Screenshot Instagram
www.instagram.com
Salzburg-Nachwehen

Tusks Kuchen-Schmäh „beleidigt“ Briten

Den Briten wird üblicherweise Sinn für Humor nachgesagt. Ein Instagram-Foto von EU-Ratspräsident Donald Tusk vom Salzburger EU-Gipfel geht dem britischen Außenminister Jeremy Hunt jedoch zu weit. Er beschuldigt Tusk, mit seinem Foto „das britische Volk beleidigt“ zu haben.

Tusk hatte am Donnerstag auf Instagram ein Bild von sich und der britischen Premierministerin Theresa May am Kuchenbuffet gepostet und in der Bildunterschrift kommentiert: „Ein Stück Kuchen gefällig? Tut mir leid, keine Kirschen.“ Der EU-Ratspräsident spielte damit auf die britische Redewendung für „Rosinenpicken“ („cherry picking“; „Kirschenpicken“) an.

„Werten Sie Höflichkeit nicht als Schwäche“

Hunt sagte am Samstag dem britischen Sender BBC, es sei nicht hilfreich bei der Bewältigung der „schwierigen Situation“, die britische Premierministerin und ihr Volk zu beleidigen. „Werten Sie die britische Höflichkeit nicht als Schwäche“, warnte er. Die Zeitung „The Times“ titelte am Samstag, Tusk stehe mit seinem Kuchenscherz dumm da, und zitierte den konservativen Abgeordneten Charlie Elphicke, der das Instagram-Posting als „außerordentlich respektlos“ bezeichnete und auf Mays Diabetes-Erkrankung hinwies.

Mit einer umfassenden Freihandelszone und einer Anpassung an EU-Standards bei Waren sowie einer besonderen Zollpartnerschaft will May Kontrollen an den Grenzen zur EU vermeiden. Die EU befürchtet aber, dass dies auf einen weiteren britischen Zugang zum EU-Binnenmarkt hinausliefe, ohne dass London die EU-Spielregeln dafür einhält, und erteilte May in Salzburg eine klare Abfuhr.

Tusk machte nämlich in der Abschlusspressekonferenz klar, dass Mays Plan „nicht funktioniert“. Die EU-27 versuchen May seit Monaten beizubringen, dass Großbritannien nach dem EU-Austritt nicht – wie von May gewünscht – nur teilweise im EU-Binnenmarkt verbleiben könne, sondern es freien Warenverkehr nur bei fortgesetzter kompletter Übernahme von EU-Regelungen und freiem Personenverkehr geben könne.

„Dreckige Ratten der EU“

Das Echo der britischen Medien auf den EU-Gipfel war desaströs, in Zeitungen war von der „Katastrophe von Salzburg“ die Rede. Viele Blätter ließen in diesem Zusammenhang nichts von jener Höflichkeit erkennen, die Außenminister Hunt bemühte. „The Sun“ hatte am Freitag Tusk und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in einer Fotomontage als zwei mit Maschinengewehren bewaffnete Gangster unter der Schlagzeile „Dreckige Ratten der EU“.

Die „Financial Times“ sprach von einer „Demütigung für May“. Der „Guardian“ sah die Regierungschefin nach der Salzburger „Demütigung“ im „Leerlauf an der Brexit-Kreuzung“. Der „Daily Mirror“ erklärte Mays Austrittspläne kurzerhand für gescheitert: „Ihr Brexit ist kaputt.“ „Nein, Nein, Nein“, schrieb die Zeitung „Metro“ auf Deutsch auf ihrem Cover. Es war eine Anspielung auf Margaret Thatchers „No, No, No“ im Streit um den Britenrabatt.

Tusk habe May „das Messer bis zum Griff in den Körper gerammt“, lamentierte der „Daily Telegraph“. Das Blatt attackierte auch Macron, der gesagt hatte, das britische Volk habe sich von Lügnern zum „Brexit“ verleiten lassen. „Der französische Präsident denkt, er sei der neue Tony Blair. Er sollte sich anschauen, was mit Blair passiert ist, der jetzt der Inbegriff des Elitismus ist.“

„Plan B“ oder Rücktritte

Einem Bericht des „Telegraph“ zufolge droht May auch eine neuerliche Rebellion innerhalb des Kabinetts. Kabinettsmitglieder wollen auf ihrer Sitzung am Montag in London May auffordern, einen „Plan B“ für die „Brexit“-Verhandlungen vorzulegen. Andernfalls drohten ihr weitere Rücktritte. Am Montag sei der Knackpunkt, zitierte die Zeitung eine nicht näher genannte Quelle.

Die brritische Premierministerin Theresa May
Reuters/Lisi Niesner
Wie isoliert May in Salzburg dastand, fing ein Reuters-Fotograf ein

Als mögliche Kandidaten für einen Rücktritt kämen Arbeitsministerin Esther McVey und Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt infrage, berichtete das Blatt am Samstag. Wegen Mays Plänen zum EU-Austritt haben bereits Außenminister Boris Johnson und „Brexit“-Minister David Davis ihre Ämter aufgegeben. Beide sind „Brexit“-Hardliner.

Kampagne für harten „Brexit“ gestartet

In Bolton, einer Hochburg von EU-Kritikern, gab ein parteiübergreifendes Bündnis gegen Mays „Brexit“-Pläne am Samstag den Startschuss zur „Save Brexit Campaign“. Unter den Rednern waren Davis, die Labour-Abgeordnete Kate Hoey und der Ex-Vorsitzende der euroskeptischen UKIP, Nigel Farage. „Wir haben nicht für eine Serie von Deals gestimmt“, sagte Farage. „Das war ein Votum, um unser Land zurückzubekommen.“

Labour-Chef Corbyn fordert Neuwahl

May sieht sich außerdem mit einer offenen Neuwahlforderung der oppositionellen Labour Party konfrontiert. „Die beste Art, das zu regeln, sind vorgezogene Neuwahlen“, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn am Samstag vor Anhängern in Liverpool. Dabei machte er klar, dass Labour zu keinen Kompromissen bezüglich des „Brexit“ bereit sei. Angesichts des wachsenden innerparteilichen Widerstands gegen ihren weichen „Brexit“-Kurs muss May auf eine Verständigung mit der Labour Party hoffen, um dafür eine Mehrheit im Unterhaus zustande zu bringen.

Corbyn signalisierte diesbezüglich aber Härte. Die von Labour aufgestellten „sechs Tests“ würden auf jeglichen Deal Anwendung finden, sagte er. „Wenn diese Regierung das nicht bringt, dann sage ich zu Theresa May: Die beste Art, das zu regeln, sind vorgezogene Neuwahlen“, rief Corbyn am Vorabend des Labour-Parteitags in der nordenglischen Industriestadt seinen Parteifreunden zu.

Corbyn steht innerparteilich unter massivem Druck, einem zweiten Referendum über den „Brexit“-Deal zuzustimmen. Neben den Ex-Premiers Tony Blair und Gordon Brown fordert auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan ein neuerliches Votum. Ex-Außenminister David Miliband kritisierte am Samstag die angebliche Passivität von Labour in der „Brexit“-Frage. „Es ist keine Strategie, einfach nur darauf zu warten, dass die Regierung einen Fehler macht“, sagte er.

Tusk: „Wahrer Bewunderer“ von May

Erst am Freitag hatte May in scharfen Worten gesagt, dass sie an ihren Plänen festhalten wolle und von Brüssel mehr Respekt bei den Verhandlungen erwartet. Tusk versuchte, die Wogen zu glätten: Er sei nach wie vor der Überzeugung, dass es einen Kompromiss geben könne, der gut für alle Seiten sei. Das sage er als „enger Freund“ Großbritanniens und „wahrer Bewunderer“ von May.

Großbritannien will sich in einem halben Jahr – Ende März 2019 – von der Europäischen Union trennen. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel verlaufen allerdings sehr zäh und setzen May besonders unter Druck. Sie regiert seit einer verpatzten Neuwahl im vergangenen Jahr mit einer hauchdünnen Mehrheit und ist von Revolten von mehreren Seiten bedroht. Immer wieder wird über ihren Rücktritt spekuliert.