Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
Reuters/Fabrizio Bensch
SPD bereut Deal

Merkel will Fall Maaßen neu verhandeln

In Deutschland kommen die beteiligten Parteien nach der umstrittenen Koalitionseinigung im Fall um Hans-Georg Maaßen nicht zur Ruhe. Als Verfassungsschutzpräsident geschasst wurde Maaßen auf Beschluss der Koalition ins Innenministerium befördert – auch die SPD stimmte zu und wurde wie CDU/CSU mit Kritik überhäuft. Die SPD rudert jetzt zurück: Sie will den Deal neu verhandeln – Kanzlerin Angela Merkel ist dafür.

Merkel stellte eine Lösung noch an diesem Wochenende in Aussicht. Sie sei am Nachmittag mit SPD-Chefin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer übereingekommen, die Lage erneut zu bewerten, sagte Merkel am Freitag in München. Angesichts der vielen außen- und innenpolitischen Herausforderungen sei eine volle Konzentration auf das Regierungshandeln nötig. „Wir wollen eine gemeinsame und tragfähige Lösung finden im Laufe des Wochenendes.“

Brief von Nahles

„Die Bundeskanzlerin findet es richtig und angebracht, die anstehenden Fragen erneut zu bewerten und eine gemeinsame tragfähige Lösung zu finden“, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert schon zuvor mitgeteilt. Für die CSU schloss auch Parteichef Innenminister Seehofer nach Angaben eines Sprechers erneute Gespräche über Maaßen nicht aus: „Eine erneute Beratung ist sinnvoll, wenn eine Konsenslösung möglich ist“, sagte der Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters.

Zuvor war über einen Brief von SPD-Chefin Nahles an Merkel und Innenminister und CSU-Chef Seehofer bekanntgeworden, dass sie eine Neuverhandlung wünsche: „Ich bin der Auffassung, dass die Spitzen der Koalition noch einmal zusammenkommen sollten, um die gewichtigen, aber sehr unterschiedlichen Anliegen der Koalitionspartner zu beraten“, so Nahles in dem Schreiben, dass dem „Spiegel“ (Onlineausgabe) vorlag.

„Haben uns geirrt“

Mit seiner eigenwilligen Entscheidung brachte Seehofer aber vor allem die SPD in schwere Turbulenzen – es gab an der Basis, Forderungen, die Große Koalition zu beenden. „Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben“, sagte Nahles jetzt. „Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherzustellen. Das sollte Anlass für uns gemeinsam sein, innezuhalten und die Verabredung zu überdenken.“

Nahles hatte zwar erfolgreich auf Maaßens Absetzung gedrungen, dessen Eignung im Kampf gegen Rechtsextremismus von der SPD bezweifelt wurde. Seehofer, der anders als Merkel und Nahles Maaßen stützte, will ihn aber im Gegenzug auf den Posten eines SPD-Staatssekretärs in sein Ministerium holen. Ein weiterer Grund für den Unmut innerhalb der SPD. Seehofer betonte, auf Maaßens Expertise im Kampf gegen den Terrorismus nicht verzichten zu wollen.

Entscheidung „liegt fernab der Realität“

Der Fall Maaßen war Anlass für eine mehrtägige Erklärungsnot der Koalitionsparteien: Merkel, Seehofer und Nahles hatten sich darauf verständigt, dass Maaßen seinen Posten als Verfassungsschutzchef räumen muss. Doch zur Verwunderung vieler gab es für ihn eine Beförderung zum Staatssekretär im von Seehofer geführten Innenministerium – Gehaltsplus und einsetzende Empörung in den eigenen Reihen inklusive.

Zwar kritisierte die SPD Maaßens fragwürdigen Umgang mit der rechtspopulistischen AfD, doch stimmte sie seiner Beförderung zu, um die Koalition nicht zu sprengen, wie es aus der Partei hieß. Gleichlautend äußerte sich die Union: „Die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Koalition“ sei „konkret im Raum gestanden“.

Koalitionspolitiker Carsten Linnemann, stellvertretender Fraktionschef von CDU/CSU sprach im „Spiegel“ von einer „Flut empörter Nachrichten“. „Für mich ist die Entscheidung (…) nicht zu verstehen und den Bürgern nicht zu vermitteln“, sie „liegt fernab der Realität“, so Linnemann. Die Bürgerinnen und Bürger fragten sich „zu Recht, ob wir in Berlin alle verrückt geworden sind“.

Herbe Kritik an Merkel

Von der Opposition tönte es noch schärfer: „Frau Merkel ist nur noch formal Regierungschefin. Mit ihr verbindet sich leider keine Führungsstärke mehr“, wurde FDP-Chef Christian Lindner am Freitag zitiert. Sie versuche nur noch, die Regierung um jeden Preis zusammenzuhalten. Merkel habe im Fall Maaßen nur moderiert, nicht entschieden. „Das Ergebnis ist eine Farce“, sagte Lindner. Auch die SPD habe sich für eine „groteske Lösung hergegeben“.

Von den Turbulenzen in der Koalition profitieren derzeit praktisch alle großen Oppositionsparteien – gleichermaßen weist der aktuelle Deutschlandtrend einen erheblichen Vertrauensverlust für die Koalition von SPD und CDU/CSU aus. Die AfD steigt zur zweitstärksten Partei auf und schiebt sich vor die SPD (17 Prozent). Auch die Union wird sehr schwach gesehen, CDU/CSU kommen noch auf 28 Prozent.

„Stellt es derzeit maximal beknackt an“

Als Grund für den Aufstieg der AfD sieht die deutsche Opposition einhellig die andauernden Streitigkeiten der Großen Koalition. „Die Stärkung der AfD ist eine Folge der verfehlten Regierungspolitik und dem Umstand geschuldet, dass viele Parteien den Forderungen der AfD nacheifern, statt ihnen entschieden entgegenzutreten“, sagte Linken-Chef Bernd Riexinger dem „Handelsblatt“ (Freitag-Ausgabe).

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte der Zeitung, die Große Koalition „stellt es derzeit maximal beknackt an“. „CDU, CSU und SPD sind in einem hoffnungslosen Stellungskrieg verkeilt.“ Damit entstehe der Eindruck, niemand traue niemandem und alle seien nur auf ihren kurzfristigen Vorteil bedacht. „Das ist verheerend für alle Beteiligten“, sagte der Grünen-Politiker. „Wer so in einer Koalition unterwegs ist, hätte gar nicht erst reingehen dürfen.“