Zwei Männer demonstrieren gegen die Erhöhung von Benzinpreisen
Reuters/Edgard Garrido
Mexiko

Der blutige Kampf um Benzin

In Mexiko herrscht ein blutiger Konflikt um Benzin. Kriminelle Organisationen stehlen Treibstoff und verkaufen ihn auf dem Schwarzmarkt, ein Geschäft, das noch lukrativer ist als der Drogenhandel. Seine blutigen Spuren reichen bis in die höchsten Kreise der Politik und Wirtschaft.

Treibstoffdiebe, im Spanischen „Huachicoleros“ genannt, gibt es in dem Land schon lang. Früher handelte es sich dabei um kleine Banden, die zum Großteil als harmlos eingestuft wurden. Der Verkauf von Benzin auf dem Schwarzmarkt wurde laut einem Bericht des US-Magazins „Rolling Stone“ jedoch zu einem Millionengeschäft, das große Drogenkartelle und mafiöse Organisationen angezogen hat.

Das Jalisco New Generation Cartel (CJNG) und das Kartell Los Zetas gelten landesweit als die mächtigsten kriminellen Organisationen. Vor allem das Kartell Los Zetas hob die Gewalt auf eine neue Stufe. Mitglieder einer ehemaligen Spezialeinheit des Militärs wurden ursprünglich als Söldnertruppe des Golfkartells engagiert, machten sich aber bald selbstständig. Sie gelten als brutalste Organisation der Branche, die ihre Opfer quasi als Trophäen sichtbar hinterlassen.

Vom Drogenhandel zum Treibstoffdiebstahl

„Das Problem ist, dass die ursprünglichen Drogenkartelle nicht mehr nur Drogenhandel betreiben, sondern Kriminalität in all ihren Formen, von Menschenhandel, Schutzgelderpressungen und Kidnapping bis hin zum Treibstoffdiebstahl“, sagt der gebürtige Mexikaner Oscar H. Fajardo im Gespräch mit ORF.at. „Huachicoleros“ würden unbewachte Ölleitungen anzapfen und den Treibstoff auf dem Schwarzmarkt billig weiterverkaufen. Manchmal wisse man gar nicht, dass man gestohlenes Benzin kauft, da es auch an normale Tankstellen ausgeliefert werde, so Fajardo.

Dutzende Menschen warten mit Kanistern an einer Tankstelle
Reuters/Jorge Luis Plata
Benzin als begehrtes Gut: Menschen warten an einer Tankstelle, um ihre Benzinkanister aufzufüllen

Alle Maßnahmen der Regierung, Treibstoffdiebstähle zu verhindern, schlugen bisher fehl. „Sie haben versucht, das Material der Pipelines zu verstärken, Kameras aufzustellen, Mauern zu errichten und Wachpersonal einzustellen, doch nichts hat geholfen“, sagt Fajardo.

Blutigstes Jahr in jüngerer Geschichte

Eine Maßnahme hat sich zudem ins komplette Gegenteil verkehrt: das neue Sicherheitsgesetz. Seit 2017 wird die Polizei offiziell vom mexikanischen Militär unterstützt. Inoffiziell werden Soldaten schon seit 2006 im Kampf gegen organisiertes Verbrechen eingesetzt. Doch auf den Armee-Einsatz reagierten die Verbrechersyndikate mit noch mehr Gewalt. Die Kartelle rekrutierten ausgebildete Soldaten und investierten in hochmoderne Schusswaffen. Zivilgesellschaftliche Organisationen prangern an, dass sich die Mordrate seit Beginn des Militäreinsatzes der Regierung um 200 Prozent erhöht habe.

Der Konflikt zwischen den Kartellen und dem mexikanischen Militär hält sich seit mittlerweile mehr als zwölf Jahren. Seit 2010 wird er vom Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung als innerstaatlicher Krieg eingestuft. Allein im letzten Jahr wurden laut Innenministerium in Mexiko 29.168 Menschen ermordet. Die Zahl ist die höchste an Tötungsdelikten seit Beginn der systematischen Erhebung vor 20 Jahren.

Doch auch zwischen den Kartellen kommt es oft zu Kämpfen um Geschäftsanteile und Einflusszonen – vor denen auch Zivilsten und Zivilistinnen nicht verschont bleiben. In Sozialen Netzwerken verbreiten sie Videos, in denen sie rivalisierenden Banden und der Polizei drohen. Beobachter gehen davon aus, dass die innerstaatlichen Konflikte in Mexiko mittlerweile zur Hälfte auf den Kampf um Benzin zurückzuführen sind.

Benzinpreise um 20 Prozent gestiegen

Warum das Geschäft mit dem gestohlenen Treibstoff so profitabel ist, lässt sich laut Fajardo mit der Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns PEMEX und der Verteuerung der Spritpreise beantworten. Der ehemals staatliche Ölkonzern, einer der größten der Welt, war in dem ölreichen Land lange die Haupteinnahmequelle der Regierung. Dem liegt der sozialistische Ursprungsgedanke zugrunde, dass die Bürger und Bürgerinnen von den hohen Erträgen profitieren sollten. So wurde großzügig in die Infrastruktur und in Sozialprogramme investiert, während Steuern niedrig gehalten werden konnten. Jahrzehntelang wurde der Benzinpreis von der Regierung festgelegt – und zwar weit unter den üblichen Marktpreisen.

Männer demonstrieren gegen die Erhöhung von Benzinpreisen
APA/AFP/Getty Images/Brett Gundlock
Menschen demonstrieren gegen die hohen Benzinpreise. 2017 stiegen diese um 20 Prozent.

Doch wegen Korruption und Misswirtschaft, der sinkenden Produktion und des steigenden Treibstoffdiebstahls ging es mit dem Ölkonzern bergab, bis er schließlich von der letzten Regierung privatisiert und die Monopolstellung des Konzerns aufgehoben wurde. Der ehemals streng regulierte Energiemarkt wurde für multinationale Ölfirmen und ausländische Investitionen geöffnet, der Benzinpreis 2017 um 20 Prozent erhöht.

Korruption als Auslöser

Ein starker Kritiker der Privatisierung ist der künftige Präsident Andres Manuel Lopez Obrador. Er versprach Investitionen in der Höhe von elf Milliarden Dollar in die heimische Ölbranche. Zudem sollte innerhalb der nächsten drei Jahre komplett auf die Käufe im Ausland verzichtet werden. Die Wurzel der Kriminalität liegt seines Erachtens in der vorherrschenden Korruption – diese sei vor allem innerhalb von PEMEX und des Nationalpalasts zu finden.

Für jedes Barrel, das „Huachicoleros“ stehlen, würden laut Obrador zehn Barrel von hochrangigen Mitarbeitern von PEMEX und der Regierung gestohlen. Zwei Zahlen lassen Obradors Vorwurf glaubhaft erscheinen: 19 Milliarden Dollar hat der Ölkonzern im Durchschnitt seit 2013 pro Jahr verloren. „Huachicoleros“ stehlen Schätzungen zufolge jährlich aber „nur“ Benzin im Wert von 1,5 Milliarden Dollar. Die zweite Zahl ist elf Milliarden Dollar. In dieser Höhe haben staatliche Rechnungsprüfer Verträge, die PEMEX in den letzten Jahren ausgestellt hat, wegen Betrugsverdachts gemeldet, so der Bericht des „Rolling Stone“.

Ein Ölkonzern mit „Leck“

Beobachtern zufolge sei es technisch gar nicht möglich, Pipelines einfach so anzuzapfen. So würden Insider von PEMEX die Kartelle unterstützen, indem sie ihnen Landkarten über das Pipelinenetzwerk und Informationen über den genauen Zeitpunkt, wann Öl durch die Leitungen fließt, zukommen ließen. In den Jahren 2006 bis 2015 wurden insgesamt 135 PEMEX-Mitarbeiter wegen Verbindungen zu Treibstoffdiebstählen verhaftet.

Polizist überprüft Fässer mit gestohlenem Diesel
Reuters/Josue Gonzalez
Ein Polizeibeamter inspiziert Fässer mit gestohlenem Benzin. Oft sind aber auch Polizisten mit den Kartellen verbunden.

Im Gegensatz zu den individuell agierenden Kleinbanden reichen die Netzwerke der Kartelle also bis in die Etagen des ehemals staatlichen Ölkonzerns. Doch sie scheinen auch das ganze restliche Land zu durchziehen: Politiker, Polizisten und Unternehmer, sie alle sind mit den Kartellen verstrickt.

2017 etwa wurde der Bürgermeister der Stadt Palmar de Bravo schuldig gesprochen, sein Vermögen mit Treibstoffdiebstahl gemacht zu haben. Die Stadt befindet sich im Südosten Mexikos in Puebla – dem Bundesstaat, in dem im Mai hundert Polizisten entlassen wurden. Der Grund: Auch sie haben mit „Huachicoleros“ zusammengearbeitet.