Christian Kern (SPÖ)
Reuters/Lisi Niesner
Kern-Nachfolge in SPÖ

Eine Absage nach der anderen

Nach dem überraschend angekündigten Rückzug Christian Kerns als SPÖ-Chef beraten die Parteigremien am Mittwoch über die Nachfolge. Eine aussichtsreiche Kandidatin hat in der Früh bereits abgesagt: die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Auch vom burgenländischen Neo-SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil kam eine Absage.

Bures verwies Mittwochfrüh vor Beginn des BVT-Untersuchungsausschusses darauf, „dass ich Christian Kern bereits gestern gesagt habe, dass ich für die Funktion der Parteivorsitzenden nicht zur Verfügung stehe“. Sie wolle sich auf ihre Rolle im Parlament konzentrieren. Bures sagte, dass sie natürlich mithelfen werde, eine gute Lösung für die Zukunft der Sozialdemokratie zu finden, aber: „Ich habe in den letzten Jahren die Aufgabe im Parlament mit großem Einsatz, großer Freude und großem Engagement ausgeübt und ich werde das auch in Zukunft tun.“ Bures werden zudem Ambitionen auf die nächste Präsidentschaftskandidatur der SPÖ nachgesagt.

Auch Doskozil stellte Mittwochfrüh klar, dass er nicht SPÖ-Bundeschef werden will – mehr dazu in burgenland.ORF.at. Nachdem bereits Kärntens SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser am Vorabend verneint hatte und sein Nein am Mittwoch noch einmal unterstrich, bleiben immer weniger Kandidatinnen und Kandidaten über. Die Gruppe der in den Medien genannten möglichen Personen ist mittlerweile auf Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner und Medienmanager und Ex-ORF-General Gerhard Zeiler geschrumpft.

Erstmals Frau an Parteispitze?

Freilich gab es am Mittwoch auch Stimmen, die die Absagen der Favoriten nicht ganz ernst nahmen. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig etwa meinte, er gehe davon aus, dass jene Person, die als geeignetste für das Amt befunden werde, auch zur Verfügung stehe – mehr dazu in wien.ORF.at. Auch Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl hielt die jetzigen Absagen noch nicht für endgültig.

Auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten festlegen wollte sich vor der Sitzung der Parteigremien niemand. Die meisten Präsidiumsmitglieder wollten in der Personalfrage gar nichts sagen. Nicht einmal Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek wollte sich auf eine Frau festlegen. Sie hielt aber fest, dass die Zeit auf allen Ebenen längst reif für eine Frau sei, das gelte auch in der SPÖ.

Der Abgang des Christian Kern

Die Gerüchte haben sich schon länger verdichtet – jetzt ist es fix, inklusive einer Überraschung: SPÖ-Chef Christian Kern hat seinen Rücktritt von der SPÖ-Spitze angekündigt und will nach Brüssel.

Rendi-Wagner hat parteiintern keine Hausmacht. Zeiler war bereits 2016 im Gespräch, die Partei zog ihm aber Kern vor. Unklar ist bei Rendi-Wagner wie Zeiler, ob sie an der Rolle des SPÖ-Oppositionschefs Interesse haben. Die ehemalige Gesundheitsministerin gab sich Mittwochfrüh bedeckt. Vor dem SPÖ-Präsidium meinte sie auf Fragen, ob sie für den Vorsitz zur Verfügung stehe, bloß, alle weiteren Schritte würden nun intern besprochen. Sollte Rendi-Wagner die Position übernehmen, wäre sie die erste Frau in dieser Funktion.

„Kommunikationstotalausfall“

Deutlich wurde am Mittwoch erneut, wie sehr Kern mit seiner Entscheidung wohl die eigene Partei überrumpelt hatte. Die Ereignisse seien „gelinde gesagt unkoordiniert“ gewesen, meinte Kaiser. Gegenüber dem ORF Kärtnen sprach der Kärntner Landeshauptmann von einem „Kommunikationstotalausfall“ – mehr dazu in kaernten.ORF.at. Der Zeitpunkt der Ankündigung sei „etwas überraschend“, sagte Niederösterreichs SPÖ-Chef Schnabl. Die Parteivorsitzende der Tiroler SPÖ, Elisabeth Blanik, sagte gegenüber dem ORF Tirol, sie sei nach der Ankündigung Kerns „ein bisschen schockiert gewesen“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl forderte „rasche und klare Entscheidungen“. „Die Sozialdemokratie muss innerhalb relativ kurzer Zeit entscheiden, wer der neue oder die neue Vorsitzende ist“, so Niessl. Noch am Dienstagnachmittag hatte Niessl gemeint, es wäre eine „große Überraschung“, wenn sich Kern zurückziehe.

Vom Rücktritt zur Kandidatur

Nachdem über mehrere Medien Dienstagnachmittag zunächst der Eindruck entstanden war, Kern stehe vor dem Rücktritt und dem Rückzug aus der Politik, stellte dieser bei einem kurzen Medienauftritt am Abend schließlich klar: Er wolle bei der EU-Wahl im Mai nächsten Jahres als Spitzenkandidat antreten und spätestens dann die SPÖ-Führungsposition niederlegen.

Unklar ist freilich, ob er für die SPÖ als Kandidat ins Rennen geht oder für die gesamte sozialdemokratFraktion im EU-Parlament. Klärendes dazu könnte ein Treffen von sozialdemokratischen Parteichefs vor dem informellen EU-Ratsgipfel am Mittwoch in Salzburg bringen. Dort will sich Kern als Kandidat für die europäische Spitzenkandidatur präsentieren.

Analyse von Peter Filzmaier und Robert Misik

Christian Kern will mit der österreichischen Innenpolitik abschließen, kommentiert Peter Filzmaier. Auch Publizist Robert Misik spricht über die Hintergründe der Entscheidung.

Parteitag verschoben

Die parteiinterne Nachfolgeregelung soll jedenfalls noch heuer geklärt werden – am Mittwoch tagen das Präsidium und dann der Parteivorstand. An einem Parteitag, vermutlich Ende November, soll der oder die neue Vorsitzende dann offiziell gewählt werden. Bei dieser Veranstaltung soll auch die Kandidatenliste der Sozialdemokraten für die Europawahl festgelegt werden. Der für Anfang Oktober geplante Parteitag in Wels, an dem auch das Parteiprogramm beschlossen werden sollte, wird abgesagt.

„Europäisches Erbe bewahren“

Kern hatte Dienstagabend bei seinem Statement seine Motive für den geplanten Gang nach Brüssel geschildert: Es würden derzeit „Menschen agieren, die die Abrissbirne gegen Europa einsetzen“, so Kern. Für die Sozialdemokratie sei es „die wichtigste Herausforderung, dass dieses europäische Erbe bewahrt“ werde. Seine „persönliche Überlegung um das Europathema“ habe sich „schon längere Zeit sortiert“. Deswegen habe er sich für ein Antreten bei der EU-Wahl entschieden. Noch am Wochenende hatte Kern in Interviews erklärt, jedenfalls bei der Wahl 2022 antreten zu wollen.

Die SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament, Evelyn Regner, begrüßte, dass Kern als Spitzenkandidat seiner Partei bei der EU-Wahl antreten will. „Eine tolle Nachricht aus Wien – Christian Kern ist ein großer Europäer und steht für eine moderne Sozialdemokratie. Mit ihm hat die SPÖ einen starken Kandidaten“, sagte Regner. „Unser gemeinsames Ziel ist es, Europa nicht den Konzernen zu überlassen“, sagte Regner. Zum angekündigten Rücktritt Kerns als SPÖ-Parteichef wollte sich Regner nicht äußern.

Kern tritt als Spitzenkandidat bei EU-Wahl an

SPÖ-Chef Christian Kern kandidiert bei der EU-Wahl im Mai 2019 als Spitzenkandidat und zieht sich als Parteichef zurück. Das gab er am Dienstagabend in einem kurzen Statement bekannt.

Kurz: „Rücktritt ist zu akzeptieren“

Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz sagte am Mittwoch, Kerns „Rücktritt ist zu akzeptieren“. Gefragt, ob er Kerns Ambitionen auf ein höheres EU-Amt unterstützen würde, sagte Kurz, dass sich diese Frage nicht stelle. Die Wahl zum Europaparlament und die Entscheidung, wer Österreichs EU-Kommissar werde, seien auseinanderzuhalten. Der Kommissionspräsident werde von der stärksten Fraktion gestellt, und er gehe nicht davon aus, dass es sich dabei um die Sozialdemokraten handeln werde, so Kurz.

Grafik zeigt die Parteivorsitzenden der SPÖ seit 1945
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA; Quelle: APA

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sah in Kerns Entscheidung einen Rücktritt auf Raten. „Ein EU-Spitzenkandidat Kern ist wahrlich eine bizarre Überraschung“, sagte der FPÖ-Obmann am Dienstag am Rande seines Aserbaidschan-Besuchs. Nach 13 Jahren als FPÖ-Parteichef sah Strache nun auch seine Wette gegen den „kürzestdienenden Bundeskanzler der Zweiten Republik“ gewonnen: „Nunmehr dürfte Kern auch der kürzestdienende SPÖ-Parteichef gewesen sein, wenn er nach der EU-Wahl – wie heute verlautbart – zurücktritt.“

Liste Pilz hofft auf schlagkräftigere Opposition

Liste-Pilz-Klubobmann Bruno Rossmann erhofft sich eine schlagkräftigere Opposition durch den angekündigten Wechsel an der SPÖ-Spitze – gebe es bei der ÖVP/FPÖ-Regierung doch genug zu tun. Die SPÖ habe sich unter Kern als Opposition nicht schlagkräftig genug entwickelt, merkte Rossmann an. Er lobte aber, dass Kern standhaft die Koalition mit der FPÖ verweigert habe.

Sein Bedauern über den angekündigten Abgang des SPÖ-Chefs drückte Grünen-Chef Werner Kogler Dienstag in einer Aussendung aus. „Österreich kommt ein aufrichtiger Politiker mit kompetentem Auftreten abhanden“, zollte er Kern „großen Respekt“. Dass er zurücktreten wolle, verheiße nichts Gutes, Kogler befürchtet einen Rechtsruck der SPÖ.