Die brritische Premierministerin Theresa May
AP/Matthias Schrader
„Ihr Brexit ist kaputt“

May nach EU-Gipfel schwer unter Druck

Nach der deutlichen Ablehnung ihrer „Brexit“-Pläne beim informellen EU-Gipfel in Salzburg durch die EU-27 steht Großbritanniens Premierministerin Theresa May im eigenen Land schwer unter Druck. Britische Medien schrieben am Freitag von einer „Demütigung“ für die Regierungschefin: „Ihr Brexit ist kaputt.“ May zeigt sich weiter unnachgiebig – die Verhandlungen steckten „in einer Sackgasse“.

May hatte in Salzburg zwar einen neuen Vorschlag zur Lösung der Grenzfrage mit Irland in Aussicht gestellt, ansonsten aber Härte signalisiert: Ihr „Brexit“-Plan sei der einzige seriöse Vorschlag, der auf dem Tisch liege. Bisher gebe es keinen Gegenvorschlag. Der Schlüssel in den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU sei die Nordirland-Frage, sagte sie.

Für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen schlug May ein Freihandelsabkommen zwischen London und Brüssel vor. Bei ihm soll es keine Zölle auf Waren geben – aus ihrer Sicht würde das auch das Problem mit der künftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland regeln. Ausgenommen wären aber Dienstleistungen. Das lehnt die EU kategorisch ab, weil sie Wettbewerbsverzerrungen durch britische Anbieter fürchtet.

Tusk: „Das wird nicht funktionieren“

EU-Ratspräsident Donald Tusk bekräftigte bei der Gipfel-Abschlusspressekonferenz am Donnerstag die harte Linie der EU-27 in Sachen Freihandelszone: „Das wird nicht funktionieren“, sagte der Pole. Die EU-Staats- und Regierungsspitzen seien der Ansicht, dass die britischen Vorschläge den gemeinsamen Binnenmarkt untergraben würden. Am Freitag schlug Tusk zuversichtlichere Töne an: Zwar sei ihm die Logik von Verhandlungen klar, er bleibe aber „überzeugt davon, dass ein Kompromiss, der für alle gut ist, noch möglich ist“.

Die brritische Premierministerin Theresa May
Reuters/Lisi Niesner
Das Foto zum Gipfel: May und die EU-Staatsspitzen in Salzburg

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sagte, man sei sich einig gewesen, „dass es in Sachen Binnenmarkt keine Kompromisse geben kann“. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron nannte Mays Pläne „unannehmbar“. Die 27 anderen EU-Mitglieder erwarteten im Oktober neue Vorschläge aus London, sagte er. Einen „Brexit“-Sondergipfel im November will Tusk nur dann einberufen, wenn beim nächsten Treffen der EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs im Oktober deutliche Verhandlungsfortschritte gemacht werden.

„Dreckige EU-Ratten“

Dass die EU-27 gegenüber London hart bleiben würden, hatte sich im Vorfeld des Gipfels zwar in Brüssel abgezeichnet – war in Großbritannien in dieser Intensität aber offenbar nicht erwartet worden. Von der britischen Presse gab es am Freitag nicht nur harte Worte für May, sondern auch Häme für die EU: Das EU-feindliche britische Boulevardblatt „The Sun“ zeigte Tusk und Macron im Stil von Gangstern. Dazu titelte die Zeitung: „Dreckige EU-Ratten: Euro-Gangster attackieren May aus dem Hinterhalt.“ Die britische Bevölkerung solle sich auf ein „No-Deal“-Szenario vorbereiten, schrieb das Blatt.

Die „Financial Times“ sprach von einer „Demütigung für May“. Der normalerweise der EU wohlgesonnene „Guardian“ sah die Regierungschefin nach der Salzburger „Demütigung“ im „Leerlauf an der Brexit-Kreuzung“. Der „Daily Mirror“ erklärte Mays Austrittspläne kurzerhand für gescheitert: „Ihr Brexit ist kaputt.“ „Nein, Nein, Nein“, schrieb die Zeitung „Metro“ auf Deutsch in riesigen Buchstaben auf ihrer ersten Seite, illustriert mit einem Foto einer konsterniert dreinschauenden May.

May: „Verhandlungen in einer Sackgasse“

May selbst zeigte sich am Freitag gegenüber der EU unnachgiebig: „Ich werde die Ergebnisse des Referendums weder kippen noch werde ich mein Land spalten“, sagte sie in einer Fernsehansprache. Die Verhandlungen mit der EU steckten „in einer Sackgasse“. Die Absage der EU an den Plan der britischen Regierung zur Ausgestaltung der künftigen Handelsbeziehungen sei „inakzeptabel“.

Die britische Premierministerin Theresa May während einer Fernsehrede
BBC
May bei ihrer Fernsehansprache: „Ich werde Ergebnisse des Referendums weder kippen noch werde ich mein Land spalten“

Die andere Seite habe keine konkrete Begründung gegeben oder Gegenvorschläge gemacht. „Wir müssen jetzt von der EU hören, was die wahren Probleme sind und was ihre Alternative ist, damit wir mit ihnen diskutieren können“, fügte May hinzu.

Das beste Ergebnis der Austrittsverhandlungen sei zwar immer noch ein Abkommen, aber keine Vereinbarung sei immer noch besser als eine schlechte. Und auch wenn kein Deal zustande kommen sollte, werde man alles tun, eine „harte Grenze“ zu Irland zu vermeiden. May verteidigte das Referendum als „größte demokratische Übung“ in der Geschichte ihres Landes. Das britische Pfund gab während der Ansprache deutlich nach.

Raab: EU zog „Handbremse“

Unterstützung erhielt die Premierministerin aus ihrem Kabinett: Die EU lehne die britischen Vorschläge ab, ohne „glaubwürdige Alternativen“ auf den Tisch zu legen, sagte „Brexit“-Minister Dominic Raab. London sei der EU in den Verhandlungen schon deutlich entgegengekommen, nun habe die Union in den Verhandlungen aber „die Handbremse gezogen“.

Verkehrsminister Chris Grayling sagte, die von der EU vorgelegten Vorschläge zur Nordirland-Grenze könnten von keiner britischen Regierung akzeptiert werden. Trotz der Unterstützung aus ihrem Kabinett dürfte der am 30. September startende Parteitag der konservativen Torys zur Nagelprobe für May werden. Medienberichten zufolge soll eine Gruppe von über 50 Parteigängerinnen und Parteigängern aus dem EU-skeptischen Lager hinter den Kulissen am Sturz Mays arbeiten.

Juncker mahnt zur Sachlichkeit

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte unterdessen eine sachliche Herangehensweise ein. „Wir sind mit Großbritannien nicht im Krieg“, sagte er der „Presse“ (Freitag-Ausgabe). Beide Seiten hätten sich angenähert. Auch wenn London nach dem „Brexit“ nicht „alle Privilegien“ der Mitgliedsschaft behalten könne, wolle auch die EU versuchen, „einen Freihandelsraum zu schaffen“. Am Vortag hatte Juncker erklärt, ein „No-Deal“-Szenario sei „keine Arbeitshypothese bei den Verhandlungen“, man bereite sich aber darauf vor. Optimistischer Nachsatz: „Don’t worry, be happy.“

Pressekonferenz am Ende des Gipfels

Ratvorsitzender Bundeskanzler Kurz, EU-Ratspräsident Tusk und Kommissionschef Juncker sprechen über die Ergebnisse des EU-Gipfels in Salzburg.

Groß ist die Enttäuschung über das Salzburger Nichtergebnis in Irland. Die „Irish Times“ kommentierte in Anspielung auf das „Hinterhalt“-Cover der „Sun“, May habe sich mit ihrem Beharren auf den partiellen britischen Zugang zum EU-Binnenmarkt selbst „in einen Hinterhalt gelockt“. Irlands Außenminister Simon Coveney erklärte indes, sein Land sei „flexibel“ in der Grenzfrage. Allerdings müsse es Garantien geben, dass es nach dem britischen EU-Austritt keine „harte Grenze“ zu Großbritannien gibt. In Irland mehren sich allerdings die Zweifel, dass bis zum EU-Ratsgipfel am 18. Oktober ein Kompromiss gefunden wird – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Der „blinde Brexit“

Neben dem „harten“ und „weichen Brexit“ und dem „No-Deal“-Szenario geistert unterdessen eine neue Zuschreibung durch die Medien: Der „Daily Telegraph“ warnte am Freitag vor einem „blinden Brexit“. Gemeint ist ein uneindeutiger Deal, bei dem die Abgeordneten „sich zwar auf einige große Aspekte des Brexits verständigen – etwa darüber, wie viel Geld Brüssel gegeben wird –, ihnen aber nicht viel darüber gesagt wird, was sie als Gegenleistung dafür bekommen“.

Frankreichs Präsident Macron hatte bereits Anfang September ebenfalls vor einem „blinden Brexit“ gewarnt, bei dem unklar bleibe, wie sich die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien gestalten. Die Zeit, ihn zu verhindern, läuft jedenfalls rasch ab.