Abgasmessung
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Zwischen Feinstaub und Stickoxydden

Suche nach dem sauberen Diesel

Deutschland sucht einen Ausweg aus dem Dieseldilemma. Ein vergleichsweise sauberer Diesel ist bei neuen Modellen möglich, eine Nachrüstung schwierig, wie eine Analyse zeigt.

Wird es weiter einen Diesel geben? Oder ist diese Form von Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell? Manche Hersteller haben ohnedies entschieden, die Dieselfrage samt den damit einhergehenden Problematiken beim Verbrennungsmotor mit Nein zu beantworten. Fiat will sich aus der Dieselproduktion verabschieden, Toyota, wo man als Erstes auf massentaugliche Hybridfahrzeuge gesetzt hat, will Dieselwagen komplett aus dem Verkauf nehmen. Eine Frage, die mit strategischer Marktpositionierung zu tun habe, erläutert der Wiener Motorenexperte Bernhard Geringer von der TU Wien gegenüber ORF.at

Die Feinstaubbelastung konnten die Hersteller über die Jahre in den Griff bekommen. Beim Thema Stickoxid wird dem Diesel, auch bei der Euro-6-Norm, im Regelbetrieb ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, wie etwa deutsche ADAC-Tests belegen.

Die meisten Zulassungen bei Euro 4 und Euro 5

Blickt man auf die Zulassungsstatistik in Deutschland – und zum Vergleich auch nach Österreich –, dann sieht man, dass das Gros der Fahrzeuge, die zugelassen sind, in die Euro-5-Norm fallen. In Deutschland sind es 5,9 Mio. Dieselfahrzeuge in der Schadstoffklasse Euro 5. In Österreich fallen bei einem Dieselgesamtbestand von 2,8 Mio. Fahrzeugen 887.000 in die Klasse Euro 5. 751.000 Dieselfahrzeuge sind in der Klasse Euro 4 zugelassen. Vergleichsweise gering dazu die Zahl der nachrüstbaren Diesel in der Euro-6-Klasse. In Deutschland sind es 2,7 Mio., hierzulande 327.000. Unter Euro 6 ist eine Nachrüstung des Diesel mit Kosten ab 3.000 Euro aufwärts ein deutlich zu kostspieliges Verfahren (siehe Bericht „Die Dieselfrage und die Fakten“).

Laut Bernhard Geringer, Leiter des international renommierten Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik an der TU Wien, müsse man zunächst, wie er auch im Gespräch mit ORF.at erläutert, die Themen Feinstaub und Stickoxide in der Debatte fein säuberlich trennen.

Die Städte, die im Moment Dieselfahrverbote ins Kalkül zögen, täten das ja häufig in Bezug auf den Feinstaub, so Geringer. Fahrverbote wegen der Stickoxidbelastung würden zurzeit in Stuttgart oder Düsseldorf diskutiert, erwähnt Geringer andere Beispiele.

Ältere Dieselfahrzeuge seien da ein Problem. Allerdings empfiehlt der Experte einen Blick auf die statistischen Daten bei der städtischen Feinstaubbelastung: Der Verkehr hat da meist einen Anteil von 20 Prozent bis ein Viertel von der Feinstaubbelastung (etwa wenn man auf die Daten des deutschen Umweltbundesamtes blickt). Und im Verkehr kommt zwar ein Teil des Feinstaubs aus dem Auspuffrohr – ein anderer stammt aber vom Reifen- und Straßenbelagsabrieb, der Aufwirbelung sowie von Bremssystemen.

Feinstaub vom Auspuff eigentlich im Griff

Mit Blick auf die neuesten Euro-Norm-Vorgaben sieht Experte Geringer das Feinstaubthema sowohl für Diesel- als auch Ottomotoren im Griff. In Diskussion standen da ja zuletzt eher die Ottomotoren, die als hochgerüstete Direkteinspritzer ein erhebliches Maß an Mikrofeinstaub produzierten.

Zahlreiche Medien warnten zuletzt vor einer steigenden Emission von Mikrofeinstaub (PM-Wert 2,5), den die neu entwickelten Motoren ausstießen. So verwies der Chemiker Norbert Heeb von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in der Schweiz schon vor Monaten im „Spiegel“ darauf, dass beim Thema Feinstaub die Ottomotoren das viel größere Problem seien. „Angesichts der Stickoxidprobleme beim Diesel erleben wir eine Rückkehr zum Benzinmotor. Das verschärft das Ultrafeinstaubproblem“, zitierte der „Spiegel“ den Wissenschaftler.

In Städten vor allem alte Diesel ein Problem

Viele Hersteller würden laut dem TU-Experten Geringer nun beim Benziner auch mit Filtern entsprechend aufrüsten, womit man auch die Mikrofeinstaubbelastung sehr stark minimiere. Wohlgemerkt: Es geht immer um die neusten Autos in diesem Segment.

Was der Experte als zutreffend betrachtet: Alte Fahrzeuge, der Emissionsstufe Euro 4, also ohne Partikelfilter, sind beim Diesel in Städten ein Problem (hier geht es um den Feinstaub im Emissionsbereich von 25 mg/km und darüber). Und mehr Benziner statt Diesel im Stadtverkehr bedeute höhere CO2-Emissionen, so Geringer. Hier würde nur der Einsatz von Hybridtechnologie, Elektromotoren und anderen alternativen Antriebskonzepten helfen – oder eine Reduktion des Individualverkehrs.

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Grafik zeigt die Pkw-Bestandsstatistik in Österreich (Diesel)
Grafik: ORF.at; Quelle: ÖAMTC/Statistik Austria
Grafik zeigt die Pkw-Bestandsstatistik in Österreich (Benzin)
Grafik: ORF.at; Quelle: ÖAMTC/Statistik Austria

Stickoxide: Kann es einen „guten“ Diesel geben?

Das heikelste Thema ist auch für Geringer das NOX-Thema, also der Bereich der Stickoxide. Hier schlägt der Experte eine Versachlichung der Debatte vor. Dass der Diesel tot sei, kann er mit Blick auf die Normvorgaben für die seit 2017 verbindliche Euro-6-d-TEMP-Norm nicht erkennen. Denn, so sein Argument: „Diesel können beim Thema NOX die Grenzwerte der Benziner erreichen.“ Allerdings sei da eine Reihe von Maßnahmen nötig, die herstellerseitig auch höhere Kosten mit sich brächten.

So funktioniert der SCR-Kat

„Selektiv“ nennt man die chemische Reaktion im SCR-Katalysator, weil sie bevorzugt auf die Stickoxide NO, NO2 anspricht. Für die Reaktion wird Ammoniak (NH3) benötigt, das dem Abgas über ein flüssiges Zusatzmittel zugemischt wird. Am Ende der katalytischen Reaktion stehen Wasser (H2O) und Stickstoff (N2).

Eine weitere Möglichkeit der Stickoxidreduktion stellt der NOx- Speicherkat dar, bei dem das NOx im Katalysator zwischengespeichert und nach einer gewissen Zeit mittels Motorverstellung in unschädliche Bestandteile umgewandelt wird, eine Technik, die meist in den unteren Fahrzeugklassen zur Anwendung kommt.

Ab der Euro-6-Norm, die ja die meisten jüngeren Dieselmodelle schon erfüllen, ist ein Stickoxidkatalysator, der die „selektive katalytische Reduktion“ (SCR) nutzt, im Einsatz: „Die Automobilindustrie hat hier sehr von der Kraftwerkstechnologie gelernt“, erläutert Geringer im Gespräch mit ORF.at.

Harnstoff soll helfen

Deutsche und französische Entwickler von Dieselautos haben primär auf die SCR-Technologie als chemische Abgasreaktion gesetzt. Wichtiger Begleitfaktor ist der mittlerweile unter dem Markennamen „AdBlue“ bekannte Zusatztankstoff, für den das Ammoniak in einer wässrigen Harnstofflösung chemisch gebunden wird.

Die OMV war übrigens der erste Konzern, der „AdBlue“ im Jahr 2003 an einer öffentlichen Tankstelle zur Verfügung stellte. Für die flächendeckende Verbreitung gerade für den Pkw-Verkehr habe es aber ein paar Jahre gebraucht, erinnert Geringer an den Vorlauf für neue Entwicklungen.

Eine Frage der richtigen Temperatur

Grundsätzlich funktioniere die Stickoxidumwandlung gut – mit Umwandlungsraten bis fast 100 Prozent, sie habe, so der Experte, aber einen entscheidenden Nachteil: Benötigt werde eine Mindesttemperatur, damit der Prozess in Gang gesetzt werden könne.

In anderen Worten: Gerade im Kaltbetrieb, also etwa in der Anfahrverwendung eines Diesels in der Stadt nach Betriebsstart, funktioniert die Stickoxidumwandlung nicht ausreichend. Das bestätigt auch Geringer mit Verweis auf eigene Real-Emission-Tests (bei denen unterschiedliche Fahrszenarien berücksichtigt werden, Anm.).

Zusätzlicher Katalysator

Deshalb mussten sich Hersteller überlegen, wie man zu höheren Temperaturen komme, so Geringer. Die Lösung ist für die meisten Hersteller nun ein zusätzlicher NOx-Katalysator, den man in Motorennähe anbringt und der zu Beginn des Autobetriebs schon höhere Temperaturen nutzen kann. Für den weiteren Betrieb kommt der zweite NOx-Katalysator zum Zug.

„Man sieht, dass das schon komplexe Systeme sind und dass es da natürlich einer ausgeklügelten elektronischen Motorensteuerung bedarf“, erinnert Geringer. Und natürlich handle es sich hier um einen zusätzlichen Kostenfaktor. Je mehr Stück der komplizierten Systeme produziert würden, desto mehr könne man die Zusatzkosten drücken. Dennoch schlagen sich kompliziertere Abgasnachbehandlungssysteme in höheren Anschaffungskosten beim Auto nieder.

„Ein sauberer Diesel ist möglich“

Für Geringer ist ein „sauberer“ Diesel möglich und bereits Stand der Technik. Allerdings sieht er auch die Manipulationsdebatte im Moment als einen Bumerang. „Schummeln ist Betrug, und das geht natürlich gar nicht“, so Geringer.

Viele Autohersteller hätten über Jahre gewusst, dass es Zusatzmaßnahmen für die Abgasnachbehandlung brauche. Technologisch sei das aufwendig, aber nicht unlösbar. Für Geringer hat der Diesel gerade ein Imageproblem, welches im ungünstigen Fall dazu führen könnte, dass sich weltweit agierende Großserienhersteller von dieser Antriebsart abwenden.

Wenn Fiat dem Diesel Lebewohl sage, dann habe das auch mit Gesamterwägungen eines fusionierten Konzerns zu tun, der mehr in Richtung US-Markt, wo Diesel keine Rolle spielt, orientiert sei.

Diesel und Benziner gleichauf

In Europa könne man neue Benziner und neue Diesel problemlos nebeneinander in Betrieb halten, so die Botschaft des Experten. Bei der neuesten Euro-6-Norm seien die Grenzwerte für NOX beim Diesel praktisch auf das Niveau vom Benziner gesenkt worden. „Und viele Diesel werden im Alltag sogar unter diesem Grenzwert unterwegs sein“, gibt sich Geringer überzeugt. Was auch etliche Tests unabhängiger Prüfstellen bereits bestätigen.

Wer jetzt zum Umstieg auf den Benziner rate, so Geringer mit Blick auf das Feld der klassischen Verbrennungsmotoren, der müsse mit höherem Verbrauch rechnen – und entsprechend höheren CO2-Werten in der Größenordnung von zehn bis 15 Prozent.

Blickt man nach Deutschland, wo die sogenannten Hochdachautos mit 23,9 Prozent Marktanteil einen bisherigen Höchststand in dieser Wagenklasse erleben, dann ist man ohne Hybridunterstützung bei einem SUV im Stadtverkehr bald wieder im zweistelligen Verbrauchsbereich.

Alternative Antriebe für Flottenziele

"Ohne Hybridunterstützung und zusätzliche Elektromodelle wird es dann für bestimmte Hersteller schwierig werden, die Flotten-CO2-Vorgaben zu erreichen, wenn man sich endgültig vom Diesel verabschiedet“, so Geringer.

Die Frage, ob der Diesel nach neuestem Stand immer noch eine Berechtigung habe, beantwortet der Motorenexperte so: „Es gibt keinen Verbrennungsmotor, der einen höheren Wirkungsgrad als der Diesel hat. Kein anderes Verfahren ruft aus dem Treibstoff derart viel Kraft ab wie das Dieselverfahren.“

Was Geringer skeptisch beurteilt, ist eine Nachrüstung älterer Dieselmodelle. Diese ist zwar technisch in vielen Fällen denkbar, allerdings bewege man sich schon bei den notwendigen Zusatzteilen (wie NOx-Katalysator, Steuergerät und Sensorik im Bereich von 1.500 bis 3.000 Euro – und dann habe man den Einbau nicht mitgerechnet und keine Garantie, dass ein neues Verfahren mit den Gewährleistungsansprüchen eines älteren Fahrzeuges in Einklang zu bringen sei.

Wie weiter mit dem Thema Diesel?

Fazit für die Konsumenten: Auslaufmodelle im Straßenverkehr sind eindeutig alte Diesel, zumal solche, die noch nicht einmal mit Dieselpartikelfiltern ausgestattet sind (Euro 4 oder früher mit Ersttypzulassung vor September 2009).

Wer mit einem Diesel ab Euro-6 unterwegs ist, der muss eigentlich nicht um Einfahrbeschränkungen seines Autos in näherer Zukunft fürchten. Vorausgesetzt, in die Fahrverbotsdebatte zieht neben der Aufgeregtheit wieder so etwas wie Faktenrelevanz ein.

Worauf können Konsumenten schauen?

Für Konsumenten, die im Moment einen Neuwagen anschaffen oder umsteigen wollen, empfiehlt sich sowohl für den Ottomotor als auch für den Diesel ein genauer Blick auf die Abgasnorm. Die Euro-6d-TEMP-Norm erfüllen noch nicht alle derzeit auf dem Markt befindlichen Neufahrzeuge. Und nur mit dieser Norm gibt es für reine Verbrennungsmotoren beim Ottomotor die Garantie der Mikropartikelreinigung und beim Diesel die Garantie, dass man neben der Partikelreinigung auch die NOx-Werte durch ein System miteinander kommunizierender SCR-Kat-Systeme im Griff hat.

Der ADAC hat aktuell die verfügbaren Fahrzeuge in der Euro-6d-TEMP-Norm bei Verbrennungsmotoren gelistet: Knapp unter 80 Modelle erfüllen im Moment diese Norm.