Polizisten zerren eine Frau von einem besetzten Baumhaus herunter
AP/Martin Meissner
Kampf gegen Abholzung

Deutsche Polizei räumt Baumhäuser

Die deutsche Polizei hat im Braunkohlerevier Hambacher Forst mit der Räumung von Baumhäusern von Baumbesetzerinnen und -besetzern begonnen. Die Bäume in dem Forst sind teils jahrhundertealt. Nun sollen sie für den Braunkohleabbau gefällt werden

Bis zum Nachmittag räumten die Beamten eine Barrikade und drei Baumhäuser. An einer Holzkonstruktion der Waldbesetzer wurden laut Polizei auch Höheninterventionsteams gegen Aktivisten eingesetzt. Insgesamt sollen in dem Wald mehr als 50 Baumhäuser zwangsgeräumt werden. „Wir wissen nicht, was uns dort erwartet“, sagte ein Polizeisprecher mit Blick auf die Baumhäuser, die Kohlegegner bereits vor geraumer Zeit in dem Wald am Braunkohletagebau Hambach errichtet hatten.

Die Polizei rechnet mit einem schwierigen, wahrscheinlich wochenlangen Einsatz. Die nordrhein-westfälische Landesregierung schließt nicht aus, dass auch einzelne Bäume gefällt werden müssen, damit schweres Räumgerät eingesetzt werden kann. Für die Polizei ist es einer der größten Einsätze in der jüngeren Geschichte Nordrhein-Westfalens. Wasserwerfer und schweres Räumgerät sind im Einsatz. Aus ganz Deutschland wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung in den Hambacher Forst geholt.

Symbol des Widerstands gegen Braunkohle

Die Aktivisten kündigten als Reaktion auf den Polizeieinsatz „zivilen Ungehorsam“ und eine „bundesweite Massenmobilisierung“ an. Die Polizei warf den Baumschützern unterdessen gewaltsamen Widerstand vor. Beamte und Autos der Einsatzkräfte seien bei der begonnenen Räumung mit Steinen und Molotowcocktails beworfen worden, teilte die Polizei am Donnerstag mit. Mindestens ein Polizist wurde den Angaben zufolge leicht verletzt. Eine Aktivistin wurde vorübergehend festgenommen.

Die Polizei hatte im Vorfeld mit „Zwangsmaßnahmen“ gedroht, sollte die Räumung nicht freiwillig erfolgen. Aufgrund der Baumhöhe bestehe ein besonderes Gefahrenpotenzial für alle, schrieb die Polizei Aachen auf Twitter. „Wir möchten nicht, dass Menschen zu Schaden kommen.“

Polizisten im Wald vor den besetzten Baumhäusern
APA/AFP/dpa/Christoph Reichwein
Die Waldbewohner und -bewohnerinnen wollen nicht der Abholzung für den Braunkohleabbau weichen

Umsetzen müssen die Räumung die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren, auf deren Gebiet der Hambacher Forst liegt. Sie baten die Polizei dafür um Unterstützung. Das Waldgebiet ist ein Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden. Der Energiekonzern und Tagebaubetreiber RWE will im Herbst mehr als die Hälfte des noch verbliebenen Waldstücks roden, um weiter Braunkohle abbauen zu können.

Polizisten im Wald vor den besetzten Baumhäusern
APA/AFP/dpa/Henning Kaiser
Die Polizei hat den Auftrag, die Protestierenden aus dem Wald zu entfernen

Gericht: Rechtmäßige Räumung

Ein Eilantrag gegen die am Donnerstag anberaumte Räumung der Baumhäuser wurde unterdessen vom Verwaltungsgericht Köln abgelehnt. Mehrere Privatpersonen hatten sich an das Gericht gewandt, um den Räumungsbeschluss der Stadt Kerpen zu kippen. Das Gericht lehnte das in einem Fall am Nachmittag ab. Das Einschreiten zur Gefahrenabwehr für den Bewohner selbst und wegen Waldbrandgefahr sei gerechtfertigt, teilte das Gericht mit.

Auch die kurze Räumungsfrist sei „insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Gefahrintensivierung wegen einer zu befürchtenden weiteren Eskalation der Situation nicht zu beanstanden“, hieß es in der Mitteilung.

Räumung offiziell wegen baulicher Mängel

Bei der Räumung geht es juridisch gesehen gar nicht um RWE und die Braunkohle. Vielmehr argumentiert das Bauministerium von Nordrhein-Westfalen unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Nach einem Termin an Ort und Stelle sei das Ministerium des Bundeslandes zu der Überzeugung gelangt, dass die Hütten etwa über Rettungsstiegen und Geländer verfügen müssten.

Verschanzt in den Baumkronen

Die Aktivisten und Aktivistinnen wollen nicht klein beigeben und haben sich teils in den Baumkronen verschanzt.

Außerdem fehlten Rettungswege für Feuerwehr und Krankenwagen. Deshalb ergäben sich „konkrete Gefahren“ für die Bewohnerinnen und Bewohner, und die Baumhäuser seien ohne zeitlichen Aufschub zu räumen. Die Räumung sei daher „getrennt“ von der geplanten Rodung des Forstes durch den Energiekonzern RWE zu sehen. „Auch wenn der Wald nicht gerodet werden sollte, haben die Baumhäuser da nichts zu suchen und sofort zu verschwinden“, sagte NRW-Polizeichefin Lessmeister. Damit die teilweise mit Küchen, Strom und Heizung ausgestatteten Baumhäuser nicht wieder heimlich bezogen werden könnten, müssten sie zudem beseitigt werden, so die Polizeichefin. „Für viele ist das ihr Zuhause. Es gibt Menschen, die hier seit sechs Jahren wohnen“, sagte hingegen ein Baumbesetzer.

Auch Vorkommen geschützter Arten

In dem Forst stehen jahrhundertealte Buchen und Eichen. Zudem gibt es Vorkommen geschützter Arten wie der Bechsteinfledermaus. Mehrere Organisationen wollen seine Rodung unter anderem aus diesen Gründen verhindern. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidlich, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. Frühestens im Oktober darf der Konzern mit der Rodung beginnen.

Immer wieder hatte die Polizei von Angriffen auf Polizisten an dem Waldstück berichtet. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, (CDU) warnte, dass man es mit „extrem gewaltbereiten Linksextremen“ zu tun habe, die aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland angereist seien. Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach hatte unlängst eine Gewalteskalation innerhalb kürzester Zeit befürchtet. Einsätze seien nur noch unter Körperschutz und mit massiven Kräften zu verantworten, so Weinspach.

Grüne stellen sich hinter Aktivisten

Die Grünen im deutschen Bundestag verurteilten den Polizeieinsatz und forderten neu Verhandlungen. „Für uns ist klar: reden statt räumen und roden. Das muss die Devise sein“, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter am Donnerstag in Berlin. Die Räumung, sei eine „völlig unverantwortliche Eskalation“ und das Argument des Brandschutzes „an den Haaren herbeigezogen“.

Aus für Kohlestromproduktion angedacht

Der Streit um den Hambacher Forst könnte auch die Arbeit der Kohlekommission stören, obwohl das Thema dort offiziell nicht auf der Tagesordnung steht. Wirtschaft, Klimaschutzatkivistinnen und -aktivisten sowie Politik und Betroffene sollen bis Ende des Jahres gemeinsam einen Weg aus der Kohlestromproduktion vereinbaren. Die beteiligten deutschen Umweltverbände fordern einen Aufschub der Rodung mindestens für die Zeit, in der die Kohlekommission noch tagt – ihrer Ansicht nach könnte der Wald vielleicht stehen bleiben, wenn ältere Kraftwerke abgeschaltet werden.

Die Umweltverbände in der Kommission haben symbolische Baumpatenschaften im Hambacher Forst übernommen. Denkbar ist, dass ein oder mehr Umweltvertreter die Kommission verlassen, wenn RWE rodet. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens wäre dann gefährdet.

Umweltverbände: Räumung heizt Konflikt an

Die Umweltverbände kritisierten am Donnerstag die Räumung als überflüssige Provokation. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens mache sich zum „Brandstifter“ und heize den Konflikt um die Kohle an, sagte der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Dirk Niebert, der mit Wirtschaft und Politik über einen Zeitplan für den Kohleausstieg verhandelt. „Die Landesregierung zwingt ihre Polizeibeamten und friedlich protestierende Bürger hier in einen Konflikt, der nicht sein muss.“

BUND-Chef Hubert Weiger reagierte ebenfalls verärgert: „So wird der Eskalation des Konfliktes unnötig Vorschub geleistet. Die Räumung der Aktivisten soll eindeutig die Rodung des Waldes vorbereiten“, teilte er mit. Greenpeace-Sprecherin Gesche Jürgens sprach von einer „brandgefährlichen“ Eskalationsstrategie. „Während in Berlin die Kohlekommission über eine Kompromiss zum sozialverträglichen Kohleausstieg diskutiert, sieht die Bundesregierung tatenlos zu, wie RWE im Hambacher Forst einen gesellschaftlichen Konflikt maximal anheizt“, sagte sie.