Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ)
APA/Herbert Neubauer
Fünf Kassen, Machtverschiebung

Regierung legt Kassenreform vor

Die ÖVP-FPÖ-Regierung hat am Freitag ihren Gesetzesentwurf für die Reform der Sozialversicherung präsentiert. Die Eckpunkte: Statt 21 Krankenkassen soll es in Zukunft nur noch fünf geben. Die Arbeitgeberfraktion bekommt mehr Gewicht, die Funktionärszahl soll sinken. Die Regierung erhofft sich eine Milliarde Euro Einsparung.

Zentraler Punkt der größtenteils bereits bekannten Reform ist die Fusionierung der Kassen. Die neun Gebietskrankenkassen sollen 2020 in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) aufgehen. Dazu kommen die Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) für Bauern und Unternehmen sowie der Träger für den öffentlichen Dienst, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB). Die Pensionsversicherungsanstalt (PV) bleibt bestehen, ebenso die abgespeckte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA).

Die ÖGK soll neun Landesstellen mit gewissen Kompetenzen, etwa der regionalen Planung an Ort und Stelle, bekommen. Beiträge sollen nur noch an einer Stelle eingehoben werden. Diese hat auch Budget- und Personalhoheit. Bei den Ärztehonoraren soll es einen österreichweiten Gesamtvertrag geben. Bisher boten die Gebietskrankenkassen unterschiedliche Leistungen an. Diese sollen nun bis 2021 vereinheitlicht werden. Auf welchem Niveau das erfolgen soll, ließ die Regierung offen.

ÖVP-Klubobmann Wöginger, Bundeskanzler Kurz (ÖVP), Vizekanzler Strache (FPÖ) und Sozialministerin Hartinger-Klein (FPÖ)
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ÖVP-Obmann Wöginger, Bundeskanzler Kurz (ÖVP), Vizekanzler Strache und Sozialministerin Hartinger-Klein (beide FPÖ)

Milliarde an Einsparung erhofft

Die Kosten für die Fusionierung bezifferte die Regierung nicht. Allerdings verspricht sie sich bis 2023 Einsparungen von über einer Milliarde Euro, laut Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) eine „Patientenmilliarde statt einer Funktionärsmilliarde“.

Die Einsparung soll sich vor allem in der Verwaltung ergeben: Von 19.000 Jobs in der Verwaltung soll bis 2030 ein Drittel gestrichen werden. Kündigungen soll es nicht geben: Die „Verschlankung“ des Systems soll durch natürliche Abgänge, also Pensionen, erfolgen. Dass diese nicht nachbesetzt würden, ist laut Strache „sozial gerecht“.

Grafik zur Sozialversicherung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Sozialministerium

Regierung betont Funktionärsabbau

Nachdrücklich verwies die Regierung in diesem Zusammenhang auf die Reduktion auf der Funktionärsebene. Statt 2.000 Kassenfunktionärinnen und -funktionären soll es künftig nur noch knapp 500 geben. Die Zahl der Verwaltungsgremien schrumpft von 90 auf 50, die der Generaldirektoren und Generaldirektorinnen von 21 auf fünf. Die Entscheidungsstrukturen sollen „effizienter gestaltet“ werden, um im Gesundheitswesen bessere Bedingungen schaffen zu können, so Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ).

Beitragserhöhungen, Spitalsschließungen oder Leistungskürzungen soll es laut Regierung nicht geben. Die eingesparte Milliarde soll laut Kurz direkt in das Gesundheitssystem reinvestiert werden. Es handle sich um eine „große, alles andere als einfache Reform“. Er verwies darauf, dass es schon seit Jahrzehnten Rufe nach einer „Verschlankung“ gebe. Strache sah einen „Veränderungsbedarf seit Jahrzehnten“.

Neue Strukturen an Spitze

Erhebliche Verschiebungen gibt es bei den Machtverhältnissen innerhalb der Kassenstruktur. Bisher war in der Generalversammlung und im Vorstand der Gebietskrankenkassen die Arbeitnehmervertretung in einem Verhältnis von vier zu eins in der Überzahl. In der mit Vetorecht ausgestatteten Kontrollversammlung war es umgekehrt.

Die ÖGK soll künftig von einem Verwaltungsrat geführt werden, der aus je sechs Dienstnehmer- und Dienstgebervertretern besteht. Der Chef oder die Chefin des Verwaltungsrates soll sich in einem halbjährlichen Rhythmus abwechseln: Sechs Monte soll die Vertretung aus der Arbeiterkammer-, sechs Monate von der Wirtschaftsseite kommen.

Grafik zu Kassengremien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Hauptverband/Sozialministerium

ÖVP-Klubobmann August Wöginger verteidigte diese Maßnahmen gegenüber der Kritik, die Arbeitnehmerseite werde dadurch entmachtet. Im alten System hätten sich Vorstand und Kontrollversammlung gegenseitig blockiert. Mit der neuen Parität müssten die Kurien zusammenarbeiten. Dass der Verfassungsgerichtshof das alles – etwa wegen eines Eingriffs in die Selbstverwaltung – aufheben könnte, glaubt Kurz nicht. „Wir gehen davon aus, dass das Vorhaben rechtlich so hält“, sagte er.

Biach muss gehen

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger wird de facto aufgelöst und zu einem Dachverband umgebaut, der nur noch koordinierende Aufgaben für die Sozialversicherungen übernehmen soll. Den Vorsitz dort üben in der neuen Struktur laut den ÖVP-FPÖ-Plänen die Obmänner bzw. Obfrauen der auf fünf reduzierten Sozialversicherungsträger aus, und zwar in jährlicher Rotation. Hauptverbandschef Alexander Biach ist damit also seinen Job los. Dafür Unverständnis zeigte am Donnerstag die Ärztekammer.

Der Gesetzesentwurf soll nun in Begutachtung gehen, am 24. Oktober soll die Regierungsvorlage den Ministerrat passieren. Die Beschlüsse im National- und Bundesrat will man vor Weihnachten fassen, womit das Gesetz per 1. Jänner 2019 in Kraft treten kann. Mit 1. April 2019 werden pro Träger Übergangsgremien zur Vorbereitung des Fusionsprozesses eingesetzt. Mit gleichem Datum will die Regierung die verordnete „Ausgabenbremse“ bei den Sozialversicherungen wieder aufheben. Ab 1. Jänner 2020 soll die neue Kassenstruktur dann gültig sein.

„Wahrlich historischer Tag“

Die Regierungsspitze zeigte sich jedenfalls äußerst zufrieden mit der Reform. Bereits in den 1960er Jahren habe die Weltgesundheitsorganisation zu einer Reduktion der Träger geraten, sagte Kurz. viele Regierungen hätten sich das zum Ziel gesetzt: „Der große Unterschied ist, wir haben es uns nicht nur vorgenommen, wir tun es auch.“

Strache sprach von einem „wahrlich historischen Tag“ und freute sich über eine Reduktion der Kassenfunktionäre um 75 Prozent. „Da ist es nicht verwunderlich, dass der eine oder andere Funktionär, der Pfründe verliert, jetzt diesen Pfründen nachtrauert.“ Als nächsten Schritt kündigte er eine Gesundheits- und Pflegereform an, um gegen Gangbetten und lange Operationswartezeiten vorgehen zu können.