Der Ich-Erzähler hat es nicht leicht: Er ist 13, überdurchschnittlich groß, „mehrere Watschen zu gescheit“, die Mutter schwänzelt ihm hinterher, und der Vater ist auf Alkoholentzug in der Landesnervenheilanstalt. Am meisten aber macht ihm zu schaffen, dass er ein „dicker Wuzel“ ist. Ausgehend von vier Beinbrüchen und der verwandtschaftlichen Überschüttung mit Schokoriegeln hat sich der junge Mann direkt „in die Königsklasse gefuttert“. 93 kg zeigt die Waage an – daran ändern selbst die „Kamasutra“ genannten Verrenkungsversuche nichts.
Auf Schönes folgt Schreckliches
Es ist also wieder eine Art Antiheld, den Haas in „Junger Mann“ ins Rennen schickt. Diesmal in einem etwas weniger eigenwilligen Sound, aber – zum Glück – wieder mit einem Faible für zutiefst österreichische Formulierungen wie das schöne Wort „Gegegeh“ – und einigen grundlegenden Wahrheiten: „Schon vor längerer Zeit hatte ich ein Naturgesetz entdeckt: Wenn man etwas sehr Schönes erlebte, passierte immer gleich etwas entsprechend Schreckliches.“ Der Satz ist im Grunde auch das Leitmotiv des Buchs, und den würden, denkt man an die eigene Pubertät zurück, wahrscheinlich die meisten unterschreiben.
Es sind, wie der 1960 im Salzburger Maria Alm geborene Autor im Interview mit ORF.at verrät, tatsächlich nicht nur die Eckdaten der Geschichte, die mit seiner Biografie übereinstimmen: „Viele Elemente aus dem Buch sind aus meinem Leben übernommen. Ich habe zum Beispiel einmal wirklich so viel abgenommen und ich habe auch so ähnliche Eltern. Aber es ist nicht so, dass die Fakten immer die richtige Geschichte erzeugen. Manchmal ist es authentischer, wenn man etwas erfindet, weil es das damalige Gefühl besser transportiert.“
Abnehmen „nicht literaturfähig“
Schauplatz ist jedenfalls die Salzburger Peripherie in den 70er Jahren, also die Zeit der Ölkrise und der autofreien Tage mit den „Wochentags-Pickerln“ – was insofern eine Rolle spielt, als dass der junge Mann in den Ferien auf einer Tankstelle jobbt (auch das ist übrigens biografisch grundiert). Beim Windschutzscheibenputzen verliebt er sich Hals über Kopf in Elsa. Elsa ist zehn Jahre älter, die Frau des Fernfahrers Tscho und für den jungen Mann der Anlass, sich einer Diät zu unterziehen – was als dramaturgischen Angelpunkt einen gleich 15 Kilo schweren Gewichtscountdown zur Folge hat.
„Was mich an der Abmagerungskur vor allem interessiert hat, ist, dass sie ganz bestimmt nicht auf einer Liste der literaturfähigen Themen drauf ist“, sagt Haas dazu augenzwinkernd und fügt hinzu: „Dass solche Alltagsprobleme in der deutschsprachigen Literatur kaum vorkommen, finde ich eigentlich ein Armutszeugnis.“ Er selbst habe „immer schon einen Diätroman schreiben“ wollen, nicht zuletzt, „weil das so unmöglich klingt“.
„Sauce ist am gefährlichsten“
Wie Haas seinen Diätroman angeht, ist zwar nicht unbedingt emanzipatorisch (ein Roman gegen den Schlankheitswahn ist „Junger Mann“ nämlich nicht), trifft aber den ernsten Kern der Sache empathisch und ist auch ziemlich lustig: angefangen beim Fernseh-Abnehmprogramm „Schlank mit Wir“ bis zu einer Reihe von Kalorientabellen (vom kleinen, säuerlichen Apfel mit 50 Kalorien bis „Pommes frites: eine Million Kalorien“) – und einer weiteren Weisheit, die niemandem vorenthalten werden soll: „Sauce ist am gefährlichsten.“
Im Zentrum der ersten Hälfte dieses Romans steht aber die Love-Story mit der schönen Elsa, die dann doch mehr Fahrt aufnimmt als gedacht: Weil Elsa eine Krankenschwesternschule besuchen will, gibt ihr der junge Mann Englischunterricht – und zwischen Banalitäten wie der lautmalerischen Nähe von „laugh“ und „love“ entsteht eine flirrende Flirtatmosphäre, wie nur Haas sie schildern kann.
In der zweiten Hälfte kommt es, wie es kommen muss – Elsas cooler und schweigsamer Mann bekommt Wind von der Sache. Die Folge: Die beiden starten zu einer gemeinsamen Lkw-Tour durch den Balkan nach Thessaloniki, was dem Roman einen ganz anderen Drive gibt und schließlich mit einer überraschenden Wendung endet. Mehr sei hier nicht verraten – vielleicht nur noch, dass „Junger Mann“ in diesem Teil zur Roadnovel mutiert und ein wenig an Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ erinnert.
„Guter Wahnsinn" mit 13
Geht es nach Haas’ Eigenbeschreibung, hat der Autor bis jetzt in seinen Büchern immer auf einen „Verstärker“ gesetzt (wie, so Haas einmal, „bei einer E-Gitarre“): Beim Brenner waren das der spezielle Sound und die Krimihandlung, bei „Das Wetter vor 15 Jahren“ (2006) die Interviewform und bei „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ (2012) die Einschübe des Autors (etwa „Hier noch London-Atmosphäre einbauen“). „Junger Mann“ kommt dagegen – bis auf den Kilo-Countdown – ohne vergleichbare Kunstgriffe aus und erzählt fast geradlinig vom 70er-Jahre-Landleben aus der Perspektive eines 13-Jährigen – ein Alter, das, so Haas, „deswegen so interessant ist, weil man einen so guten Wahnsinn im Kopf hat“.
Veranstaltungshinweis
Lesereise im November: 12.11. Wien, 17.11. Graz, 19. 11. Linz, 20.11. Salzburg, 21.11. Innsbruck
Guter Wahnsinn, das ist im Fall des Buben auch, dass er mit einem fast zweckoptimistischen Blick durchs Leben geht und gewissermaßen versöhnlich von den Widrigkeiten, den Kompliziertheiten und den schwer auszuhaltenden Momenten der Jugendzeit berichtet. Ein gutes Buch also, um sich an eigene Pubertätstraumata zu erinnern – oder sich einfach gut zu unterhalten.