Der steirische herbst ist wie eh und je voll von kleinen Überraschungen und unerwarteten Gesprächen, es plätschert dahin, anregend, und ist eine Art ideologische Rückenstärkung und Frischzellenkur für kritische Geister. Und dann, zwischendurch, einzelne Paukenschläge – wie am Freitag das Konzert von Laibach und am Samstag die Rede von Flor.
Flor ist Romanautorin und eine streitbare Intellektuelle, die komplexe Zusammenhänge auf den Punkt bringt. Für den steirischen herbst wurde sie gleich zweifach engagiert. Einmal zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Conchita vs. Gabalier“, einmal als Eröffnungsrednerin der Ausstellung „Guerilla der Aufklärung“ im rotor. Dort wusste man selbstredend, dass sie nicht lange um den heißen Brei herumreden würde. Und so war es dann auch: Flor zog über die Neue Rechte vom Leder, von Russland über Ungarn bis Österreich.
„Ein höchst kindischer Freiheitsbegriff“
ORF.at hat bei ihr nachgefragt: Ist es nicht so, dass die Rechten zwar restriktive Gesetze erlassen, auf der anderen Seite aber durch Tabubrüche den politischen Diskurs befreit haben? Tabubrüche quasi als Fundament eines neuen Freiheitsbegriffs? „Ein höchst kindischer Freiheitsbegriff – die politische Unkorrektheit ist längst der Mainstream, eine wohlfeile unkorrekte Selbstgerechtigkeit macht es sich augenzwinkernd in ihrem Krähwinkel gemütlich.“ Dagegen müsse man ankämpfen – aber unaufgeregt.

Zu verteidigen gelte es, so Flor sinngemäß, eine empathische Grundhaltung und, ganz konkret, die Meinungs- und Pressefreiheit. Doch strategische, systematische Verstöße gegen die politische Korrektheit aus politischem Kalkül gibt es in Österreich nicht erst seit gestern. Und zum Provozieren gehört immer auch jemand, der sich provozieren lässt. Jahr für Jahr prangern Künstlerinnen und Künstler in ihren Reden bei der Diagonale und Viennale, beim steirischen herbst und überall sonst, wo man ihnen ein Mikro hinhält, Sozialabbau und rassistische Politik an.
Die unheilige Allianz
Man könnte argumentieren, dass es diese Daueraufgeregtheit all jenen leichter macht, die unter dem Deckmantel pseudoprotektionistischer, nationalistischer Politik eine beinharte neoliberale Gesetzgebung durchdrücken, weil der Schaukampf zwischen links und rechts, willfährig vom Boulevard als Mutter aller Schlachten inszeniert, ihre Wählerschaft mobilisiert. Flor widerspricht vehement: „In Zeiten der Verrohung muss man auf zivilisatorische Mindeststandards wie die der Einhaltung der Menschenrechte pochen. Und der Diskurs in Österreich ist eben auch in den letzten Jahrzehnten deutlich unkritischer verlaufen als etwa in Deutschland, wo bestimmte Positionen immer noch nicht als regierungsfähig gelten.“
Der steirische herbst wandert durch Graz
Die 51. Ausgabe des Kunstfestivals steirischer herbst trägt den Titel „Volksfronten“ und ist in ganz Graz präsent. Intendantin Ekatarina Degot im Kurzinterview.
Den unheiligen Kreislauf, die Allianz von Kapital und Ressentiment, den großen Zusammenhang, erklärt Flor, hier verkürzt wiedergegeben, so: Wir konsumieren immer mehr und billiger auf Kosten der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern, weshalb diese nach Europa kommen, was wiederum die Angstpropaganda der Rechten befeuert.
So konnte dank des Sozialabbaus dort auch der Sozialabbau hier vorangetrieben werden: „Ich denke, dass die bewusste Ausdünnung und Zerstörung der Errungenschaften des Sozialstaates zugunsten eines Deregulierungs- und Privatisierungsnarrativs das Gefühl für die Wertigkeit einer gesellschaftlichen Infrastruktur und einer sozial- und umweltbewussten Politik verloren gehen ließ.“
„Uns selbst zwingen, hinzusehen“
Die Verrohung könne man nur ganz grundlegend bekämpfen: „Indem wir uns selbst zwingen, hinzusehen, nach humanitär vertretbaren Lösungen suchen und immer wieder eine menschlichere Politik einfordern.“ Hier kommen die Künstlerinnen und Künstler, die Kuratorinnen und Kuratoren ins Spiel: „Festivals wie der steirische herbst geben dafür äußerst wichtige Impulse.“ So jemand, der zwingt, hinzusehen, ist die Klagenfurter Künstlerin Ines Doujak.
Buchhinweise
- Olga Flor: Klartraum. Jung und Jung, 288 Seiten, 23 Euro.
- Olga Flor: Politik der Emotion. Residenz, 96 Seiten, 18 Euro.
Sie hat neben jedem ihrer Bilder im Grazer Minoritenkloster Zettelchen mit statistischen Zahlen aufgehängt. Zum Beispiel: „Mindestens 27.000 Migrant*innen sind seit 1993 auf ihrem Weg nach Europa ertrunken.“ An anderer Stelle listet sie die Milliarden Euro auf, die momentan weltweit für Grenzzäune ausgegeben werden. Ihre surrealistischen Gemälde zeigen Kinder mit Hautkrankheiten aus medizinischen Büchern des 19. Jahrhunderts, wie Ikonen drapiert. Das ist bedrückend und effektvoll und durchaus subtil.

Laibach mit dem Holzhammer
Gar nicht subtil, aber mit Pauken und Granaten ging die slowenische Band Laibach vor. Ihre Inszenierung des Musicals „The Sound of Music“, vorgetragen mit donnerndem Bass, untermalt von Visuals, die urösterreichische und nordkoreanische Heimatikonografie in knallbunten Farben aufeinanderprallen lassen, lässt keine Fragen offen, aber die Band beantwortet sie trotzdem, in Form eines gelesenen Textes, der die österreichische Regierung unverhohlen des Neonazismus bezichtigt. Ein farbenfroher Polittrip: Holzhammer statt LSD.

Vom Felsen am Schlossberg hängen auf roten Flaggen jene Buchstaben, die das Wort „Revolution“ bilden (Performance „Putsch“ von Roman Osminkin). Und Kuratorin Ekatarina Degot spricht vom „Vorherbst“, in Erinnerung an den revolutionären Vormärz. Eine kleine Revolution brachte auch das erste Jahr ihrer Intendanz. Statt der früher überbordenden Hauptausstellung werden heuer auf ganz Graz verteilt gigantische, komplexe Installationen gezeigt, die vom steirischen herbst eigens in Auftrag gegeben wurden. Konzentration statt Masse. Das Konzept geht auf.
Passenderweise im Kommunistenfestsaal des von der legendären „Arbeiterarchitektin“ Margarete Schütte-Lihotzky erbauten Volkshauses haben Igor und Ivan Buharov ihren Mediendschungel „Stimmen des unsterblichen Absichtsfeldes“ aufgebaut. Bunte Pflanzenpracht, dunkles Schwarz rundherum, wabernde Sounds, Screens, Bilder, alte Telefone, aus einem Radio ertönt Applaus für die Rede von Diktatoren. Man will die Natur anrufen, doch stattdessen melden sich Faschisten am Telefon: Die assoziationsreiche Installation ist gleichzeitig ästhetisch wunderschön und inhaltlich zutiefst beunruhigend.
Der Schnee von gestern und vorgestern
Gleich die ganze Helmut-List-Halle füllt Irina Korinas „Schnee von gestern“. Heiße Luft füllt ihre Installation, und zwar im Wortsinn: aufgeblasener Schnee, aber nicht der feine Alpinschnee, auf den die Skination so stolz ist, sondern dreckiger Straßenschnee. Sich aufplusternde Birken, die in der Hymne besungenen Flüsse, so blau. Und Flankiert wird das ganze von den Worten „gestern“ (gestern war alles so schön) und „vorgestern“ (vor der allzu weiten Vergangenheit fürchten wir uns).
TV-Hinweis
„KulturMontag“ berichtet um 22.30 Uhr in ORF2 ebenfalls über den steirischen herbst.
Und schließlich Enrike Naumanns „Anschluss ’90“ im Haus der Architektur. Sie zeigt hässliche 80er- und 90er-Jahre-Möbeln vom Billigdiskonter, gekauft auf einer Secondhandplattform in Graz. In der postideologischen Zeit haben sich die DDR, die BRD und Österreich zu einem Großreich des schlechten Geschmacks zusammengeschlossen. Auf den sagenhaft schrecklichen Regalen sind Bücher drapiert, und einen Ehrenplatz hat Jörg Haider mit seinem Entwurf einer „österreichischen Philosophie“ – siehe das Bild ganz oben. Dem verstorbenen Kärntner Landeshauptmann und FPÖ-Chef ging es auch um Freiheit, wie Olga Flor. Aber um eine andere.