Verteiler mit Lagegeräten
Getty Images/Jorg Greuel
„Plugspreading“

Das Gerangel an der Steckdose

Wie man es auch dreht und wendet: Ladegeräte und Netzteile sind oft so gebaut, dass sie über die Nachbarsteckdose ragen. Weil im Vergleich zu früher heute deutlich mehr Geräte Strom benötigen, reicht eine herkömmliche Steckerleiste in vielen Fällen nicht mehr aus – Alternativen lösen das Problem aber nur zum Teil.

Das Technologieportal CNET bezeichnet das Phänomen um das Gerangel an der Steckdose als „Plugspreading“. Beispiele lassen sich bei praktisch allen Herstellern von Elektrogeräten finden: Egal ob Handyladegerät oder das Netzteil für die Spielekonsole – nicht selten ragt zumindest ein Teil davon über die angrenzende Steckdose.

Zwar passen Netzteile heute oft zum optischen Gesamtkonzept eines Produkts, im täglichen Gebrauch sind sie dadurch jedoch häufig ein Ärgernis. Ausgerechnet bei teuren Designerprodukten wird die Steckerleiste damit zum Schauplatz eines Revierkampfs: Will man das optisch ansprechendere Produkt mit Strom versorgen, muss man zwangsläufig ein anderes Gerät vom Strom trennen.

Stromversorgung als „notwendiges Übel“

Eine wesentliche Rolle spielen auch vorgegebene Standards und Normen, die die Form des Steckers in vielen Fällen vorgeben. Bei der Produktentwicklung sind damit Designerinnen und Designern oft die Hände gebunden: „Die Stromversorgung ist oft ein notwendiges Übel, das vielfach vorbestimmt ist“, sagt Martin Prettenthaler, der an der FH Joanneum Industrial Design lehrt, gegenüber ORF.at.

Normen seien nur „schwer änderbar“. „Den Standard gibt die Industrie vor, und hier hat natürlich das Thema Sicherheit einen hohen Stellenwert. Elegantere Lösungen müssten eben auch alle Sicherheitsaspekte berücksichtigen“, so Prettenthaler.

Steckerleisten Teil des Problems

Die Ursachen sind aber nicht alleine bei den Netzteilen zu suchen. Verschärft wird die Situation nämlich vor allem durch die Bauform von handelsüblichen Mehrfachsteckdosen. Wer im Bau-, Möbel-, oder Elektromarkt zur billigsten Variante greift, kämpft früher oder später mit Platzproblemen.

Besonders die klassische Steckdosenausführung ist anfällig für „Plugspreading“, bei ihr ragen oft schon normale Netzkabel über die Nachbarsteckdose. Auch die um 45 Grad gedrehte – und damit „schräge“ – Variante verbessert die Situation etwa bei Ladegeräten nur bedingt.

Geöffneter Stromverteiler
ORF.at/Roland Winkler
Das Innenleben handelsüblicher Steckerleisten ist relativ einfach und damit besonders günstig herzustellen

Geschuldet ist das in erster Linie den Herstellungskosten. Denn klassische Steckerleisten gleichen sich großteils, wie ein Blick ins Innere zeigt: Zwei Metallstäbe verbinden die einzelnen Steckdosen miteinander, viel mehr findet sich in dem Plastikgehäuse normalerweise nicht. Das ist einfach – und daher günstig in der Produktion.

Sicherheitshinweis

Das Hintereinanderstecken von Steckerleisten, wie etwa auf dem Titelbild dargestellt, ist gefährlich: Geringer Leiterquerschnitt und Schleifenimpedanz können zu Bränden führen.

Steckdosen und Steckerleisten sollten darüber hinaus nur von Fachpersonal geöffnet werden.

Abstand der „Töpfe“ als Kriterium

Abhilfe versprechen deutlich teurere Steckerleisten. Bei diesen Modellen sind die einzelnen Steckdosen so gedreht, dass die Netzteile und Ladegeräte „nach außen“ – also von der Steckerleiste weg – gerichtet sind. Oft ist dann auch der Abstand zwischen den einzelnen Anschlussgelegenheiten größer.

„Neben dem Winkel der Töpfe ist auch der Abstand zwischen den Töpfen ein wichtiger Punkt“, so der Sprecher des Elektronikkonzerns Kopp gegenüber ORF.at. Als „Töpfe“ werden dabei die einzelnen Steckdosen auf einer Leiste bezeichnet. Zwar gebe es, was den Winkel anbelange, „keine Normen“, die befolgt werden müssten. „Normen gibt es aber natürlich bezüglich Sicherheit, Erwärmung etc. Dies muss immer bei der Entwicklung auch einfließen.“

Auch Luxussteckdose hilft nicht immer

Selbst die teuren Modelle mit großen Abständen zwischen den „Töpfen“ lösen das Problem aber nicht immer. Denn wenn Netzteile ausnahmsweise so gebaut sind, dass sie sich bei herkömmlichen Steckdosen nicht in die Quere kommen, sind sie einander dann dafür oft bei den Luxusmodellen im Weg.

Doch so ärgerlich „Plugspreading“ auch sein mag: Österreich (neben einigen anderen Ländern, vor allem in Europa) ist eine Insel der Seligen, was den Platz an der Steckdose anbelangt. Denn in Staaten wie Großbritannien und Australien wird die Situation zusätzlich verschärft. Dort lassen sich Stecker nämlich nur auf eine Art in die Steckdose stecken – ein Wenden des Netzteils funktioniert deshalb nicht, sehr zum Ärger zahlreicher Gerätebesitzer und -besitzerinnen.

Kein Ende des Steckdosen-Imperialismus in Sicht

Solange Steckdosen je nach Land komplett unterschiedlich aussehen, ist also auch kein baldiges Ende des Phänomens „Plugspreading“ in Sicht. Dennoch besteht Hoffnung: Viele Telefone lassen sich bereits heute ganz ohne Kabel laden. Dazu wird mit einem elektromagnetischen Feld Energie übertragen: Oft muss man Handys dann zum Laden nur noch auf eine Ablagefläche legen. Künftig könnten ähnliche Systeme auch bei anderen kleinen Geräten zur Anwendung kommen.

Bis dahin muss der Steckdosen-Imperialismus der Hersteller aber wohl weiter ertragen werden. In einer Zeit, in der „Digital Detox“, digitales Entschlacken, im Trend ist, vielleicht auch eine gute Gelegenheit, bei den Gadgets einen Gang zurückzuschalten – oder mehr Steckerleisten zu kaufen.