Großbritanniens Premierministerin Theresa May blickt zu anderen Staatsmännern der EU
Reuters/Lisi Niesner
„Brexit“

EU-27 erhöhen Druck auf London

Ungeachtet der hoch gesteckten Ziele hat auch der informelle EU-Gipfel in Salzburg beim Thema „Brexit“ keinen Durchbruch gebracht. Beide Seiten zeigen sich in zentralen Themen wie der Irland-Frage weiterhin wenig kompromissbereit. Bestätigt wurde in Salzburg ein möglicher „Brexit“-Sondergipfel im November – stattfinden wird dieser laut EU-Ratspräsident Donald Tusk allerdings nur, wenn es bis zum regulären EU-Gipfel und somit bis 18. Oktober auch entscheidende Verhandlungsfortschritte gibt.

„Der Moment der Wahrheit ist der Europäische Rat im Oktober“, sagte Tusk bei der gemeinsam mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gehaltenen Abschlusspressekonferenz. Gastgeber Kurz betonte, man habe sich darauf verständigt, dass man den Oktober-Gipfel nutzen wolle. Im November wolle man dann einen Schlussstrich unter die Verhandlungen ziehen. Beide Seiten müssten sich aufeinander zu bewegen. „Wir müssen einen harten Brexit verhindern“, sagte Kurz.

„Großes Finale“ im Oktober angepeilt

Tusk bestätigte, dass der Sondergipfel – wenn er einberufen wird – am 17. und 18. November stattfinden würde. Er plane diesen Gipfel im November nicht als Notfallgipfel, sondern als „Schlusspunkt“, sagte Tusk. Es brauche nämlich einen Gipfel, um eine Einigung mit Großbritannien zu finalisieren und formal abzuschließen. Ohne „großes Finale“ im Oktober würde es aber keinen Sinn machen, ein Sondertreffen im November abzuhalten, betonte der EU-Ratspräsident.

Tusk forderte Kompromissbereitschaft von beiden Seiten. Die irische Grenzfrage bleibe die Priorität für die EU. Ohne eine rechtlich verbindliche und operable Auffanglösung werde es auch kein Austrittsabkommen geben. Ohne Fortschritte in der Irland-Frage wäre es auch schwierig, einen Gipfel im November einzuberufen, so Tusk. „Wir sind mitten in einer sehr schwierigen Frage, einem harten Spiel.“

Tusk ortete bei den „Brexit“-Gesprächen in Salzburg zwar durchaus eine bessere Stimmung als bei früheren Treffen, „good feeling“ sei für eine Einigung aber zu wenig. Auf die Frage, ob zusätzliche Notfallplanungen für einen „No-Deal“ erforderlich seien, sagte Kurz, man sollte nicht bereits jetzt über ein solches Szenario spekulieren. Ziel sei eine Einigung mit Großbritannien.

„Druck auf beiden Seiten sehr groß“

Bei den „Brexit“-Verhandlungen stehen nun die entscheidenden Wochen an. Laut ORF-Korrespondent Peter Fritz ist „der Druck auf beiden Seiten sehr groß“.

„Überarbeitung“ gefordert

Auch Juncker betrachtet ein „No-Deal-Szenario“ nicht als seinen Arbeitsauftrag, man sei darauf aber vorbereitet. „Keine Angst“, fügte er hinzu. Auch Kurz verwies auf eine Vorbereitung auf alle Szenarien – ein erfolgreicher Deal mit Großbritannien sei aus seiner Sicht aber nach wie vor die realistischere Option.

Tusk verwies darauf, dass sich – wie bei Verhandlungen üblich – beide Seiten bewegen müssten. Für Aufsehen sorgte Tusk aber bereits zum Gipfelauftakt, als er den Zeigefinger Richtung London erhob und mit dem Ruf nach einer „Überarbeitung“ etwa die britischen Pläne zu Irland als keine Option für die EU abkanzelte.

May kündigt neuen Irland-Plan an

Die britische Regierungschefin Theresa May verlangte ihrerseits von der EU Bewegung. Dennoch will sie „in Kürze“ neue Vorschläge für die künftige Grenze zwischen Irland und Nordirland unterbreiten. So wie von den EU-Spitzen gefordert, sei es auch ihr Ziel, bis zum Oktober-Gipfel eine vollständige „Brexit“-Strategie auszuhandeln.

Grenze zwischen Nordirland und Irland
APA/AFP/Paul Faith
Die Irland-Frage bleibt die größte Hürde bei den „Brexit“-Verhandlungen

Ansonsten signalisierte die konservative Politikerin Härte. Ihr „Brexit“-Plan sei der einzige seriöse Vorschlag, der auf dem Tisch liege. Bisher gebe es keinen Gegenvorschlag. Der Schlüssel in den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU sei die Nordirland-Frage, sagte May. Den Vorschlag der EU-Kommission, Nordirland solle ohne andere Lösung bis auf Weiteres Teil der Zollunion bleiben, lehnte May erneut ab. Auch diese Lösung hatte Tusk zuvor als unverhandelbare Bedingung für einen Austrittsvertrag bekräftigt.

May schloss zudem ein zweites Referendum aus und betonte: „Wir werden die EU verlassen.“ Für einen geregelten EU-Austritt am 29. März 2019 muss nicht nur ein Austrittsvertrag stehen, sondern auch von Großbritannien wie auch den 27 verbleibenden EU-Mitgliedsländern ratifiziert sein. Aus diesem Grund galt lange Ende Oktober als spätmöglichster Termin für eine Einigung. Angesichts des nun im Raum stehenden Sondergipfels im November ortete man hier offenbar noch etwas Spielraum.

Cornelia Primosch (ORF) zu den „Brexit“-Konfliktthemen

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch ist der Meinung, 80 Prozent der Themen des „Brexits“ seien bereits ausverhandelt. Die verbleibenden 20 Prozent beinhalten unter anderem die Grenzziehung.

Endspurt wohl erst ab 3. Oktober

Der eigentliche Endspurt zwischen der EU und Großbritannien werde Beobachtern zufolge aber nicht vor dem 3. Oktober und somit erst nach dem an diesem Tag zu Ende gehenden Torys-Parteitag beginnen. „Aber das ist alles nur Theaterdonner und reine britische Innenpolitik“, sagte dazu ein EU-Diplomat laut Reuters. Der genannte Grund: May führt einen politischen Überlebenskampf gegen den nationalistischen Flügel ihrer Partei, der einen „harten“ Brexit will, also möglichst kompromisslose Verhandlungen mit Brüssel und künftige Distanz zur EU. Aus diesem Grund seien vor dem Parteitag auch keine Zugeständnisse von May an die EU zu erwarten.

Der Wunsch nach dem Exit von „Brexit“

May zeigte sich weiterhin „zuversichtlich“, dass ein Abkommen im gegenseitigen Einverständnis erreicht werden könne. Während sie in Salzburg betonte, dass der „Brexit“ notfalls auch ohne Einigung mit der EU durchgezogen werde, haben sich nach Angaben des maltesischen Regierungschefs Joseph Muscat die EU-27 noch immer nicht gänzlich vom Wunsch von einem Exit vom „Brexit“ verabschiedet.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Großbritanniens Premierministerin Theresa May
AP/Kerstin Joensson
May im Gespräch mit Kanzler Sebastian Kurz

Ein Rückzieher vom EU-Austritt stand aufseiten der britischen Regierung bisher allerdings nie wirklich zur Debatte. Ganz nach dem Motto „die Hoffnung stirbt zuletzt“ halte man Muscat zufolge dennoch daran fest, „dass das beinahe Unmögliche passiert“.

Muscat zufolge gebe es unter den EU-27-Regierungen eine „fast einstimmige“ Unterstützung für die Idee einer neuerlichen „Brexit“-Abstimmung im Vereinten Königreich. „Ich denke, dass die meisten von uns eine Situation begrüßen würden, in der das britische Volk die Möglichkeit hat, die Dinge zu relativieren, zu schauen, was ausgehandelt wurde, und die Optionen zu betrachten – und dann ein für allemal zu entscheiden.“

Auch Babis „sehr unglücklich“

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis äußerte sich ähnlich. Er sei von dem „Brexit“-Votum der Briten im Juni 2016 „schockiert“ gewesen, sagte er der BBC. Er sei „sehr unglücklich“, dass Großbritannien im März 2019 aus der EU austreten. „Es wäre besser, ein weiteres Referendum abzuhalten, vielleicht haben die Leute in der Zwischenzeit ihre Meinung geändert.“ Dann könne das „Problem recht schnell gelöst“ werden.

Großbritanniens Premierministerin Theresa May und EU-Ratspräsident Donald Tusk
Reuters/Leonhard Foeger
May im Mirabellgarten mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

Dazu kommt, dass es auch in Großbritannien selbst zunehmend Unterstützer für ein weiteres „Brexit“-Referendum gibt. Ob die Briten dann neuerlich für einen EU-Austritt stimmen würden, gilt Beobachtern, aber auch Umfragen zufolge als fraglich.