Regierungschefs der EU anlässlich eines informellen Abendessens der Staats- und Regierungschefs im Rahmen eines Informellen Gipfels der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch
APA/Georg Hochmuth
Salzburg-Gipfel

Zähe Suche nach Kompromissen

Wolkenloser Himmel und feierliches Ambiente in der Felsenreitschule: Beim Auftakt des zweitägigen Gipfeltreffen hat sich Salzburg am Mittwoch von seiner besten Seite gezeigt. Die Gewitterwolken über den beiden großen Gipfelthemen konnten damit aber kaum bewegt werden. Sowohl bei der Migration als auch beim „Brexit“: Die Suche nach Kompromissen erweist sich auch in Salzburg weiterhin als zäh.

Geht es nach EU-Ratspräsident Donald Tusk habe es bei den bisherigen „Brexit“-Verhandlungen auf britischer Seite, etwa bei der Bereitschaft, nach dem EU-Austritt „eng im Bereich von Sicherheit und Außenpolitik“ zusammenzuarbeiten, durchaus positive Entwicklungen gegeben. In anderen Fragen müsse London aber seine Pläne „überarbeiten“. Betroffen davon ist neben der Wirtschaftszusammenarbeit auch die Frage nach der künftigen Grenze zu Irland, und von dieser hänge es Beobachtern zufolge auch ab, ob es zwischen der EU und Großbritannien zu einer Scheidung im Guten kommt.

Betonter Optimismus

Nach den Worten von Gastgeber und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) müsse alles dafür getan werden, „um einen harten Brexit zu vermeiden“. Erklärtes Ziel des Gipfeltreffens bleibe das Bemühen um einen Kompromiss. Bereitschaft dafür müsse es aber auch bei der britischen Regierungschefin Theresa May geben, von der Kurz zum Gipfelauftakt „einen Schritt vorwärts“ einforderte.

Bundekanzler Sebastian Kurz gemeinsam mit Großbritanniens Premierministerin Theresa May
Reuters/Leonhard Foeger
Gastgeber Kurz weist May nach ihrer Ankunft den Weg zur Felsenreitschule

Ganz im Gegensatz dazu sieht May indes die EU gefordert. Ihre Regierung habe ihre Positionen in den Gesprächen weiterentwickelt, und so müsse es nun auch die EU tun, sagte May bei ihrer Ankunft in Salzburg. Gleichzeitig zeigte sich May „zuversichtlich, dass wir mit gutem Willen und Einsatz einen Vertrag schließen, der für beide Seiten richtig ist“. Damit teilt May immerhin den auch von Gipfelteilnehmern betonten Optimismus, dass es doch noch rechtzeitig zu einer Einigung kommen könnte.

Tusk bestätigte in Salzburg dabei Spekulationen der vergangenen Tage und brachte nun auch offiziell für November einen „Bexit“-Sondergipfel in den Raum. Bewegung gab es in Salzburg somit immerhin bei der zuvor auf Ende Oktober festgelegten Deadline. Nun zeigen sich die EU-Spitzen davon überzeugt, dass sich die bei einer Einigung auf einen Austrittsvertrag noch ausstehende Ratifizierung auch etwas später noch ausgehen könnte.

Gegenwind auch bei Frontex-Plänen

Auch beim zweiten großen Streitthema Migration ist unklar, ob die seit Jahren vertieften Gräben zwischen den EU-Staaten letztlich überbrückt werden können. Kurz betonte, es sei schon viel erreicht worden. In Salzburg würden Kurz zufolge zwar alle Themen behandelt, die auf dem Tisch liegen – der Fokus liege aber auf jenen, bei denen man bereits an einem gemeinsamen Strang ziehe.

Gemeinsamkeiten ortet Kurz vor allem beim Außengrenzschutz, auch wenn es bei der Frage um den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex „Bedenken“ gebe, die man „noch ausräumen“ müsse. Er hoffe, dass das Frontex-Mandat noch unter österreichischem Ratsvorsitz im Dezember beschlossen werden könne.

Die EU-Kommission hatte vergangene Woche vorgeschlagen, Frontex bis 2020 auf 10.000 Einsatzkräfte auszubauen und das Mandat deutlich auszuweiten. Gegenwind kam am ersten Gipfeltag unter anderem aus Ungarn. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban fürchtet um die Souveränität und Hoheitsrechte seines Landes und lehnte die EU-Pläne ab, Frontex-Beamten mehr Eingriffsbefugnisse in den Mitgliedsstaaten zu geben.

Juncker deutet Kurswechsel an

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte indes von den EU-Mitgliedsstaaten mehr Solidarität in der Flüchtlingspolitik ein. Wer keine Flüchtlinge aufnehme, müsse sich „in Sachen Solidarität bewegen“. Juncker rückte damit von der Haltung ab, dass alle Mitgliedsstaaten zumindest einige Menschen aufnehmen müssten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Reuters/Lisi Niesner
Juncker bei seiner Ankunft

Juncker formulierte es so: „Die einen nehmen Flüchtlinge auf. Die, die das nicht wollen, nicht können – obwohl sie es müssen –, die müssen sich in Sachen Solidarität bewegen.“ Zudem sagte er: „Man braucht Solidarität in Europa, das ist kein leeres Wort.“ Damit kommt er den östlichen EU-Staaten entgegen, die seit Jahren „flexible Solidarität“ fordern – also etwa finanzielle Beiträge statt der Aufnahme von Flüchtlingen.

„Er ist mein Kommissar“

Gesprächsthema in Salzburg waren schließlich auch die von der EU an sich bereits beschlossenen und als „Anlandeplattformen“ bezeichnete Flüchtlingslager in nordafrikanischen Ländern. Juncker stellte sich hier hinter EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos, der wegen seiner Weigerung, einen Vorschlag zu diesen Flüchtlingslagern in Afrika zu machen, von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) scharf kritisiert worden war. „Er ist mein Kommissar“, sagte Juncker.

Retten, was zu retten ist?

ORF-Korrespondent Peter Fritz über den Plan der Aufstockung des EU-Außengrenzschutzes und über die Frage, ob es beim „Brexit“ nun nur noch darum gehe zu „retten, was zu retten ist“.

Auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich zurückhaltend zu Flüchtlingslagern in Afrika. „Mein Eindruck ist, dass es derzeit kein nordafrikanisches Land gibt, das bereit ist, ein solches Zentrum zu beherbergen. Und das ist begründet“, so Mogherini. Die EU sei aber weiterhin im Gespräch mit Ägypten, Tunesien, Marokko und anderen Ländern.

Zur Militäroperation „Sophia“ sagte Mogherini, dass es Übereinstimmung gebe, die Mission im Mittelmeer zur Schlepperbekämpfung weiterzuführen. Keine Einigung gebe es jedoch zur Frage, wohin die im Rahmen der Mission geretteten Flüchtlinge gebracht werden sollen. Italien fordert hier ein „Rotationsprinzip“, das auch ein Anlaufen in Häfen außerhalb Italiens vorsieht.

Sondergipfel mit Arabischer Liga geplant

Angesichts der vielen Streitpunkte beim Thema Migration sprach Tusk von einer „aggressiven Rhetorik“ – die Dinge würden sich aus Sicht des EU-Ratspräsidenten aber dennoch in die richtige Richtung bewegen. Die EU-Staaten rief Tusk dazu auf, die Schuldzuweisungen zu beenden und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückzukehren. Einen Lösungsansatz sieht Tusk indes in einer stärkeren Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Ländern wie Ägypten an. Er werde aus diesem Grund auch einen gemeinsamen Sondergipfel mit der Arabischen Liga im Februar vorschlagen.

Demonstrationsteilnehmer mit Protestplakaten vor Polizeiabsperrung in Salzburg
APA/AFP/Joe Klamar
Am Mittwochabend kam es am Rande des EU-Gipfels auch zu Protesten

Kritik am Vorwurf Tusks, dass einige Länder die Migrationskrise „für politische Spiele benutzen“, kam von Italiens Premier Giuseppe Conte. Die Migrationsproblematik sei Conte zufolge kein Wahlthema, sondern „ein wichtiges Thema“ und könne nur „strukturell“ in Angriff genommen werden. Der italienische Premier zeigte sich gleichzeitig optimistisch, dass es in Salzburg einen „konstruktiven Gipfel“ geben werde. Er sei jedenfalls nicht „pessimistisch“ nach Salzburg gereist.

Protest gegen EU-Abschottungspolitik

Nach dem Auftakt in der Felsenreitschule wird am zweiten Gipfeltag in der Universität Mozarteum weiterverhandelt. Erneut stehen die Themen Migration und „Brexit“ im Zentrum – Letzteres diesmal aber ohne Beteiligung Mays. Abseits davon dreht sich der zweite Gipfeltag um das Thema innere Sicherheit. Wie in Salzburg aus Ratskreisen verlautete, seien hier wohl die größten Fortschritte zu erwarten.

Überschattet würden diese aber vom „Brexit“ und der Flüchtlingsfrage. Die Entwicklungen in Sachen Migration standen auch im Zentrum einer Protestkundgebung. Rund 400 Menschen demonstrierten in Salzburg gegen die ihrer Ansicht nach unmenschliche Grenz- und Abschottungspolitik Europas. Beim „Marsch der Verantwortung“ machten sie am Mittwochabend auf jene 30.000 Menschen aufmerksam, die in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht nach Europa gestorben seien – mehr dazu in salzburg.ORF.at.