SPÖ-Bundesparteivorsitzende Christian Kern
APA/Roland Schlager
Kerns Brüssel-Plan

SPÖ will Nachfolge noch heuer fixieren

Mit der Ankündigung, bei der EU-Wahl als Spitzenkandidat zu kandidieren und die Führung der SPÖ abzugeben, hat Christian Kern auch parteiintern überrascht. Jetzt wird eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gesucht – doch die Personalie bleibt vorerst offen. Aus der SPÖ heißt es, man wolle sich noch heuer festlegen – vermutlich im November.

Das kündigte Bundesgeschäftsführer Max Lercher am Rande einer dreistündigen Sitzung der Parteigranden im SPÖ-Thinktank „Renner-Institut“ am Dienstagabend an. Bei einem Parteitag, vermutlich Ende November, soll der oder die neue Vorsitzende gewählt werden. Bei dieser Veranstaltung soll auch die Kandidatenliste der Sozialdemokraten für die Europawahl festgelegt werden.

Parteitag entfällt

Einhellig sei laut Lercher begrüßt worden, dass sich Kern für Platz eins zur Verfügung stelle. Die SPÖ unterstütze auch Kerns Plan zur Spitzenkandidatur für die Europäischen Sozialdemokraten. Der entsprechende Vorschlag werde am Mittwoch den Parteigremien vorgelegt. Der für Anfang Oktober geplante Parteitag in Wels, bei dem auch das Parteiprogramm beschlossen werden sollte, wird abgesagt.

Kern tritt als Spitzenkandidat bei EU-Wahl an

SPÖ-Chef Christian Kern kandidiert bei der EU-Wahl im Mai 2019 als Spitzenkandidat und zieht sich als Parteichef zurück. Das gab er am Dienstagabend in einem kurzen Statement bekannt.

Kern hatte bei der Vorstellung seiner Pläne erklärt, „spätestens“ nach der EU-Wahl am 26. Mai 2019 als Parteichef zurücktreten zu wollen. Kern betonte, dass er die Spitzenkandidatur der Sozialdemokraten bei der Europawahl mit aller Konzentration angehen wolle. Später mehrten sich auch Spekulationen, Kern strebe die Spitzenkandidatur für die SPE (also für die Sozialdemokratische Partei Europas) an.

Granden großteils schweigsam

Nach ihrer Sitzung schien sich die SPÖ offenkundig ein Schweigegelübde auferlegt zu haben. Nach dem offiziellen Statement Lerchers war einzig Wiens Bürgermeister Michael Ludwig zu einer Stellungnahme bereit – doch berichtete er bloß vom Beschluss, Kern als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl zu unterstützen, und davon, dass alles Weitere am Mittwoch in Präsidium und Vorstand beschlossen werde.

Der Abgang des Christian Kern

Die Gerüchte haben sich schon länger verdichtet – jetzt ist es fix, inklusive einer Überraschung: SPÖ-Chef Christian Kern hat seinen Rücktritt von der SPÖ-Spitze angekündigt und will nach Brüssel.

Die Stimmung in der Sitzung bezeichnete er als „ausgesprochen gut“. Wann er von Kerns Entscheidung informiert wurde, ließ Ludwig offen. Sämtliche anderen Spitzenvertreter liefen teils hektisch vor den wartenden Journalisten davon. Auch der scheidende Parteichef Kern beließ es bei einem „Guten Abend“-Gruß. Vertreten war die SPÖ-Spitze bei der Besprechung fast vollzählig. Von den wichtigeren Parteigrößen fehlte einzig der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser.

„Europäisches Erbe bewahren“

Zuvor hatte Kern bei seinem Statement seine Motive für den geplanten Gang nach Brüssel geschildert: Es würden derzeit „Menschen agieren, die die Abrissbirne gegen Europa einsetzen“, so Kern. Für die Sozialdemokratie sei es „die wichtigste Herausforderung, dass dieses europäische Erbe bewahrt“ werde. Seine „persönliche Überlegung um das Europathema“ habe sich „schon längere Zeit sortiert“. Deswegen habe er sich für ein Antreten bei der EU-Wahl entschieden. Noch am Wochenende hatte Kern in Interviews erklärt, jedenfalls bei der Wahl 2022 antreten zu wollen.

Mehr oder minder fünf Namen

Jetzt dreht sich das Personalkarussell mit derzeit mehr oder minder fünf Namen: Nationalratspräsidentin Doris Bures, Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner, der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser oder Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil als potenzielle Kandidaten die Runde. Kaiser wies etwaige Ambitionen dabei noch vor Kerns Erklärung von sich – auch Doskozil scheint wenig begeistert. Ebenfalls genannt wird seit Dienstag wieder Gerhard Zeiler.

Auch Parteikollegen überrascht

Dass Kern mit seiner Rücktrittankündigung auch SPÖ-intern für eine Überraschung gesorgt hat, zeigte sich in einer Stellungnahme des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Niessl (SPÖ): Es wäre eine „große Überraschung“, wenn sich Kern zurückzieht, sagte dieser – noch ehe Kern seine Erklärung abgab.

Schließlich habe sich Kern in der Vorwoche von den Gremien als einziger Parteichefkandidat für den Parteitag am 6. Oktober nominieren lassen. Auf die Frage, ob Kern der Richtige als Bundesparteivorsitzender sei, zeigte sich Niessl zurückhaltend – und antwortete nur, dass es „große Zustimmung“ in den Gremien gegeben habe.

SPÖ-Delegationsleiterin Regner begrüßt Wechsel

Die SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament, Evelyn Regner, begrüßt, dass Kern als Spitzenkandidat seiner Partei bei der EU-Wahl antreten will. „Eine tolle Nachricht aus Wien – Christian Kern ist ein großer Europäer und steht für eine moderne Sozialdemokratie. Mit ihm hat die SPÖ einen starken Kandidaten“, sagte Regner. „Unser gemeinsames Ziel ist es, Europa nicht den Konzernen zu überlassen“, sagte Regner. Zum angekündigten Rücktritt Kerns als SPÖ-Parteichef wollte sich Regner nicht äußern.

Analyse von Peter Filzmaier und Robert Misik

Christian Kern will mit der österreichischen Innenpolitik abschließen, kommentiert Peter Filzmaier. Auch Publizist Robert Misik spricht über die Hintergründe der Entscheidung.

Kaiser sagte Kern die „unumwundene Unterstützung“ für die EU-Wahl zu. Kern sei „als SPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl bestens geeignet“, meinte Kaiser in einer Aussendung – und begrüßte, dass Kern der SPÖ mit der Bekanntgabe genug Zeit verschafft habe, um den Wechsel professionell vorzubereiten – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Strache: „Bizarre Überraschung“

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sieht in Kerns Entscheidung einen Rücktritt auf Raten. „Ein EU-Spitzenkandidat Kern ist wahrlich eine bizarre Überraschung“, sagte der FPÖ-Obmann am Dienstag am Rande seines Aserbaidschan-Besuchs. Nach 13 Jahren als FPÖ-Parteichef sieht Strache nun auch seine Wette gegen den „kürzestdienenden Bundeskanzler der Zweiten Republik“ gewonnen: „Nunmehr dürfte Kern auch der kürzestdienende SPÖ-Parteichef gewesen sein, wenn er nach der EU-Wahl – wie heute verlautbart – zurücktritt.“

„War wohl nur eine Frage der Zeit“

Anders der steirische ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer: „Man hat es ihm angesehen, es war wohl nur eine Frage der Zeit“, sagte er am Rande des Landtags in Graz. Es sei offenbar nicht Kerns Rolle gewesen, die Opposition zu führen, aber Kern sei auch unter seinem Wert geschlagen worden. Er habe als damaliger Vorsitzender der Landeshauptleute-Konferenz ein gutes Gesprächsklima mit Kanzler Kern gehabt. Wie es nun weitergeht, sei „schwer zu sagen“, sagte der steirische ÖVP-Obmann. Leichter werde es aber nicht für die Bundesregierung, wenn sich die Opposition besser formiere.

Liste Pilz hofft auf schlagkräftigere Opposition

Liste-Pilz-Klubobmann Bruno Rossmann erhofft sich eine schlagkräftigere Opposition durch den angekündigten Wechsel an der SPÖ-Spitze – gebe es bei der ÖVP/FPÖ-Regierung doch genug zu tun. Die SPÖ habe sich unter Kern als Opposition nicht schlagkräftig genug entwickelt, merkte Rossmann an. Er lobte aber, dass Kern standhaft die Koalition mit der FPÖ verweigert habe.

Sein Bedauern über den angekündigten Abgang des SPÖ-Chefs drückte Grünen-Chef Werner Kogler Dienstag in einer Aussendung aus. „Österreich kommt ein aufrichtiger Politiker mit kompetentem Auftreten abhanden“, zollte er Kern „großen Respekt“. Dass er zurücktreten wolle, verheiße nichts Gutes, Kogler befürchtet einen Rechtsruck der SPÖ.

Grafik zeigt die Parteivorsitzenden der SPÖ seit 1945
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA; Quelle: APA

„Frau an der Spitze plausibel und notwendig“

Kern hatte am 3. September im ORF-„Sommergespräch“ gesagt, dass er sich „keine Sorgen“ um seinen Posten als Bundesparteiobmann mache. „Die Führungsfrage in der SPÖ ist sonnenklar.“ Er werde sich auch der Wiederwahl zum Bundesparteiobmann stellen, aber: „Eine Frau an der Spitze der SPÖ halte ich für plausibel und notwendig“, so Kern.

Angetreten war Kern als der Mann, der die heimische Sozialdemokratie aus der Krise führen sollte. Im Mai 2015 übernahm der ehemalige ÖBB-Vorstandsvorsitzende die Spitze der Partei und zog als Nachfolger von Werner Faymann ins Bundeskanzleramt ein. Die Motivation war groß: Der Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs aus Wien-Simmering vermittelte Kompetenz in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.