungen gibt, dann sind diese zu korrigieren“, sagte Kurz, der auch festhielt, dass die EVP im EU-Parlament für die Einleitung des Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn eingetreten sei.

Erleichterung bei Abgeordneten

Der ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas zeigt sich erfreut, dass sich die Mehrheit des Europäischen Parlaments für ein Rechtsstaatsverfahren wegen Verletzung von EU-Werten in Ungarn ausgesprochen hat. „Eine klare Mehrheit will die Grundregeln von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten in Europa verteidigen. Das ist ermutigend. Ich bin erleichtert und froh“, sagte der Europapolitiker.

Orbans Partei FIDESZ gehört wie die ÖVP der Europäischen Volkspartei (EVP) an. Im Vorfeld des Votums hatte sich EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) aber für die Einleitung des Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn ausgesprochen, ebenso wie ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Ein historischer Tag“, freute sich der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer über die Annahme des Berichts zur Lage in Ungarn und ergänzte: „Das Europaparlament schickt heute ein starkes und schönes Signal für Europa – das ist ein wichtiger Etappensieg für die Grundrechte und zeigt: Beharrlichkeit zahlt sich aus.“