Belvedere 21: Den Anfang macht hier ein Absperrbandparkours „mit minimalistischen Anklängen“, eine Arbeit von Eva Grubinger, die schon einmal den Weg in die Reglementierung vorgibt: Besucherinnen und Besucher müssen sich – wie auf einem Flughafen – in einer Schlange durch einen Gang bewegen, ehe sie vor dem wohl plakativsten Objekt der Ausstellung landen. In großen Leuchtbuchstaben steht hier „Liberty“ geschrieben. Die Skulptur von Sejla Kameric ist an der Oberseite mit durchsichtigen Stacheln besetzt, wie man sie aus der Taubenabwehr kennt. Die unmissverständliche Botschaft: Das Licht der Freiheit – nicht mehr als ein schöner Schein.
Die Idee zur Ausstellung sei sehr kurzfristig, erst letzten November geboren worden, erzählt der Kurator Severin Dünser im Gespräch mit ORF.at – als Reaktion auf den „wachsenden Wunsch nach Reglementierung und Kontrolle“. Die Globalisierung, so die nicht ganz neue Diagnose im Katalogtext, habe dazu geführt, dass sich die Welt „in schwindelerregendem Tempo“ verändert. Die Folge seien Verunsicherung und der Ruf nach harten Regeln, die „ein gefährliches Gemisch für die Zukunft“ ergeben.
Die Freiheit, wie ein Neonazi auszusehen
„Angst ist Macht. Habe Angst!“, so tönt es auch aus dem Video „Church of Fear“ von Christoph Schlingensief, der in dieser ironischen Aktion von 2003 die Angst zum politisch verwertbaren Glaubensbekenntnis erkoren hatte. Ein Horrorkabinett der gegenwärtigen Angst- und Reglementierungspolitik ist „Wert der Freiheit“ aber nicht. Denn anstelle einer verdichteten Themenausstellung nähert man sich dem „komplexen Thema“ laut Pressetext auf „psychologischer, sozialer, kultureller, religiöser, politischer und rechtlicher Ebene“ – was nicht nur nach viel klingt, sondern es auch ist.
Demokratiepolitik, Nutzung des öffentlichen Raums, Fragen von Zensur, Überwachung und Kontrolle, fehlende Reglementierung der Wirtschaft, ein Entgrenzung fordernder Arbeitsmarkt und gegenwärtige Identitätspolitiken: Hier geht es tatsächlich um (fast) alles – und, weil die Frage nach Freiheit so grundlegend ist, halt immer irgendwo auch um sie. Wobei man bei manchen Arbeiten etwas länger nach Bezügen suchen muss, wie etwa bei einem Video von Hiwa K, der versucht, Demonstranten bei der Berliner 1.-Mai-Demo zur Kahlrasur zu bewegen und diese neu zu konnotieren: Die Freiheit, wie ein Neonazi auszusehen?
Klares Display, überbordende Ausstellung
Das Themenfeld der Ausstellung liest sich jedenfalls wie eine Liste der politisch drängenden Fragen der Gegenwart: „Als die meisten von uns Sandinisten waren“ heißt ein berührendes Video der Mexikanerin Teresa Margolles. Fünf Kunsthandwerkerinnen aus Nicaragua sprechen da über die Spirale der Gewalt gegen Frauen, während sie gemeinsam ein großes Tuch besticken – nicht irgendein Tuch, sondern ein mit Blutflecken überzogenes Totenlaken, das eine Ermordete abdeckte.
Weniger dramatisch, aber ebenso feministisch-kämpferisch gibt sich das Performance-Dokument von Anna Witt. Die österreichische Künstlerin ließ auf der Berlin Biennale 2010 weibliche und männliche Ausstellungsbesucher im Verhältnis der eingeladenen Künstler und Künstlerinnen in den Raum. Die Frauen mussten warten – weil „Geschlechtergerechtigkeit“ gegenwärtig halt so aussieht.
Der Virtual-Reality-Künstler John Gerrard zeigt eine Kamerarundfahrt um ein Datenverarbeitungszentrum des Google-Konzerns, errechnet aus geheim aufgenommenen Fotos. Das Kollektiv Superflex lädt spielerisch zur Unterzeichnung eines Korruptionsvertrags ein, Harun Farockis „Ein neues Produkt“ zeigt die Effizienz- und Produktivitätsoptimierung der neuen Arbeitswelt, Ashley Hans Scheirl präsentiert ein Selbstporträt mit Strapsen und Pinsel-Dildo. Und – ziemlich witzig – Lars Laumann zeigt ein Video über zwei objektsexuelle Frauen, die sich in die Berliner Mauer verlieben.
„Der Wert der Freiheit“ versammelt also im Einzelnen oft sehr spannende Arbeiten von 50 Künstlerinnen und Künstlern (darunter auch Kara Walker, Carola Dertnig und Oliver Ressler). Die räumlich nicht abgegrenzte Breite strengt aber doch ein wenig an, und man wünscht sich fast, dass man sich in puncto kuratorischer Klarheit auch am Ausstellungsdisplay orientiert hätte – einer Gitterarchitektur in Schwarz-Weiß.
Die Außenposten des Nationalen
Im Vergleich dazu ist die Schau im Wiener Volkskundemuseum erfrischend zugespitzt: Ein bereits gut eingespieltes Team von geflüchteten Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak (Yarden Daher, Negin Rezaie, Ramin Siawash, Sama Yasseen, Reza Zobeidi) und den Kuratoren Alexander Martos und Niko Wahl hat dort die – seit 1994 bestehende – Dauerausstellung umgekrempelt und um die jüngere europäische Migrationsgeschichte ergänzt.
Ausstellungshinweise
„Der Wert der Freiheit“. 19.9.2018 bis 10.2.2019, Belvedere 21, donnerstags, samstags und sonntags 11.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs und freitags 11.00 bis 21.00 Uhr.
„Die Küsten Österreichs“, Volkskundemuseum Wien, 19.9.2018 bis 31.12.2019, dienstags bis sonntags 10.00 bis 17.00 Uhr, donnerstags 10.00 bis 20.00 Uhr.
„Die Küsten Österreichs“ heißt das ambitionierte Projekt – ein Titel, der sich durch die Umgestaltung eines der Herzstücke der Sammlung, einer Tiroler Bauernstube, erklärt: Durch die Fenster der im Ganzen erhaltenen, 300 Jahre alten Innenarchitektur sieht man jetzt ein Boot der Hilfsorganisation SeaWatch schippern: Eine Videoinstallation, die den bisher nach innen gekehrten Blick auf das „Eigene“ symbolisch in Richtung der Ausgegrenzten öffnet.
Diese Projektion ist die größte Intervention des Teams. In den anderen Ausstellungsräumen sind es Texte und insgesamt 40 „genuin wertlose“ Objekte, die mit scheinbar geringem Aufwand der vormals eher verstaubten Ausstellung eine neue Schwingung verpassen. Zusammengetragen aus der türkischen und der griechischen Ägäis, einem Caritas-Notquartier und ergänzt durch eine Reihe an Schenkungen erweitern sie den Blick auf die österreichische bzw. habsburgische Alltagskultur, indem sie von gegenwärtiger Flucht, Alltag und Lebensrealitäten erzählen – und von Mitmenschlichkeit und dem Fehlen davon.
Die Sammlung „ins Heute zurückbringen“
Neben dem bäuerlichen Handwerk, sozusagen der bäuerlichen Do-it-yourself-Kultur von anno dazumal, liegt jetzt die überlebensnotwendige „DIY-Kultur“ der Flucht: selbst reparierte Schuhe oder eine aus Klebestreifen gebastelte wasserdichte Dokumentenhülle. Im Kapitel „Transport“ stehen zerschnittene Schlauchboote nicht nur für das Überleben („Was für uns der reinste Horror war, könnte unter ganz anderen Umständen lustig sein“), sondern auch für die Angst, abgeschoben zu werden.
Die Zeitmessgeräte des 19. Jahrhunderts sind um eine kaputte Uhr ergänzt, aufgehoben vom syrischen Architekten Jarden Daher: ein Erinnerungsstück an seinen Bruder. Dass sie bereits bei seinem Aufbruch nicht funktionierte, sei ihm egal gewesen, erzählt der Fellow aus dem Ausstellungsteam. Für ihn misst sie die Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit.
Daher sieht in dem Projekt vor allem eine Überführung des Volkskundemuseums in die Gegenwart: „Die Schausammlung hatte ja ursprünglich irgendwann geendet. Wir bringen sie ins Heute zurück.“ Das zuzulassen sei eine „sehr starke Geste des Hauses“ gewesen, betont Alexander Martos. Ethnografische Museen seien schließlich Orte, die oft ihre Weltgewandtheit behaupten, während sie ihre Narrative scharf bewachen. Hier hat man Neues gewagt – und viel gewonnen.