SPÖ-Bundesparteichef Christian Kern
APA/Roland Schlager
EU-Spitzenkandidatur

Kern sieht „holprigen“ Prozess

Die Vorgänge rund um die Rücktrittankündigung von SPÖ-Chef Christian Kern haben nicht nur landesweit zu Irritationen geführt, sondern auch zu heftiger Kritik an ihm und der SPÖ. Kern selbst bezeichnete den Prozess rund um die Ankündigung seiner EU-Spitzenkandidatur als „holprig“.

Denn im Gegensatz zur Kandidatur drangen bereits Stunden vor seinem kurzen Medienauftritt am Dienstagabend Informationen über einen möglichen Rücktritt von der SPÖ-Spitze an die Öffentlichkeit.

Wer genau die Information verbreitete, dass Kern seinen Rücktritt plane, blieb auch am Mittwoch Gegenstand von Spekulationen. Die Rede war zum einen von Personen im Umfeld der Wiener Landespartei. Zum anderen stand im Raum, dass das Leak seinen Ursprung in der burgenländischen Landesorganisation hatte, wie „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak andeutete.

„Persönlichkeiten in eigenen Reihen anpatzen“

Der Salzburger Landeschef Walter Steidl sprach von Indiskretion in den eigenen Reihen. Gegner Kerns in der SPÖ hätten bösartige Gerüchte gestreut: „Es gibt halt einige in unserer Partei, die durch Bösartigkeit immer wieder versuchen, Persönlichkeiten in den eigenen Reihen zu diskreditieren oder anzupatzen“ – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Auch Tirols SPÖ-Landeschefin Elisabeth Blanik ärgerte sich darüber, dass es „einzelne mit einem besonderen Mitteilungsbedürfnis“ gebe. Ein solches Verhalten sei „unsinnig und schädigend“. Der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer stellte am Mittwoch in seiner ersten Stellungnahme nach den Ereignissen vom Dienstag fest: „So ein Tag wie gestern darf nicht noch einmal passieren.“

Kern reagiert auf Vranitzky-Kritik

Heftige Kritik am Vorgehen Kerns kam am Mittwoch auch von einem seiner Vorgänger. „So kann man sich nicht verhalten, so kann man nicht abtreten“, sagte Altkanzler und Ex-SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky in der „Tiroler Tageszeitung“. Zwar müsse man persönliche Entscheidungen respektieren, „aber man muss wissen, dass solche Entscheidungen immer ursächliche Auswirkungen auf die Gesamtsituation der Partei haben“. Zu den Vorgängen in seiner Partei insgesamt meinte der Altkanzler: „Mich erfasst ein großes Entsetzen.“

Auf die Kritik Vranitzkys reagierte Kern zurückhaltend. Er habe mit Vranitzky am Telefon gesprochen. „Er hat nicht jedes Detail des Prozesses gekannt, er kann jetzt vielleicht das eine oder andere besser einordnen.“ Kern übte auch Kritik am Umstand, dass ein Teil seiner Pläne durch Indiskretion von internen Quellen nach außen getragen worden war und zu einem chaotischen Bild in der Partei geführt hatte. Der Prozess sei „nicht nur in meinem Einflussbereich etwas holprig gelaufen“, sagte der SPÖ-Chef.

Lercher entschuldigt sich bei Wählern

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher entschuldigte sich am Mittwoch in der ZIB2 bei den Wählern und Wählerinnen, die über die Vorgangsweise rund um Christian Kerns Wechsel nach Brüssel „irritiert“ waren. Diese sei „holprig“, aber „nicht so geplant“ gewesen. Kern habe sich vorzeitig erklären müssen, weil Medien Meldungen unreflektiert übernommen hätten. Lercher räumte aber ein: „Wo Menschen wirken, passieren auch Fehler, auch den besten.“

Lercher: „Kein Ruhmesblatt für die Sozialdemokratie“

Max Lercher, Bundesgeschäftsführer der SPÖ, bezeichnet die Situation rund um den angekündigten Rücktritt von Christian Kern als „kein Ruhmesblatt für die Sozialdemokratie“.

„So etwas darf nicht mehr passieren“, stellte der Bundesgeschäftsführer fest – und unterstrich mehrfach, dass die SPÖ nichtsdestoweniger „sehr froh“ sei, mit Kern den „besten Kandidaten“ für die EU-Wahl zu haben. Er habe „selbstverständlich“ von Kerns Entscheidung gewusst. Diese sei auch schon „länger in ihm gereift“. Dass sie dann „mit einem Knalleffekt nach außen gegangen ist“, sei so nicht geplant gewesen.

„Es gibt andere Kandidaten auch“

Der Plan, dass Kern auf die EU-Ebene wechselt, hätte in Wien eigentlich erst gemeinsam besprochen werden sollen, so Steidl. Nun müsse man aber „das Beste daraus machen“. Kern bestätigte am Mittwoch, dass er von der SPÖ beauftragt worden sei, als Spitzenkandidat in die EU-Wahl zu ziehen. Die EU stehe sowohl vor inneren als auch äußeren Herausforderungen. Sein Ziel sei es, die Sozialdemokraten wieder zu stärken, so Kern. Als Ziel gab er Platz eins in Österreich und zumindest Platz zwei für die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) auf EU-Ebene aus.

Antritt als EU-Spitzenkandidat

SPÖ-Chef Kern erklärte in Salzburg, bei der EU-Wahl nicht nur als SPÖ-Spitzenkandidat, sondern als gesamteuropäischer Spitzenkandidat der EU-Sozialdemokraten ins Rennen gehen zu wollen.

In der EU-Fraktion bewirbt sich Kern ebenfalls um die Spitzenkandidatur, wie er Mittwochnachmittag auch bei einem Treffen der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) in Salzburg bekanntgab. „Sie verstehen mich richtig, dass ich dafür zur Verfügung stehe, aber es gibt andere Kandidaten auch“, sagte Kern zur europaweiten Spitzenkandidatur. Über Details wollte Kern freilich nicht reden.

SPÖ soll bei Europawahl „Nummer eins“ werden

„Das Wichtigste für mich ist, dass die SPÖ bei dieser Europawahl Nummer eins wird. Das ist das, was wir anstreben, und ich bin davon überzeugt, dass uns das auch gelingen kann. Die zweitwichtigste Perspektive ist, dass wir im Europaparlament zumindest zweitgrößte Fraktion bleiben, was ohnehin schwierig genug ist. Wenn das gelingt, ist die Frage, wer dann in der Folge welche Aufgaben übernimmt. Haben wir keinen Wahlerfolg, können wir uns das sowieso alles abschminken“, sagte Kern nach dem Treffen der Europäischen Sozialdemokraten.

Kern erwartet bei der EU-Wahl eine harte „Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten“. Für die SPÖ handle es sich zudem um die „erste wichtige Auseinandersetzung mit der Regierung auf Bundesebene“. Deshalb werde man in die Wahlauseinandersetzung „mit voller Konsequenz reingehen“, so Kern. Die Entscheidung über den europaweiten S&D-Spitzenkandidaten steht laut Kern erst am Anfang. In Salzburg habe man dazu eine „sehr, sehr positive Diskussion“ über Auswahlprozess und Optionen geführt, berichtete der Noch-Parteichef.

Abseits der eigenen Parteifamilie soll Kern dem Vernehmen nach auch das Wohlwollen von Frankreichs liberalem und ehemals sozialdemokratischem Staatspräsidenten Emmanuel Macron haben. Dieser hat sich mit seiner Bewegung bisher keiner EU-Parteienfamilie angeschlossen, ist aber mit den Liberalen in Gesprächen über eine Kooperation.

Schwierige Suche nach Nachfolger

Zur schwierigen Lage der SPÖ meinte Kern, dass er in den nächsten Tagen ein Profil seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin erarbeiten werde, dann werde man dem Parteipräsidium Vorschläge vorlegen und gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Der Pool, aus dem Kern schöpfen kann, schrumpfte bereits zusammen.

SPÖ-Chef-Nachfolger gesucht

Sowohl Peter Kaiser als auch Doris Bures und Hans Peter Doskozil lehnten eine Nachfolge Kerns bereits ab.

Nachdem schon am Dienstag der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser abgewunken hatte, erteilten am Mittwoch auch die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und der burgenländische Neo-SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil Spekulationen über ihre Person eine Absage. Noch nicht in die Karten schauen lassen wollte sich Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner.

„Es gibt immer Trennungsschmerz“

Auf die Frage, ob er einen Scherbenhaufen hinterlassen habe und wie sehr die Partei mit seinem angekündigten Rückzug als Vorsitzender hadere, erklärte Kern: „Es gibt immer Trennungsschmerz, aber man sollte sich selbst nicht überbewerten. Es gibt viele Leute, die einen Beitrag geleistet haben. Das wird auch in Zukunft so sein. Jeder hat seine Stärken, jeder hat seinen Platz. Ich bin der Meinung, dass das Geschäft der Opposition, diese Arbeit der Zuspitzung, etwas ist, was andere mindestens so gut können. Ich konzentriere mich auf das, wovon ich was versteh und was ich mit Freude in den nächsten Jahren betreiben möchte.“