Die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit anderen Staats- und Regierungschefs
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Salzburger EU-Gipfel

„Brückenbauer“ in schwierigem Gelände

Österreich als „Brückenbauer“ in einer gespaltenen EU – so hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Land zu Beginn der österreichischen Ratspräsidentschaft präsentiert. Wie schwierig das derzeit ist, zeigte sich beim informellen Gipfel der EU-Staats- und Regierungsspitzen in Salzburg. Inhaltlich ging es nur minimal vorwärts.

„Brückenbauer“ in der Migrationspolitik zu sein war und ist in der EU kein leichtes Unterfangen. Und so wurden in Salzburg einige der thematisch heißen Eisen der vergangenen Jahre ausgespart. Zum Beispiel die Aufteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedsländer: In Sitzungen sei sie „nur ein Randthema“ gewesen, sagte Ratsvorsitzender Kurz am Donnerstag bei der Abschlusspressekonferenz des Gipfels.

„Ich habe immer gesagt: Die Verteilung von Flüchtlingen ist nicht alleine die Lösung der Migrationsfrage“, so Kurz. Auch die umstrittenen „Anlandeplattformen“ für Flüchtlinge in Drittstaaten sind aus Kurz’ Sicht nicht mehr notwendig. Die EU hatte sich erst bei einem Gipfel im Juni auf solche Einrichtungen geeinigt. Nachdem kein Land sich dafür erwärmen konnte, scheinen sie wieder vom Tisch.

Verstärkte Zusammenarbeit mit Ägypten

Wie sehr die Migrations- und Flüchtlingspolitik die Mitgliedsländer spaltet, zeigte sich an den Wortmeldungen von Luxemburgs Premier Xavier Bettel und Ungarns Regierungschefs Viktor Orban. Während Bettel vor der Presse erklärte: „Wir sind nicht auf einem Markt. Wir reden über Menschen, nicht über Teppiche oder Waren“, sagte Orban auf Geflüchtete bezogen: „Lasst sie nicht herein. Und schickt die, die da sind, nach Hause.“ Kurz, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versuchten, mit den Ländern auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen – den Außengrenzschutz, die Stärkung der Grenzschutzbehörde Frontex und die Verbesserung der Zusammenarbeit mit „Transitländern“.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker
APA/Barbara Gindl
Kurz, Tusk und Juncker suchten den kleinsten gemeinsamen Nenner

Mit Letzteren sind die Staaten Nordafrikas gemeint. Ins Zentrum der Bemühungen der EU-Spitzen ist Ägypten gerückt – offenbar als Vorbild für die anderen. „Wir brauchen Länder, die effizient sind, wie es Ägypten schon ist“, sagte Kurz in Hinblick darauf, dass die ägyptischen Behörden in den vergangenen zwei Jahren die Überfahrten von Flüchtlingen fast vollständig unterbunden haben. Tusk will nach eigenen Angaben schon am Sonntag Gespräche mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi führen. Die Zusammenarbeit mit Kairo ist heikel: NGOs wie Amnesty International werfen Sisi einen zunehmend autoritären Regierungsstil und seinem Militärregime schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

„Diskussionsbedarf“ bei Frontex-Aufwertung

Kaum kam man bei der Aufwertung der Grenzschutzbehörde Frontex voran. Bis 2020 soll sie auf 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestockt werden und ein erweitertes Mandat für den Einsatz in Mitgliedsstaaten erhalten. Kurz sagte, einige Länder hätten „noch Diskussionsbedarf“, was die Souveränitätsrechte betrifft. Italiens Premier Giuseppe Conte zog zudem die Sinnhaftigkeit der Personalaufstockung in Zweifel: „Mir wäre es lieber, wenn diese Investitionen Afrika dienten“, sagte Conte nach dem Salzburger Gipfel.

Gruppenfoto der Teilnehmer und Teilnehmerinnen am EU-Gipfel in Salzburg
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Familienfoto in Salzburg: Bei den drängenden Fragen wurden kaum Fortschritte gemacht

Die Außenpolitikexpertin Stefani Weiss, Direktorin bei der deutschen Bertelsmann Stiftung, rechnet in diesem Punkt dennoch mit einer baldigen Einigung: „Man wird die Bedenken der südlichen Länder, was die Souveränität betrifft, ausräumen können“, zeigte sie sich im Gespräch mit ORF.at in Brüssel überzeugt.

„Brexit“: „Stunde der Wahrheit“

Der zweite inhaltliche Brocken war der „Brexit“. Hier wächst der Druck sowohl in Großbritannien als auch in der EU, zu einer Einigung zu kommen. Annäherung gab es in Salzburg freilich keine: EU-Ratspräsident Tusk betonte neuerlich, dass es ohne eine Lösung der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland kein Austrittsabkommen geben werde.

Pressekonferenz am Ende des Gipfels

Kurz, Tusk und Juncker sprechen über die Ergebnisse des EU-Gipfels in Salzburg.

Der Forderung Londons nach einer Freihandelszone für Güter, nicht aber für Dienstleistungen erteilte Tusk eine neuerliche Absage – „das wird nicht funktionieren“, so der Pole. Über das britische „Rosinenpicken“ (englisch: „Cherry picking“) machte er sich auch auf Instagram lustig. May wiederum blieb in Sachen Freihandelszone hart, kündigte aber im Grenzstreit an, demnächst einen neuen Vorschlag vorzubringen.

Die „Stunde der Wahrheit“ schlägt laut Tusk im Oktober. Am 18. findet in Brüssel ein Gipfel der Staats- und Regierungsspitzen statt, bei dem, anders als beim informellen Treffen in Salzburg, Beschlüsse gefasst werden. Ist der Verhandlungsfortschritt im Oktober groß genug, wird es einen „Brexit“-Sondergipfel am 17. und 18. November geben. Auf ihm soll das Scheidungsabkommen finalisiert werden. Das Treffen will Tusk aber nur dann einberufen, wenn es im Oktober bereits ein „großes Finale“ gegeben hat – der Druck auf May soll so hoch gehalten werden. In britischen Zeitungen war am Freitag von einem „Salzburg-Desaster“ die Rede – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Kein neuer Eklat

Der Gipfel in Salzburg war von der Bundesregierung wieder und wieder zum Höhepunkt der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft stilisiert worden. Trotz inhaltlicher Differenzen scheint die Atmosphäre zwischen den Staats- und Regierungschefinnen und -chefs eine gute gewesen zu sein. „Die Inszenierung und Choreografie hat offenbar dazu geführt, dass nicht viel gestritten wurde“, sagt Expertin Weiss. „Man hat versucht, eine gemeinsame Grundlage zu finden, wo die Positionen nicht so weit auseinander gehen.“

Auch ein Eklat in der Vorwoche konnte daran zumindest vordergründig nichts ändern: Bei einer Innenministerkonferenz in Wien hatte Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini seinen Luxemburger Amtskollegen Jean Asselborn während einer Auseinandersetzung über die Migrationspolitik provoziert. Später veröffentlichte er ein Video des Vorfalls auf Facebook und Twitter. Die österreichische Regierung hatte zu dem Vorfall lediglich erklärt, für informelle Räte gebe es keine Verhaltensregeln.

Juncker und Kurz im Interview

Juncker und Kurz erörterten am Mittwoch im Interview mit ZIB-Innenpolitik-Chef Hans Bürger die brennenden Fragen der EU.

Luxemburgs Premier Bettel zeigte sich deswegen am Mittwoch „enttäuscht“ von der österreichischen Ratspräsidentschaft. Am selben Abend stärkte Kommissionspräsident Juncker seinem Landsmann Asselborn den Rücken: „Das, was da gesagt wurde, hätte man auch öffentlich sagen können“, sagte Juncker in einem ZIB-Doppelinterview mit Kurz. Aus dem Kanzleramt hieß es dann am Donnerstag gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal, es sei kein Löschauftrag an Salvini ergangen. Man werde darauf achten, dass sich das heimliche Mitfilmen nicht wiederhole – Audio dazu in oe1.ORF.at.