Salzburg Stadtansicht
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Weichenstellung in Salzburg

EU-Gipfel in spannungsgeladenen Zeiten

Von Anfang an als der Höhepunkt der laufenden EU-Ratspräsidentschaft hervorgehoben, sollen ab Mittwoch beim zweitägigen Gipfeltreffen der 28 Staats- und Regierungsoberhäupter in Salzburg nun Taten folgen. Gastgeber Österreich will sich als „Brückenbauer“ in Szene setzen – inwieweit das gelingt, wird sich beim weiterhin vorherrschenden Thema Migration weisen.

„Das Treffen in Salzburg ist zwar ein informeller Gipfel, er ist aber ein wichtiger Zwischenschritt in Hinblick auf die nächsten EU-Räte. Es wird viel Überzeugungsarbeit notwendig sein“, sagte dazu Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in Rom auf der letzten Etappe seiner „Tour des capitales“, bei der er sich mit „gutem Gefühl“ auf den Gipfel vorbereitete. Am Tag zuvor beklagte Kurz bei seinem Besuch bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass es in der Europäischen Union derzeit „zu viele Spannungen zwischen Osten, Westen, Norden und Süden“ gebe.

Frontex-Aufstockung als gemeinsamer Nenner

Bereits am Sonntagabend hob Kurz nach seinem Treffen mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel in Berlin die Stärkung der EU-Grenzschutzbehörde (Frontex) und damit – Stichwort Außengrenzschutz – einen der am wenigsten strittigen Punkte in der Flüchtlingsfrage hervor. So wie Kurz sprach sich auch Merkel für die Aufstockung auf 10.000 Frontex-Beamte bis 2020 und die Ausweitung der Frontex-Kompetenzen aus.

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Giuseppe Conte und Sebastian Kurz
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„Tour des capitales“ zur Gipfelvorbereitung: Am Dienstag besuchte Kanzler Kurz Italiens Premier Giuseppe Conte in Rom
Sebastian Kurz und Emmanuel Macron
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Am Montag wurde Kurz vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris empfangen
Angela Merkel und Sebastian Kurz
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Auch der Besuch bei Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend stand ganz im Zeichen des Salzburg-Gipfels
 Bundeskanzler Sebastian Kurz, EU-Ratspräsident Donald Tusk (L.) während eines Treffens mit den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi (M.)
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Vor seiner Berlin-Visite reiste Kurz mit EU-Ratspräsident Donald Tusk zu Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi nach Kairo

Darauf werde man sich in Salzburg „noch irgendwie einigen“, hieß es dazu in Brüsseler Ratskreisen, in denen man unmittelbar vor dem Gipfel auch an die bisher ergebnislose Suche nach Annäherung in anderen Punkten erinnerte. Weit komplizierter als die anvisierte Frontex-Reform sei etwa die Suche nach einer Lösung in Sachen Flüchtlingsverteilung.

Teil von Leaders’ Agenda

Österreich ist als EU-Ratsvorsitz Gastgeber des Salzburg-Gipfels, rein formal steht aber EU-Ratspräsident Donald Tusk hinter der inhaltlichen Ausrichtung. Der informelle Gipfel ist demnach auch Teil von Tusks Leader’s Agenda und schon seit rund einem Jahr in Planung. Die zentralen Eckpunkte hat Tusk im Einladungsbrief abgesteckt.

„Große Zurückhaltung“ gibt es unter Brüssels Diplomaten zudem rund um die an sich bereits im Juni in Brüssel beschlossenen und unter anderem in nordafrikanischen Länderen angedachten „Anlande-“ bzw. „Ausschiffungsplattformen“. Es bleibt somit fraglich, ob es hier in Salzburg zu einem Durchbruch bzw. zumindest einer informellen Weichenstellungen kommt.

Erinnerung an Contes Vetodrohung

Abseits davon ist auch für neuen Gesprächstoff gesorgt. So steht etwa ein Vorstoß aus Spanien im Raum, der für jeden abgeschobenen Flüchtling einen Ausbildungsplatz für einen Bürger desselben Landes vorsieht. Es gehe darum, dass die so Ausgebildeten „danach wieder in ihr Heimatland zurückkehren“, wovon sich Spaniens Regierung einen nachhaltigen Beitrag zur Lösung der Migrationsproblematik verspricht.

Erwartet wird, dass Italiens Premier Giuseppe Conte erneut einen Mechanismus für die geregelte Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Migrantinnen und Migranten verlangen wird. Zu Italiens Forderungen zählt im Rahmen der EU-Militärmission „Sophia“ zudem ein „Rotationsprinzip“ für Häfen, die aus dem Mittelmeer gerettete Menschen aufnehmen.

Während Conte bereits beim Juni-Gipfel in Brüssel mit einer Vetodrohung für reichlich Turbulenzen sorgte, hängt nach Angaben aus Diplomatenkreisen auch in Salzburg viel an der Frage, ob neben Italien auch andere EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn weiter „querschießen“. Neben der jüngsten Forderung aus Rom, die EU-Mission „Sophia“ neu auszurichten, zeigte sich neben Italien zuletzt auch Ungarns Premier Viktor Orban etwa selbst gegenüber dem Ausbau der Frontex-Kompetenzen skeptisch.

Vorbereitungen für den Informellen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs bei der Universitüt Mozarteum
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Die Universität Mozarteum ist der zentrale Schauplatz des Salzburg-Gipfels

„Neue Perspektive“

Kurz war nach einem Gespräch mit Conte am Dienstag dennoch überzeugt, „dass uns der Gipfel in Salzburg weiterbringen wird“. Nach Angaben des italienischen Regierungschefs habe sich im Juni immerhin eine „neue Perspektive“ in der europäischen Migrationsproblematik eröffnet. Der Schlagabtausch zwischen Italiens Innenminister Matteo Salvini mit Luxemburgs Außen- und Asylminister Außenminister Jean Asselborn bei der EU-Afrika-Konferenz in Wien offenbarte zuletzt aber auch neue Gräben in der Flüchtlingsfrage.

„Ich hoffe, dass wir in Salzburg die gegenseitigen Verstimmungen beenden und zu einem konstruktiven Ansatz zurückkehren können“, heißt es dazu im Einladungsbrief von EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Wenn manche die Krise lösen wollen, während andere sie benutzen, bleibt sie unlösbar“, wie Tusk in seinem Schreiben zudem kritisch bemerkte. Der EU-Ratspräsident geht auch auf Details ein und hält etwa weiter an den umstrittenen „Anlandeplattformen“ fest. Kurz will in Salzburg indes auch über die bilateralen Gespräche der EU-Ratspräsidentschaft mit allen EU-Mitgliedstaaten zur weiterhin ausstehenden Dublin-Reform informieren.

Zeichen stehen auf „Brexit“-Sondergipfel

Den ersten Lakmustest für den Stand der Migrationsdebatte gibt es bereits beim Abendessen der Gipfelteilnehmer am Mittwochabend in der Salzburger Felsenreitschule. Großbritanniens Regierungschefin Theresa May wird dann auch über die letzten Entwicklungen in Sachen „Brexit“ informieren. Geht es nach Kanzler Kurz, sind mit der Migrationspolitik und dem „Brexit“ dann auch jene Themen auf der Salzburg-Tagesordnung, die für Europa wichtig seien.

Das Tauziehen um den „Brexit“

Noch 192 Tage bis zum „Brexit“ – und noch immer ist nicht klar, ob es eine geordnete Scheidung geben kann. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnt vor einem „Brexit“ ohne Einigung. Das sei unbedingt zu vermeiden.

Die weitere „Brexit“-Vorgangsweise der EU steht am zweiten Gipfeltag dann zum EU-Gipfelfinale ohne Beteiligung Mays erneut auf der Agenda. Die an sich für Oktober angepeilte Einigung zwischen Brüssel und London könnte dabei auf November vertagt werden: Unmittelbar vor dem Salzburg-Gipfel verdichteten sich die Hinweise, dass Tusk einen „Brexit“-Sondergipfel ankündigt, wobei als mögliches Datum bereits der 13. November kolportiert wurde.

„Substanzielle Differenzen“

Bei den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU war zuletzt von „substanziellen Differenzen“ die Rede. EU-Chefverhandler Michel Barnier glaubt zwar weiterhin an eine rechtzeitige Einigung – Barnier wie Tusk verweisen aber darauf, dass auch ein „No-Deal-Szenario“ noch immer möglich sei.

Eine Abschlusserklärung wird es – wie bei informellen Gipfeltreffen üblich – in Salzburg weder zu Migration noch zum „Brexit“ geben. Die beim „Brexit“ abgesteckte Wegroute sieht ein entsprechendes Papier für den EU-Gipfel im Oktober vor. In Salzburg wollen die 27 verbleibenden EU-Staaten aber neuerlich betonen, dass es ohne Lösung der Irland-Grenzfrage keinen „Brexit“-Austrittsvertrag geben wird.

Innere Sicherheit als Gipfelschwerpunkt

Was die weiteren Gipfelthemen betrifft, geht es am Donnerstag unter anderem um Fragen der inneren Sicherheit. Auch die Ankündigung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dass terroristische Propaganda binnen einer Stunde vom Netz genommen werden soll, dürfte, wie auch die weitere Polizei- und Justizzusammenarbeit, in die Sicherheitsdebatte hineinspielen – mehr dazu in fm4.orf.at.

May will auf dem Gipfel zudem über die jüngsten britischen Geheimdiensterkenntnisse zur Skripal-Affäre berichten. Nicht auf der offiziellen Gipfelagenda steht dagegen das Thema Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und in Polen.

Großeinsatz für Sicherheitskräfte

Die Vorbereitungen zum Gipfel laufen seit Wochen auf Hochtouren. Nach einem Arbeitsessen am Mittwochabend in der Felsenreitschule tagen die EU-Staats- und -Regierungschefs am Donnerstag dann in der Univerität Mozarteum – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Der Gipfel wird von großangelegten Sicherheitsvorkehrungen begleitet. 1.750 Polizisten sollen für die Sicherheit der 28 Staats- und Regierungschefs, mehr als 850 Soldaten mit zwölf Flächenflugzeugen und zwölf Hubschraubern für Schutz aus der Luft sorgen. Für die Bevölkerung wird es insbesondere am Donnerstag zu Beeinträchtigungen kommen. Mehrere Protestaktionen sind geplant – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Im Vorfeld des EU-Gipfels in der kommenden Woche haben Aktivisten zwei Plakate am Sonntag, 16. September 2018, an der Außenmauer der Festung Hohensalzburg entrollt
APA/Anna Berger
Der Gipfel wird auch von Protesten begleitet

Ersatzlos gestrichen wird an diesem Tag auch der traditionelle Wochenmarkt „Schranne“. Bereits seit 17. September (bis einschließlich 21. September, Anm.) ist das Schengen-Abkommen in Sachen Grenzkontrollen ausgesetzt. Begleitet wird der Salzburger Gipfel auch von mehreren Protestkundgebungen, eine mit Schwimmern in der Salzach geplante Demo dürfte es entgegen ersten Ankündigen aber nicht mehr geben – mehr dazu in salzburg.ORF.at.