Krankenpflegerin im Krankenhaus
ORF.at/Christian Öser
Kassenreform

Opposition ortet „Umfärbeaktion“

Die Regierungspläne zur Kassenreform haben am Mittwoch starke Reaktionen nach sich gezogen. Während es Lob von der Wirtschaftsseite und der Ärztekammer gab, hagelte es Kritik von Arbeitnehmervertretern. Einhellig gegen die Pläne trat auch die Opposition auf. Sie ortet eine „Umfärbeaktion“ und fürchtet Nachteile für Patientinnen und Patienten.

Die Regierungsspitze hatte am Freitag bei einem Pressegespräch den Gesetzesentwurf für die Reform präsentiert. Die zentralen Punkte: Die Gebietskrankenkassen werden zusammengelegt und zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert. Statt 21 soll es künftig nur noch fünf Sozialversicherungsträger geben. Der Hauptverband wird zu einem Dachverband geschrumpft.

Die Arbeitgeberseite bekommt mehr Gewicht. Machtverschiebungen gibt es auch bei den Chefposten: Sie sollen rotierend je sechs Monate von der Arbeiterkammer- und der Wirtschaftsseite besetzt werden. Die Zahl der Funktionärsposten wird von 2.000 auf rund 500 reduziert. Zufriedenheit gab es bei ÖVP und FPÖ – nicht jedoch bei Arbeitnehmervertretern und der Opposition.

SPÖ, NEOS, LP geschlossen gegen Reform

Die Oppositionsparteien treten geschlossen gegen die Reform auf. „Heute ist ein schwarzer Tag für die Gesundheit der Österreicher und Österreicherinnen", so SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner. Sie ortet eine schleichende Privatisierung des Gesundheitssystems. Patientinnen und Patienten würden in Zukunft weniger von den Kassen bezahlt bekommen. Vielmehr gehe es bei der Reform darum, 500 Mio. Euro aus der Sozialversicherung zu nehmen und sie Großunternehmen und Konzernen zu schenken.

Breites Echo auf Reform

Die Reaktionen auf die Pläne der Regierung verlaufen klar entlang der Grenzen von Parteien und Interessenvertretungen: Die Opposition lehnt die Vorschläge ab, die Wirtschaftskammer begrüßt sie. Heftige Kritik kommt von Gewerkschaft und Arbeiterkammer.

NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker sieht in der Reform eine versteckte „Umfärbeaktion“: Die bisher rote VAEB werde in die schwarze BVA eingegliedert, die roten Krankenkassen und die rote PV würden dank der 50:50-Parität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mehrheitlich schwarz. Und AUVA, SVA und SVB blieben fest in ÖVP-Hand. „Was bringt das den Patienten? Wenig bis nichts“, so Loacker. Die Einsparungen zweifelt er an, wenn es keine Leistungskürzungen, gleiche Beiträge und eine Jobgarantie für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gebe. Auch die Fusionskosten würden ignoriert.

Dass die Reform zu einer Schwächung der Selbstverwaltung führt, befürchtet die Liste Pilz (LP). Mit dem Eingriff in die Stimmenverhältnisse zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei künftig keine Selbstverwaltung mehr möglich. Gesundheitssprecherin Daniela Holzinger kritisierte zudem die weitgehenden Durchgriffsrechte der Regierung, denn das Sozialministerium soll künftig Einfluss auf die Themensetzung bei den Tagesordnungspunkten der Sozialversicherungsgremien nehmen können. „Das FPÖ-geführte Ministerium wird ihm genehme Strukturen mit ebenso genehmen Personen schaffen – das nennt sich dann Umfärbung“, so Holzinger.

ÖGB und AK kündigen Widerstand an

Widerstand gegen die Reform kündigten der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und die Arbeiterkammer (AK) an. Beide hatten sich beim Sozialversicherungsgipfel Ende August noch optimistisch gezeigt, sprachen am Freitag aber von einem „Raubzug“ und einer „Katastrophe“. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian warnte vor einer „drittklassigen Medizin“ für sieben Millionen Versicherte. Die Wirtschaft erhalte eine Machtfülle, die ihr nicht zustehe. Der ÖGB hält mehrere Punkte des Regierungsvorhabens für verfassungswidrig und will dagegen rechtlich auf allen Ebenen ankämpfen. Die Frage einer etwaigen Verfassungsklage ließ der ÖGB aber noch offen.

Grafik zur Sozialversicherung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Sozialministerium

Öffentlich Bedienstete, Selbstständige, Unternehmer und Unternehmerinnen würden ihre eigenen Versicherungen mit besseren Leistungen behalten, während der dritten und größten Gruppe der Arbeitnehmenden, Pensionisten und deren Angehörigen das Geld entzogen werde. Auch die versprochenen Einsparungen hält er für unrealistisch. Einsparungen von einer Milliarde ohne Leistungskürzungen seien nicht darstellbar. Vor dem „Rechenkünstler“, der das zustande bringt, „würde ich mich in Ehrfurcht verneigen“, so Katzian.

„Streikmaßnahmen immer eine Option“

Ähnliche Töne kamen von der AK. „Das ist ein Fusionsfiasko, mit dem das Gesundheitssystem an die Wand gefahren wird.“ Mögliche Streikmaßnahmen seien „immer eine Option“, so AK-Chefin Renate Anderl. Man habe bereits ein „Gremium zusammengesetzt“, das weitere Schritte beraten werde, so Anderl. Sie machte allerdings klar, dass man das Gesetz zunächst einer genauen Analyse unterziehen werde. In der Begutachtungsphase werde man versuchen, der Reform noch die „Giftzähne“ zu ziehen, so Anderl.

Christoph Varga zur Reform der Sozialversicherungen

Christoph Varga, Leiter der ZIB-Wirtschaftsredaktion, erklärt, welche Folgen die geplante Sozialversicherungsreform für die Bevölkerung haben wird.

Die Arbeitnehmerseite sah Anderl fast gar nicht eingebunden. ÖVP und FPÖ hätten von Anfang an nicht vorgehabt, Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen. „Zu einer wirklichen Verhandlung ist es nie gekommen. Das war einfach ein Pflanz“, so die AK-Chefin. Der jüngste Gipfel sei ein „Feigenblatttermin“ gewesen. Auch Tirols schwarzer AK-Chef Erwin Zangerl polterte über eine Enteignung in „unglaublichem Ausmaß“. „Es geht um Macht, Geld und Einfluss. Im Vordergrund stehen parteipolitische Interessen.“

Biach: Funktionierendes System wird zerschlagen

Der vor der Absetzung stehende Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, kommentierte die Reform ablehnend. Er sehe keine Verbesserung darin, dass der Hauptverband „dezentralisiert und zerschlagen wird“, sagte er im Ö1-Mittagsjournal. Kein gutes Haar ließ er am rotierenden Vorsitz im künftigen Dachverband, der den Hauptverband ersetzen wird.

„Da geht es nicht um mich“, so der zuletzt schon mit Kritik aufgefallene ÖVP-Wirtschaftsbündler, dessen Posten durch den Umbau der Sozialversicherungsinstitutionen nun abgeschafft wird. Er kritisierte, dass „ein komplizierteres Gestaltungssystem“ geschaffen und ein „funktionierendes System wie der Hauptverband“ zerschlagen werde – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Freude auf Wirtschaftsseite

Erwartungsgemäß erfreut zeigten sich hingegen die Wirtschaftsvertreter, darunter Wirtschaftskammer (WKÖ), Industriellenvertretung (IV) und die Grüne Wirtschaft. Die Reform sichere das Leistungsniveau für Patientinnen und Patienten und steigere die Effizienz. WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf lobte mit Verweis auf die Beitragszahlungen der Arbeitgeberseite eine „gerechte Besetzung der Selbstverwaltungskörper“.

Für Lob seitens der Wirtschaftsvertreter sorgte auch die geplante Senkung der Lohnnebenkosten bei der Unfallversicherung. Diese steigere die Wettbewerbsfähigkeit. Positiv äußerten sich auch die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie die Mittelstandsplattform. Auch die Ärztekammer begrüßte die Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems, solange sie bessere Rahmenbedingungen im medizinischen System bedeute.

„Wahrlich historischer Tag“

Die Regierungsspitze zeigte sich jedenfalls äußerst zufrieden mit der Reform. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sprachen von einer „Patientenmilliarde statt einer Funktionärsmilliarde“. Bereits in den 1960er Jahren habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer Reduktion der Träger geraten, sagte Kurz (ÖVP). viele Regierungen hätten sich das zum Ziel gesetzt: „Der große Unterschied ist, wir haben es uns nicht nur vorgenommen, wir tun es auch.“

Strache sprach von einem „wahrlich historischen Tag“ und freute sich über eine Reduktion der Kassenfunktionäre um 75 Prozent. „Da ist es nicht verwunderlich, dass der eine oder andere Funktionär, der Pfründe verliert, jetzt diesen Pfründen nachtrauert.“ Als nächsten Schritt kündigte er eine Gesundheits- und Pflegereform an, um gegen Gangbetten und lange Operationswartezeiten vorgehen zu können.

Hartinger-Klein: „Größte Reform der Zweiten Republik“

Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) bezeichnet die Kassenreform als „größte Reform der Zweiten Republik“. Wichtig sei, dass der Patient für die gleichen Beiträge gleiche Leistungen bekommt.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) verteidigte unterdessen Freitagabend in der ZIB2, dass die Selbstständigen- und Beamtenkassen von den Gebietskrankenkassen getrennt bleiben und damit auch die Leistungen nicht harmonisiert werden. Die Ressortchefin argumentierte mit einer unterschiedlichen Versichertenstruktur. Für die Zukunft schloss sie weitere Fusionen aber nicht aus. Jetzt habe man einmal auf fünf Träger reduziert, in der nächsten Legislaturperiode werde man „vielleicht“ weitere Schritte setzen.